Jämmerliche Tradition

Die DDR-SPD stimmt dem Dezember-Wahltermin zu  ■ K O M M E N T A R

Die Überraschung hält sich in Grenzen. Was der vollmundig propagierte Mitgestaltungsanspruch der DDR-SPD wert ist, mit dem ihre Regierungsbeteiligung ursprünglich begründet wurde, ist seit der Panik, die Lafontaines Staatsvertrag-Eskapaden bei den Genossen in Ost-Berlin auslösten, offenkundig. Zwar gibt es allenthalben Klagen über den Zeitdruck, unter dem die staatliche Vereinigung durch die Instanzen gepeitscht wird; doch substantielle Gegenentwürfe, die die DDR-SPD aufgrund ihrer Schlüsselfunktion in der Volkskammer mit Gewicht hätte einbringen können, blieben aus. Mit dem Beschluß des Parteirates, gesamtdeutschen Wahlen im Dezember zuzustimmen, knüpfen die Sozialdemokraten jetzt nahtlos an diese traurige Tradition an.

Geht man davon aus, daß die SPD dem konservativen Übernahmekonzept unter faktischem Ausschluß des Parlaments ohnehin nichts entgegensetzen will, ist der Beschluß vom Wochenende konsequent. Nur sollte die DDR-SPD doch die Argumente nachliefern, die ihre bislang vorgetragenen Einwände gegen schnelle Wahlen entkräften. Die außenpolitische Integration des Einigunsprozesses - so hieß es bis zum Wochenende bei prominenten DDR-SPDlern - sei mit dem unrealistischen Wahltermin nicht zu machen; die Etablierung der Länder bedürfe angemessener Vorbereitung; vor allem bei den Verhandlungen zum Procedere der Vereinigung dürften nicht erneut die Vorstellungen der Genossen mit vorab gesetzten Terminen ausgehebelt werden...

Mit der Zustimmung zur Dezember-Wahl hat sich die SPD erneut ohne Not dem Zeitdruck unterworfen, der die Einwände hinfällig macht und die vorgeblich eigenen Perspektiven zu bloßen Sandkastenspielen degradiert. Die Kopplung des Beitritt-Artikels 23 mit den Grundgesetzbestimmungen für eine neue, gesamtdeutsche Verfassung wird es ebensowenig geben wie die von der SPD immer wieder ins Spiel gebrachte Volksabstimmung. Hinter der Zustimmung zum Wahltermin verbirgt sich die ganze Unlust der SPD, die propagierten Ansprüche auf dem Weg zur Einheit durchzusetzen zu wollen. Die Dezember-Wahl verschafft der SPD den Sachzwang, den sie braucht, um mit ihren wohlmeinenden Vorbehalten gegen das konservative Einheitskonzept nicht ernst machen zu müssen.

Wäre der Wahltermin nicht von Lambsdorff ins Spiel gebracht worden, die SPD hätte ihn erfinden müssen. So kann sie weiterhin ihre Strategie des „als ob“ betreiben. Doch nach dem Wochenende wird es für die SPD noch schwieriger, den Schein der Alternative aufrecht zu erhalten. Immer im Schatten Kohlscher Vorgaben, gewinnt sie Profil nur in der Klage über die verpaßten Chancen. Das wird am Wahlabend im Dezember kaum anders sein.

Matthias Geis