Straßenmusikanten

Der Bratschist Lothar de Maiziere entläßt sein ehemaliges Orchester  ■ G A S T K O M M E N T A R

Niemand wird in diesen Zeiten sagen können, er habe nichts Böses geahnt. Bis zu 1.400 Mitarbeiter der in Ost-Berlin ansässigen Sender sollen in den nächsten Wochen entlassen werden. Im Herbst steht nach dem Willen der Regierung die Kündigung sämtlicher Klangkörper des DDR-Rundfunks bevor. Das sind: die Rundfunk-Sinfonie-Orschester, die Rundfunk -Chöre und die Rundfunk-Orchester in Leipzig und Berlin, die Radio-Big-Band, das Rundfunk-Tanz-Streichorchester, das Rundfunk-Blasorchester. Die Rundfunk-Sinfonie-Orchester sind die ältesten Rundfunkorchester Deutschlands mit so illustren Namen wie Abendroth, Celebidache, Jochum, Furtwängler in ihrer Ahnengalerie. Sie haben einen festen Platz in der Musiklandschaft in der DDR. Das belegen Schallplatten, Rundfunktourneen und nicht zuletzt die seit Jahrzehnten ausverkauften Abo-Konzerte in Berlin und Leipzig.

Daß nun mit einem derart radikalen Kahlschlag in der Kulturlandschaft der Noch-DDR begonnen wird, lehrt selbst den hartgesottensten Kulturpessimisten das Fürchten. Warum gerade jetzt dieser Austrieb? Wirklich nur aus Geldmangel? Der Rundfunk könnte sich selbst finanzieren, wenn die Gebühren - wie in der BRD - bei sechs Mark lägen. Dem DDR-Rundfunk werden aber voraussichtlich (wenn überhaupt) nur vier Mark zugebilligt. Im Positionspapier des Bundesfachausschusses Medien der CDU-West steht es klipp und klar: „Abzulehnen ist die Gründung nur einer einzigen DDR -Rundfunkanstalt, die die gesamte DDR umfaßt.“ Weiter heißt es: „Es sollte vertraglich sichergestellt werden, daß in der Zeit bis zur Vereinigung keine Maßnahmen getroffen werden, die einer Verwirklichung dieser Ziele entgegenstehen oder diese erschweren.“

Es geht um die Zerschlagung der zentralen Rundfunkstrukturen in der DDR, damit Frequenzen freiwerden für die entstehenden Landessender, für die etablierten Westsender und für private (!) Sender. Und das geht immer noch am besten und wirkungsvollsten, wenn man den Geldhahn fest zudreht.

Eine Folge wird sein, daß die noch verbliebenen Sender (zumindest mittelfristig) um ihre Existenz fürchten müssen. Außerdem sitzen ein paar Hundert Musiker auf der Straße. Und mit all dem ist möglicherweise schon die Grundregel dafür vorgegeben, wie die zukünftigen Landesregierungen mit den vielen „scheißteuren“ Theatern, Orchestern und Kinos umgehen sollen: schließen, rausschmeißen, weg damit! Im übrigen liest sich das Positionspapier der West-CDU wie eine geheime Verschlußsache der Abteilung Agitation und Propaganda im ehemaligen ZK der SED - allerdings mit umgekehrten Vorzeichen. Analog und gar nicht unpassend ließe sich der Leitspruch der CDU-West aber auch abwandeln: Alle Sender stehen still, wenn Dein starker Arsch es will.

Georg Schwark

Der Autor ist Musiker und Mitglied des Radio Symphonie Orchesters der DDR.