Der Gewohnheitsschuldige

■ Michael Klügls Öffentlichkeitsarbeit am „Bremer Theater“: offensiv aber Teil des Stühlerückens

Michael Klügl sitzt an seinem, provisorisch in „Milse-West“ untergebrachten Schreibtisch, den er mit einem weiteren Öffentlichkeits-Mitarbeiter teilt, durch das Fenster bohrt das tägliche Rummdumm des Theaterumbaus. Der Leiter der Öffentlichkeitsarbeit des „Bremer Theaters“, 36 Jahre, aus Frankfurt, von Haus aus Musikdramaturg, stellt Material für das nächste Theaterheft zusammen. Er grinst. „Sehen Sie mal, was ich hier grad habe.“ Es ist taz-Kritik und Kommentar der Berichterstatterin zur letzten Inszenierung von „Was ihr wollt“ von Andras Fricsay, (“...das mätzchenaufgemotzte, das mitleiderregend-schlechteste Theater, das ich glaube, je gesehen zu haben...“) Die Berichterstatterin wundert sich. „Sowas kommt doch bestimmt nicht ins Heft. Ist es nicht Ihr Job hier, Lehm als Gold auszugeben?“

In dieser Auffassung von der Öffentlichkeitsarbeit hatte mich

jüngst diejenige von Michael Klügls Vorgesetztem, Generalintendant Richter, bestätigt. Drückt sich in der taz ein Quentchen des in Bremen vagabundierenden Unmuts über das „Bremer Theater“ aus, dann stellt Tobias Richter mithilfe des Weser-Kuriers flugs die heile Welt wieder her: Daß niemand über das (von Richter verantwortete) Musiktheater spreche, spiegele eine „gewisse Krise der Kritik“ wieder, konnte man da aufatmend Dr. Marzlufs Spitzengespräch vom 1. 6. 90 entnehmen, und daß im Zusammenhang mit dem Schauspiel von Scheitern gesprochen wird, dem „muß“ Richter „widersprechen“ unter Zuhilfenahme prozentualer Zuschauergewinne: „Das heißt zumindest für mich, daß die Aufführungen nicht vom Publikum auch besucht würden.„(!)

Aber wir reden hier ja über das von Klügl selbst verantwortete Arbeitsgebiet. Und da findet der, den Ur-und Klartext zu meiner

Frage wieder herstellend, daß „aus Scheiße Gold machen“ nichts bringt. Er z.B. will mit den Problemen des Theaters „offensiv umgehen“. Das bedeutet auch, Negativkritiken im Theaterheft erwähnen, kritische Editorials drucken und „Kontroversen offenlegen.“ On verra.

Klügl hat sich auch ein designerisches Gesamtkonzept ausgedacht, das alles von den Theaterprogrammheften bis zu Plakaten umfassen soll: „das Packpapierkonzept“. So in diesem bräunlichen Packpapier, in dem er jetzt die Spielplanvorschau herausgebracht hat, sollen auch die folgenden Hefte sein, in dieser „Mischung von Schlichtheit und Eleganz“, „ein bißchen ärmer, aber vom Design ein bißchen überlegter.“ Gedacht auch als Alternative zu der grün und orange ätzenden DADA-Offensive der jetzigen Werbung einer privaten Agentur, die mehr und mehr zur generellen NICHT DA-Metapher für ein diskussionswürdiges Schauspiel geworden ist.

Plakate hatte es zuletzt aus Spargründen gar nicht mehr gegeben. Klügl will wieder welche, reine Schriftplakate, historisierend und natürlich auf Packpapier, auf denen die Sponsoren, die sie ermöglichen, auch offen genannt werden.

Offensivität, Packpapierdesign, eleganter Umgang mit Armut und Sponsoren, trotz und alledem will auch Michael Klügl die Öffentlichkeitsarbeit nur bis Dezember leiten und nicht länger. Er ist Teil des allgemeinen Stühlerückens am „Bremer Theater“. Weggänge, gestopfte und ungestopfte Lücken, wohin man sieht, in Technik, Dramaturgie, bei den Schauspielregisseuren. Und eben auch in der Öffentlichkeitsarbeit. Deren letzter Leiter, Henning Fangauf, ging 1989, weil er die Zusammenarbeit mit Tobias Richter, der ihn ans Bremer Theater geholt hatte, unkooperativ und unerträglich fand. Michael Klügl ist in die Lücke gesprungen, will sie aber nur bis Dezember füllen. Warum? Nein, mit dem Intendanten kommt er gut aus, sagt er, aber die Öffentlichkeitsarbeit betrachte er nur als Fortbildung. Der promovierte Ex-Leiter diver

ser Chöre und des Marburger linksradikalen Blasorchesters, zuletzt Chefdramaturg in Oberhausen, war als Operndramaturg nach Bremen gekommen und Oper, das ist das, was er wieder machen will.

Aber es gibt auch strukturelle Unlustgründe. Außer in schlechtem Gehalt und schlechter Zusammenarbeit mit der Dramaturgie liegen die in der Scharnier

funktion des Ressorts: Es ist der Sündenbock schlechthin. „Wenn eine Vorstellung wie 'Fortschritt‘ nicht verkauft ist, dann ist klar: Das ist die Öffentlichkeitsarbeit.“ Wenn das Theater in der Öffentlichkeit nicht gut ankommt, „die Schuldigen sitzen immer in der Öffentlichheitsarbeit.“ Eine Schuld, für die sich im Augenblick viele Anlässe finden.

Uta Stolle