Durchbruch vorerst nur symbolisch

■ In Berlin trafen sich gestern die alliierten und die deutschen Außenminister zur zweiten Runde von „Zwei-plus-vier“

Zum Auftakt ihrer zweiten Gesprächsrunde über die deutsche Einheit durften die Außenminister der ehemaligen Siegermächte in Anwesenheit ihrer Kollegen aus beiden deutschen Staaten erst einmal Geschichte machen: Sie verbannten den Checkpoint Charlie, über Jahrzehnte Symbol des Kalten Krieges, ins Museum. Noch während der Zeremonie wartete der sowjetische Außenminister Schewardnadse mit einer Überraschung auf: Er schlug vor, innerhalb eines halben Jahres nach Bildung des vereinigten Deutschlands das Besatzungsregime zu beseitigen, die alliierten Truppen aus Berlin abzuziehen.

Das historische Ereignis stahl einem Teil der Anwohner in der Berliner Friedrichstraße bereits im Vorfeld die Nachtruhe: Die Vorbereitungen zum Abbau des Checkpoint Charlie, dem „Vorposten zur Freiheit“, begannen im Herzen der noch geteilten Stadt in der Nacht von Donnerstag auf Freitag lautstark: Im Dunkeln zimmerten alliierte Soldaten für 300 Presseleute aus der ganzen Welt eine hölzerne Tribüne zusammen. Anschließend übte das Militär im grellen Licht der Grenzscheinwerfer die Ankunft der Zwei-plus-vier -Außenminister - mit schwarzer Limousine und einer strammen, militärischen Begrüßung.

Freitag morgen, 6.30 Uhr: Noch ist es möglich, am Kiosk Ecke Friedrich- und Kochstraße Zeitungen zu kaufen. Doch ab neun Uhr drängt die Westberliner Polizei die Schaulustigen vom Schauplatz weg. Gegen den Sicherheitsabstand hilft auch die patriotische US-Flagge nicht. Selbst taz -MitarbeiterInnen haben Schwierigkeiten, das nur 50 Meter entfernte Redaktionsgebäude in der Kochstraße zu betreten. Rund halb zehn sind dann die postierten Scharfschützen der Polizei auf den Dächern der umliegenden Häuser nicht mehr zu übersehen.

Wenige Minuten vor zehn Uhr kommt die erste Kolonne schwerer dunkler Limousinen. Der Wagen mit US-Außenminister James Baker hält noch an der Stelle, an der französiche, britische und US-Soldaten ihren zackigen Gruß leisten. Dann kommt der motorisierte Staatsaufzug mit Roland Dumas, dem französischen Außenminister. Douglas Hurd (Großbritannien) folgt, und spätestens Bundesaußenminister Genscher hält schon zig Meter entfernt von der Gruppe bunter Soldaten, die unbekümmert weiter grüßen - ins Leere. Aus einer Karosse der „D„-Delegation entsteigt Berlins ehemaliger Bürgermeister Willi Brandt. Der Außenminister der DDR, Markus Meckel, kommt zusammen mit Eduard Schewardnadse in einem Wagen.

Die „Abbruch„-Zeremonie wird von Ersatz-Bürgermeisterin Ingrid Stahmer (SPD) eröffnet - West-Berlins Regierender Bürgermeister Momper hält zur selben Zeit seine Rede zum Staatsvertrag im Bundesrat. Auf der flachen Bühne vor dem Häuschen am Checkpoint Charlie erklärt Stahmer - die einzige Frau in der Männerrunde -, daß „Berlin die Trennung Europas am deutlichsten gespürt“ habe. „Nach 42 Jahren haben letzte Woche erstmals wieder der Senat (West-Berlin) und der Magistrat (Ost-Berlin) gemeinsam getagt.“ Sie blicke jetzt „optimistisch in die Zukunft, wenn auch viele Probleme auf Berlin zukommen“.

Dank an die Alliierten. Ost-Berlins Bürgermeister Tino Schwierzina dankt den „Frauen und Männern“, die die Freiheit in der DDR „friedlich erkämpft“ hätten, der Demokratiebewegung in Osteuropa und der Politik der UdSSR. Berlin wolle Friedensstadt sein, verspricht er, und „Berlin spricht wieder mit einer Stimme“. Journalisten munkeln, daß dies wohl Mompers Stimme sei. Dumas prophezeit, daß „das Europa, das wir zusammen bauen wollen, ein Europa des Friedens sein wird - im Geiste der Solidarität“. Hurd ruft die Tage von 1961 in Erinnerung, als „die ganze Welt auf diesen Ort geschaut“ habe, hier, wo „sich Panzer gegenüberstanden“. Niemand könne es leid tun, „daß der Checkpoint verschwindet“.

Der einzige, der wirklich Neues zu erzählen hat, ist Eduard Schewardnadse. Er will während der im Anschluß beginnenden Zwei-plus-vier-Verhandlungsrunde vorschlagen, für Deutschland eine „endgültige völkerrechtliche Lösung“ zu schaffen. Und dann kommt ein vorzeitiges Weihnachtsgeschenk: Innerhalb der kommenden sechs Monate sollen die Besatzungsmächte gehen und in Berlin „alle Attribute des Sonderstatus“ beseitigt werden. Applaus.

Genscher erinnert an die Luftbrücke und an die Opfer, die an dieser „unmenschlichen Grenze“ ihr Leben ließen. Meckel spricht von der Mauer als einem „Pfahl, der 28 Jahre im Fleisch Europas gesteckt“ habe. Keine Anstrengung dürfe zuviel sein für ein friedliches Leben in Europa. Als Letzter tritt Baker ans Mikrofon. Der Checkpoint sei immer, erinnert er, Stimmungsbarometer für die Ost-West-Beziehungen gewesen: „Wenn es kriselte, waren hier die Spannungen spürbar.“ Doch das Gebäude der drei West-Alliierten sei immer ein „provisorisches Häuschen“ geblieben, um die Teilung Berlins, Deutschlands und Europas als Provisorium zu symbolisieren.

Dann hebt ein Kran das wenige Quadratmeter große Häuschen in die Luft, an dem 28 Jahre nur Alliierte und Ausländer vorbeifuhren durften. Auf einem Lastwagen wird es abtransportiert. Um Punkt 12 Uhr fährt „Charlie“ auf der Kochstraße dahin. Die Hütte kommt in ein Museum. Zehn Meter vor der weißen Demarkationslinie bleibt ein heller Sandstreifen, aus dem drei Abflußrohre gucken.

Dirk Wildt