Plötzlich predigt Frankreich Demokratie

Die Wende in der neuen Afrika-Politik Mitterrands läßt einigen Autokraten wie Zaires Mobutu immer noch genug Spielraum  ■  Aus La Baule Knut Pedersen

„Man spricht hier zu uns, als ob sich Demokratie so einfach umpflanzen ließe. Das stimmt nicht. Wir sind mit Fran?ois Mitterrand nicht einverstanden. Er erteilt uns Lektionen, und das ist alles andere als demokratisch.“ In einem Radiointerview hat es der Präsident des ostafrikanischen Kleinstaates Ruanda, Habyarimana, am Donnerstag tapfer mit dem französischen Lehrmeister aufgenommen. Er ist der einzige geblieben - von 26 in die westfranzösische Badestadt La Baule angereisten afrikanischen Staatschefs. Offensichtlich hat keiner von ihnen protestiert, aber im Stillen haben alle gemurrt. Nach 30 Jahren heilloser Komplizität mit seinen afrikanischen Statthalterregimen predigt Frankreich den Diktatoren des schwarzen Kontinents nun die Tugend demokratischen Wandels.

„Habt Vertrauen in die Freiheit. Sie ist kein heimlicher Feind, sondern euer bester Freund“. Fran?ois Mitterrand hat seinen afrikanischen Kollegen die Demokratie ans Herz gelegt - ohne freilich präzise Bedingungen zu stellen. „Demokratie ist ein universelles Prinzip, aber jeder geht den Weg im eigenen Rhythmus.“ Das läßt Spielraum für Autokraten wie den zairischen Staatschef Mobutu. Nach dem Studentenmassaker in der Nacht vom 11. auf den 12.Juni in Lumbumbashi, in der kupferreichen Shabaprovinz, war der Marschall aus Kinshasa freilich nicht ausgereist. Nach Augenzeugenberichten sollen Soldaten in einem nächtlichen Gemetzel auf dem Campus mehr als fünfzig Studenten getötet haben. Eine Untersuchungskommission des zairischen Parlaments hat freilich nur einen Toten gefunden. Unabhängigen Menschenrechtsexperten wird die Einreise verweigert. Angesichts solcher Wirklichkeit, was bedeutet die „Wende“ der französischen Afrikapolitik? „Wir schaffen ein Klima, in dem Diktatoren auf Dauer Atemnot haben werden“, erklärt ein französischer Diplomat. Die Sozialistische Partei wird ihrerseits „nunmehr offiziell afrikanische Dissidenten empfangen“. In der Vergangenheit war das aus „Solidarität“ mit der Regierung nicht erlaubt. Zumal die Afrikapolitik seit 30 Jahren direkt im Elyseepalast zentralisiert ist: Fran?ois Mitterrands Sohn, der ehemalige 'afp'-Journalist Jean-Christophe Mitterrand, verwaltet seit Oktober 1986 die „afrikanischen Hoheitsrechte“ des französischen Präsidenten. Seit de Gaulle hat sich daran nichts geändert. Was sich geändert hat, ist die geopolitische Bedeutung Afrikas für Frankreich. In der Vergangenheit diente der Kontinent als „diplomatisches Tam-Tam“, um Frankreichs „grandeur“ in der Welt und, vor allem, vor den Vereinten Nationen zu verteidigen. Der Preis für das Votum der ehemals afrikanischen Kolonien wurde mit politischem, militärischem und wirtschaftlichem Beistand beglichen: 7.000 französische Soldaten sind in Afrika stationiert, und rund 8 Milliarden DM werden jährlich als öffentliche Hilfe in Afrika verteilt. Von Demokratie hat man dagegen selten gehört. In den Reden Fran?ois Mitterrands auf den fünf vorangegangenen französisch-afrikanischen Gipfeln taucht das Wort nicht ein einziges Mal auf. Das soll - und kann - nun anders werden. Aus französischer Sicht bedeutet die Schwächung der sowjetischen „Hegemonialmacht“ auch das Ende „permanenter Erpressung“. Wenn Paris sich gegenüber afrikanischen Herrschern nicht willfährig zeigte, wurde in der Vergangenheit mehr oder weniger offen mit dem „Kommunistischen Bruder“ gedroht. Welche Bedeutung solcher „Erpressung“ tatsächlich zukam, ist schwer auszumachen. Guinea und später Benin sind aus der französischen Einflußsphäre ausgebrochen. Aber die erhoffte massive Hilfe aus den „sozialistischen Bruderländern“ blieb aus. Der Senegal ist - seit zehn Jahren - das einzige „demokratische Land“ im französischsprachigen Afrika. Meinungs- und Pressefreiheit werden hier weitgehend respektiert, aber das heikle Problem demokratischen Machtwechsels bleibt noch immer „undenkbar“. Gleichwohl hat sich der senegalesische Staatspräsident Abdou Diouf zu Recht über die von Frankreich angekündigte „demokratische Zulage“ gefreut. Sie bedeutet für ihn erhöhte Hilfszahlungen. Andere - von Gabun über den Kongo bis zur Elfenbeinküste - haben mit der Hand auf dem Herzen ihre Bereitschaft zu „demokratischer Öffnung“ proklamiert. In der Wirklichkeit bedeutet das oft nur, daß der Einheitspartei „linke“ und „rechte“ Flügel wachsen... In einigen Ländern ist der Widerstand gegen Parteien- und Gewerkschaftspluralismen dagegen offen und massiv. Das jedenfalls behaupten die Herrscher in Mali, in Togo, in Kamerun und in der Zentralafrikanischen Republik. „Mein Volk will keinen Mehrparteienstaat aus Angst vor neuen Stammesfehden“, behauptet Togos General Exadema. „Ich kann es ja niemandem aufzwingen.“ Solche „Skrupel“ kennt die neue Afrikapolitik Frankreichs kaum. Wo es opportun erscheint, kann Paris nunmehr seine demokratische Vorreiterrolle spielen. Wo hingegen „strategische Interessen“ auf dem Spiel stehen, kann die französische Regierung das Argument vom „Ethno-Zentralismus“ strapazieren. „Wir müssen die Souveränität der afrikanischen Staaten, den Entwicklungsstand ihrer Gesellschaften und vorherrschende Mentalitäten respektieren“, hat Fran?ois Mitterrand bereits angekündigt. Unter dem Mantel solchen Respekts lassen sich im Bedarfsfalle die Makel „befreundeter Regime“ verbergen. Letztendlich ist in La Baule ein neuer „Pakt“ ausgehandelt worden. Einerseits „ermutigt“ Frankreich demokratische Reformen und zieht sich aus einer allzu exponierten Position zurück: die in vielen afrikanischen Ländern den Herrschern „ausgeliehenen“ französischen Polizisten und Soldaten werden nach Frankreich zurückgerufen. „Wir dürfen nicht als repressive Helfer von Diktatoren erscheinen“, erklärt ein französischer Diplomat. Andererseits hat Paris aber auch neue Verpflichtungen auf sich genommen: Vor allem die Schuldenlast Afrikas soll erleichtert werden. In einem Wort: Wirtschaftlich soll entschuldet, aber politisch von nun an weniger entschuldigt werden.

In einem ersten Schritt hat Frankreich die Umwandlung seiner Hilfskredite in reine „Gaben“ ohne Rückzahlverpflichtung angekündigt. Diese Maßnahme betrifft die 35 ärmsten Staaten Afrikas. Für vier besser entwickelte Länder - Elfenbeinküste, Kamerun, Kongo und Gabun - wurde der Zinssatz künftiger Kredite um die Hälfte (von 10 auf 5 Prozent) herabgesetzt. Diesen von Frankreich einseitig dekretierten Hilfsleistungen soll ein „internationaler Rahmenplan“ folgen. Er müßte, so die französische Position, „neue, multilaterale Schuldenerlaßmechanismen“ und einen „internationalen Hilfsfonds“ vorsehen. Fran?ois Mitterrand hat seinen „afrikanischen Freunden“ versprochen, daß er sich nächste Woche auf dem europäischen Gipfel in Dublin und, im Juli in Houston, auf der Gipfelkonferenz der sieben führenden Industrienationen für die afrikanischen Interessen „entschieden einsetzen“ werde.

Bereits zugesagt hat der französiche Staatschef, daß die bestehende Währungsunion mit sechzehn afrikanischen Staaten den gemeinsamen europäischen Markt nach 1992 überleben wird. „Was für den französischen Franc gilt, wird in gleicher Weise auch für die afrikanische CFA-Währung gelten“, hat Fran?ois Mitterrand versprochen. Der freie Entritt in die „Festung Europa“ hat freilich Voraussetzungen. „Afrika muß seine zersplitterten Märkte ebenfalls vereinheitlichen und zusammenschließen.“ Bislang macht der innerafrikanische Handel nur rund 5 Prozent des Gesamtvolumens aus. „Wir müssen die Wirtschaftsintegration vorantreiben und sogar an politische Föderationen denken“, hat der senegalesische Präsident Diouf die Forderung Mitterrands aufgegriffen. „Nach dreißig Jahren Unabhängigkeit haben alle Staaten gezeigt, wozu sie fähig und unfähig sind. Nachdem es uns gestern nicht gelungen ist, unsere panafrikanischen Träume zu verwirklichen, ist es vielleicht heute leichter, gemeinsam unsere Schwächen zu überwinden.“