Kohl wird deutscher Weihnachtsmann

■ Dezembertermin für den gesamtdeutschen Urnengang endgültig / Aussichtsreichster Kandidat: Helmut Kohl / Überraschender Umschwung in der SPD - der Druck kam von der Basis / Fünf-Prozent-Klausel weiter umstritten / Bündnis 90, Liberale, DSU und PDS betroffen

Berlin (taz) - Mitten im Weihnachtsrummel werden sich die Kontrahenten um die gesamtdeutsche Kanzlerschaft in den Ring werfen. Dem von der CDU vorgeschlagenen Termin steht jetzt nichts mehr im Wege. Am Wochenende fielen die Sozialdemokraten um und stimmten dem 16. Dezember zu. Länderwahlen wollen sie Anfang Oktober abhalten, die CDU hatte den 23.September vorgeschlagen. Damit hat sich die letzte Hürde auf dem Weg zur schnellen Einheit selbst aus dem Weg geräumt.

Angesichts der heftigen Einwände, die die Sozialdemokraten/Ost gegen den gesamtdeutschen Wahltermin noch in diesem Jahr geäußert hatten, kam der Rückzieher überraschend. Außenminister Markus Meckel hatte sich immer vehement gegen die Wahl noch in diesem Jahr geäußert. Mit der Begründung, zunächst müßten alle außenpolitischen Fragen geklärt sein, rückte er den Termin ins nächste Jahr. Auch der neugewählte Parteivorsitzende Wolfgang Thierse sah gesamtdeutsche Wahlen im gebührenden Abstand zu Länderwahlen. Und Geschäftsführer Stefan Hilsberg meinte gar, Länderwahlen in so kurzer Zeit werde es mit den Sozialdemokraten nicht geben.

Der Druck kam von der Basis. In der letzten Woche haben sich alle DDR-Landesvorsitzenden für den Dezembertermin ausgesprochen. Auch Teile der Fraktion setzten sich massiv dafür ein. Einige Abgeordnete hätten am liebsten schon in der letzten Woche dem Antrag in der Volkskammer auf Beitritt nach Artikel 23 zugestimmt. Man habe es deshalb als „unrealisitisch“ angesehen, hieß es gestern aus Ost-Berlin, den Termin weiter hinauszuschieben. Außerdem wollte man diese Debatte endlich vom Tisch haben. Übrig geblieben ist nur noch ein kleines Häuflein Widerständler um Markus Meckel, die gerne noch eine Weile DDR spielen würden.

Inzwischen tut sich ein neuer Streit um die Sperrklausel für Parteien zum Einzug ins Parlament, die sogenannte Fünf -Prozent-Hürde, auf. Die SPD-West und die Liberalen lehnen den Vorschlag der CDU-Ost auf unterschiedliche Sperrklauseln ab, und wollen, daß nach einheitlichem Recht und der bisherigen bundesdeutschen Regelung gewählt wird. Die Sozialdemokraten-West drohen nach Informationen der 'FAZ‘ gar mit einer Verfassungsklage, sollten in der BRD und der DDR unterschiedliche Prozenthürden gelten. Die bayerische CSU und die Ost-CDU dagegen sind für die Reduzierung der Sperrklausel für die DDR auf drei Prozent.

Der Vorschlag, nach unterschiedlichen Wahlgesetzen zu wählen, war von der CDU-Ost ausgegangen. Sie will damit Bürgerbewegungen und Gruppen, die im November auf der Straße waren und jetzt in der Volkskammer vertreten sind, auch für das gesamtdeutsche Parlament eine Chache geben. Damit werde das, was „DDR-Identität“ genannt wird, „von der politischen Lyrik zur parlamentarischen Realität“ geführt werden. Es sei nicht sinnvoll, wenn diese in die außerparlamentarische Opposition gedrängt würden, verlautet es aus der CDU -Zentrale. Betreffen würde das neben dem Bündnis 90, den Liberalen und der DSU auch die PDS. Die CDU fürchtet, die PDS könnte dann die außerparlamentarische Bewegung majorisieren.

Die DDR-SPD hat sich auf der Sitzung des Parteirates am Samstag der Meinung der West-SPD angeschlossen und lehnen unterschiedliche Sperrklauseln ab.

Auch Otto Graf Lambsdorf ist gegen zweierlei Wahlrecht. Auf dem traditionellen Fest der Liberalen im Vogelsberg sprach sich Lambsdorf gegen ein DDR-Wahlgesetz mit „Rettungsringen“ für PDS und DSU aus. „Entweder sie kommen über fünf Prozent oder sie bleiben aus einem demokratisch gewählten Parlament weg“, meinte Lambsdorff mutig, denn daß es die Liberalen schaffen werden, bei gesamtdeutschen Wahlen die Fünf-Prozent -Hürde zu überspringen, ist keineswegs sicher.

Brigitte Fehrle