Lockenwicklerrealismus

■ ARD setzt tschechische Spielfilmreihe mit Dusan Hanaks „Stille Freude“ fort

Im Mittelpunkt der fünfteiligen Reihe, die die ARD dem tschechischen Film widmet, steht zwangsläufig die Verarbeitung des nunmehr Geschichte gewordenen realexistierenden Sozialismus. Eindeutig und übermächtig sind dessen Aus- und Einwirkungen auf ein zumal häufig zensiertes Filmschaffen. Wer jedoch in den vorgestellten Werken von Dusan Hanak und Jiri Menzel eine harsche Abrechnung erwartet, wird überrascht sein, wie vergleichsweise harmlos und beiläufig diese ausfällt.

Nach der grotesk-melancholischen Geschichte um die vergebliche Liebesmühe des alkoholabhängigen Junggesellen Pista (Ich liebe, du liebst, 1980), mit dem die Reihe letzten Montag startete, ist Dusan Hanaks Stille Freude von 1985 ein weiteres Beispiel für die sehr indirekte, mit langem Atem vorgetragene Auseinandersetzung mit dem realsozialistischen Alltag. Zurückhaltend erzählt Hanak die Geschichte der sich emanzipierenden Krankenschwester Sona, um am Rande ebenso heiter-beschwingt wie präzise Bilanz mit dem System zu ziehen. Sonas Mann Emil, ein latent sadistischer Kurzwellenamateur, hat für Sonas Bedürfnisse kein Verständnis. Nachdem sie bei ihrem hündisch von seiner Mutter umsorgten Mann ausgezogen ist, bekommt sie wegen ihrer anfangs recht vielversprechenden Beziehung zum verheirateten Stationsarzt Macko berufliche Schwierigkeiten und muß den Arbeitsplatz wechseln. Mackos Ehefrau ist eine kaltschnäuzige Schwarzmarktdealerin, die wie die meisten anderen persönliche Bindungen als Mittel für materielles Fortkommen benutzt. Über einen netten Krankenpfleger lernt Sona die Schwarzmarktkoryphäe Gruscha kennen, die statt Zement und Radios mit milder Ironie ägyptische Katzen und ungarische Küchenrezepte feilbietet. Ganz nebenher führen Sonas Bestrebungen nach persönlicher Unabhängigkeit zu einer Abkehr von fetischisierten Konsumgütern. Am Ende dieses unprätentiös geschilderten Prozesses steht die Einsicht, daß andere Formen des Zusammenlebens möglich sind.

Am politischsten erscheint noch Jiri Menzels Lerchen am Faden (am 23.7.), dessen 21 Jahre verspätete Aufführung auf der diesjährigen Berlinale mit dem Goldenen Bären prämiert wurde. Im hoffnungsvollen Klima des Prager Frühlings gedreht, sollte der Film eine künstlerische Verarbeitung der stalinistischen Umerziehung sein, verschwand jedoch nach der Niederschlagung 1968 gleich wieder in den Giftschränken. Skurril und handwerklich bereits sehr gediegen ist Menzels Ende der alten Zeiten von 1989 (am 6.8.). Auf Schloss Kurzweil, das vom neureichen Stoklasa verwaltet wird, nistet sich der rätselhafte Fürst Megalrogov ein und betört die unbeholfen um Mondänität bemühte Gesellschaft mit der aristokratisch versierten, schlagfertigen Unerschrockenheit eines Baron Münchhausen.

Manfred Riepe