Arbeitsrecht und Marktwirtschaft

■ Ein Durchgang durch die Prinzipien des Arbeitsrechts der Bundesrepublik / Rechtsgrundsätze werden auch in der DDR Anwendung finden

Der rote Faden, Teil II

Ulrich Mückenberger

In Marktwirtschaften, in denen Waren auf Märkten frei veräußert und erworben werden können, zirkuliert auch Arbeit als Ware. Diese Wirtschaftsform ist keineswegs per se sozial. Sie hat Schäden angerichtet und Leiden gestiftet, die „unsozial“ zu nennen schon untertrieben ist. Im Laufe der Sozialgeschichte sind aber die Folgen dieser Wirtschaftsform durch Maßnahmen abgemildert und gebändigt worden, die der Not, der Demütigung, der Fremdbestimmung der arbeitenden Menschen entgegengerichtet sind und die ihnen in gewissem Umfang Sicherheit und sachliche Behandlung gewährleisten.

Die Sozialordnungen aller westlichen Industrienationen sind von diesem Spannungsverhältnis geprägt. Sie unterscheiden sich danach, ob sie (wie die USA, Großbritannien oder die Schweiz) mehr das Element des „freien Marktes“ oder (wie Schweden, Holland, Frankreich oder die Bundesrepublik) mehr das Element des „sozialen Schutzes“ betonen. Aber ungeachtet die Unterschiede findet sich in den Rechtsordnungen all dieser Länder immer beides: die Garantie des marktförmigen Umgangs mit Arbeit und die Garantie des Schutzes vor bestimmten Folgen dieses Umgangs.

Folgende Elemente - jeweils mit den wichtigsten Rechtsgrundlagen aufgeführt - können als Grundbausteine der Sozialordnung der Bundesrepublik bezeichnet werden:

1. Gewerbefreiheit: Voraussetzung der geltenden Sozialordnung ist die Gewerbefreiheit, also die Befugnis von Privatpersonen, innerhalb gesetzlicher Grenzen jedes Gewerbe zu betreiben (siehe § 1 Gewerbeordnung - GewO -; ferner Artikel 12 des Grundgesetzes - GG). Die Gewerbefreiheit baut ihrerseits auf dem Privateigentum an Grund und Boden sowie an Produktionsmitteln (siehe Artikel 14 GG; § 903 Bürgerliches Gesetzbuch - BGB -), dem Erbrecht (Artikel 14 Absatz 1 Satz 1 GG) sowie auf der allgemeinen Vertragsfreiheit auf (siehe Artikel 2 GG; und wieder § 903 BGB).

2. Arbeitsvertragsfreiheit: Bestandteil der allgemeinen Vertragsfreiheit ist die Arbeitsvertragsfreiheit. Das ist die Befugnis von Arbeitgebern und Arbeitnehmern, einen Arbeitsvertrag abzuschließen und dabei den Vertragsinhalt frei zu gestalten (siehe Artikel 2 und 12 GG; ferner § 105 GewO). Die Arbeitsvertragsfreiheit wird begrenzt durch zwingende gesetzliche Bestimmungen (etwa solche, die Dauer und Lage der Arbeitszeit, die die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall oder die den Kündigungsschutz regeln: zum Beispiel Arbeitszeitordnung - AZO -, Bundesurlaubsgesetz BUrlG -, Lohnfortzahlungsgesetz - LFZG - oder Kündigungsschutzgesetz - KSchG). Zunehmendes Gewicht gewinnt das Verbot der Frauendiskriminierung im Erwerbsleben (siehe Artikel 119 des EWG-Vertrages; Artikel 3 Absatz 2 GG; §§ 611 a und b BGB). Die Arbeitsvertragsfreiheit wird weiter begrenzt durch dem Einzelarbeitsvertrag übergeordnete kollektive Vereinbarungen (Tarifverträge, Betriebsvereinbarungen in der Privatwirtschaft/Dienstvereinbarungen im öffentlichen Dienst), sofern diese auf das Arbeitsverhältnis anwendbar sind (siehe § 4 Abs. 1 Tarifvertragsgesetz - TVG -; ferner zum Beispiel § 77 Absatz 4 Betriebsverfassungsgesetz BetrVG -). Im Falle solcher Beschränkungen besteht die Arbeitsvertragsfreiheit meist noch darin fort, daß zwischen den Arbeitsvertragsparteien Regelungen ausgehandelt werden dürfen, die für den Beschäftigten oder die Beschäftigte güngstiger sind als die gesetzlichen, tariflichen oder betrieblichen Normen (sog. „Günstigkeitsprinzip“: siehe etwa § 4 Absatz 3 TVG).

3. Kündigungsrecht: Kehrseite der Arbeitsvertragsfreiheit ist, daß das Arbeitsverhältnis von beiden Seiten durch einseitige Erklärung (Kündigung) aufgehoben werden kann (siehe zum Beispiel §§ 621 ff. BGB). Dabei müssen gesetzliche oder vereinbarte Fristen eingehalten werden. Da der Arbeitsplatzverlust ArbeitnehmerInnen ungleich härter trifft als den Arbeitgeber, unterliegen arbeitgeberseitige Kündigungen besonderen Anforderungen und Kontrollen. Diese sind im Kündigungsschutzrecht zusammengefaßt.

4. Weisungsrecht/Gehorsamspflicht: Aufgrund des Arbeitsvertrages entsteht ein Rechtsverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer (Arbeitsverhältnis). Dieses unterscheidet sich von anderen dadurch, daß es von einer gewissen Zeitdauer ist und daß während dieser Zeitdauer die beschäftigte Person in persönlicher Abhängigkeit Arbeit für den Arbeitgeber verrichtet. Grundlegend für das Arbeitsverhältnis ist das Recht des Arbeitgebers, über die Arbeitskraft des Arbeitnehmers innerhalb rechtlicher Schranken nach freiem Ermessen zu bestimmen (sog. Direktions- oder Weisungsrecht des Arbeitgebers) und die Pflicht des Arbeitsnehmers, den Anweisungen des Arbeitgebers zu gehorchen (sog. Gehorsamspflicht des Arbeitsnehmers) (siehe z.B. § 121 GewO). Da die Arbeitnehmer Arbeit für den Arbeitgeber verrichten, fallen das Arbeitsergebnis und die im Verlauf des Betrieblichen Arbeitsprozesses entstehenden Verbesserungen der Produktionsgrundlage allein dem Arbeitgeber zu (sog. Aneignungsrecht).

5. Arbeitsschutz: Gesetzliche Vorschriften schränken die Arbeitsvertragsfreiheit und das Weisungsrecht des Arbeitgebers ein. Der Staat sorgt für deren Einhaltung. Diese Vorschriften werden im Arbeitsschutzrecht zusammengefaßt. Maßgeblich für den öffentlich-rechtlichen Arbeitsschutz sind einmal die Gewerbeordnung (§§ 120 a bis 120 e GewO - mit Ausführungsbestimmungen und der Gewerbeaufsicht als Kontrollinstrument) und zum anderen die Reichsversicherungsordnung - RVO (vor allem § 708 RVO - mit der Befugnis zum Erlaß von Unfallverhütungsvorschriften UVV - und mit den Berufsgenossenschaften, den Trägern der gesetzlichen Unfallversicherung, als Kontrollinstrument). Angesichts der neuen Informations- und Kommunikationstechnologien hat in der Sozialordnung der Persönlichkeits- und Datenschutz an Bedeutung gewonnen, dem das Bundesverfassungsgericht den Charakter eines „Grundrechts auf informationelle Selbstbestimmung“ zuerkannt hat. Daneben bestehen traditionellerweise Schutzgesetze, die vor allem die Arbeitszeit sowie den Schutz besonders bedrohter Personengruppen (zum Beispiel Mutterschutzgesetz, Jugendarbeitsschutzgesetz, Schwerbehindertengesetz) betreffen.

Die neuere Gesetzgebung (zum Beispiel Immissionsschutz-, Chemikalien-, Abfall- oder Wasserhaushaltsgesetze) zeigt gewisse Bereitschaft, auf betrieblicher Ebene Normen und Institutionen zu verankern, die die von Betrieben ausgehenden Umweltbelastungen sichtbar machen, begrenzen oder verhindern sollen. Eine systematische Integration von Arbeits- und Umweltschutz steht aber auch in der Bundesrepulik noch aus.

6. Koalitionsfreiheit: So wie die Vertragsfreiheit auf Kapitalseite Kooperation und Zusammenschluß ermöglicht (Kartell, Fusion usw.), so schließt sie auch den Zusammenschluß abhängig Beschäftigter ein. Die Freiheit der Arbeitsvertragsparteien zum Zusammenschluß untereinander (Gewerkschaften, Arbeitgeberverbände) zur Wahrnehmung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen ist in Gestalt der Koalitionsfreiheit gesondert gewährleistet (Art. 9 Abs. 3 GG). Die Koalitionsfreiheit schließt die Bildung und Existenz der Koalitionen, das Beitrittsrecht als auch das individuelle und kollektive Recht zu koalitionsgemäßer Betätigung ein. Dazu gehören:

-Der Abschluß von Kollektivvertägen (Tarifverträgen) für die in Gestalt des Tarifvertragsgesetzes ein staatliches Instrumentarium bereitgestellt ist;

-der Arbeitskampf als Druckmittel zur Erzielung von tariflichen Regelungen von Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen (Art. 9 Abs. 3 GG, konkretisiert durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesarbeitsgerichts).

7. Tarifautonomie: Während das Arbeitsschutzrecht der Arbeitsvertragsfreiheit entgegengerichtet ist, indem es öffentlich-rechtliche Beschränkungen auferlegt, führt das Taifvertragsrecht lediglich zu einer Umgestaltung der Arbeitsvertragsfreiheit. Es entwickelt diese zu einer kollektiven Freiheit - einer Vertragsfreiheit im Verhältnis von Zusammenschlüssen der Arbeitsvertragsparteien - fort (sog. kollektive Privatautonomie). Die Freiheit zum Abschluß von Tarifverträgen sowie zum Arbeitskampf unterliegt in der Bundesrepubik zahlreichen Beschränkungen. Die Möglichkeit der Zwangsschlichtung unter staatlicher Beteiligung gibt es jedoch - im Gegensatz zur Weimarer Republik - nicht.

Die Erläuterung zu den Begriffen Betriebsverfassung, Unternehmensmitbestimmung, zu Wirtschafts- und Sozialräten, zur Sozialen Sicherung und dem Rechtsschutz folgen im nächsten Teil der Serie