„Kein Ruhmesblatt“

■ Baumschützer befürchten über kurz oder lang großflächiges Absterben des Tiergartens / Gestern war Baumführung durch den kranken Park

Tiergarten. Wer kennt sie nicht, die Waldesluuust, wo so herrlich schlägt die Bruuust. Gestern war Tag des Waldes und die Berliner Baumschutzgemeinschaft lud zu einer Führung durch den Tiergarten. Den meisten der Teilnehmer verklemmte sich allerdings die Brust angesichts der verkümmerten und halbabgestorbenen Baumexemplare, derer sie im Englischen Garten ansichtig wurden. Unmittelbar am Großen Stern sind die Wipfel der Eichen, Buchen und Eiben kahl. Wie Staubwedel ragen einzelne Äste in die Luft. Die Blätter der Bäume sind mit einem schwarzen Film von Abgasen und Schwermetallen überzogen. Die Baumschützer sehen den Tiergarten insgesamt in Gefahr und befürchten ein großflächiges Absterben. Hunderttausende von Autos, die täglich den Tiergarten durchfahren, produzieren Stickoxide. Die zunehmende Ozonbildung in Verbindung mit Kohlenwasserstoffen greift die Zellmembranen der Pflanzen an. Die Bäume reagieren mit „verkorkten“ Zweigen, das heißt, sie stoßen ihre eigenen Äste ab oder helfen sich mit einer „Notbelaubung“ an den Hauptästen, die normalerweise keine Blätter tragen. „Kein Ruhmesblatt“, so das Motto der Führung, sei der Zustand des Tiergartens, erklärten Klaus Piela und Dr. Wolfgang Endler.

Eigentlich müßte es nach ihrer Auffassung Aufgabe der Gartenbauämter sein, die Bevölkerung auf die Belastungen der Bäume durch Umweltgifte aufmerksam zu machen. Die Ämter allerdings sorgten durch „Harken und Fällen“ eher dafür, daß vorzeitiges Herbstlaub und kranke Bäume dem Spaziergänger gar nicht erst bewußt würden. Dringend warnten die Baumschützer vor einer Randbebauung des Tiergartens. Die ohnehin im Bezirk höchstbelastete Luft würde sich durch eine solche Maßnahme weiter verschlechtern und der „grünen Lunge“ endgültig den Garaus machen. Mindestens für die sogenannten „Sommersmogtage“ fordern die Baumschützer ein Fahrverbot: „Wir sollten uns besinnen, daß wir mit Beinen und nicht mit dem Steuerrad geboren wurden“.

Sigrid Bellack