Tauwetter vierzig Jahre nach dem Koreakrieg?

Heute vor vier Jahrzehnten überfielen nordkoreanische Panzer Südkorea / Der erste „Heilige Krieg“ gegen den Kommunismus kostete vier Millionen Menschen das Leben / Während die Berliner Mauer fällt, trennt noch immer ein breiter Todesstreifen die koreanische Halbinsel  ■  Von Henrik Bork

Der Angriff begann in den frühen Morgenstunden des 25. Juni 1950. 89.000 Nordkoreaner überrollten in sieben Divisionen die Demarkationslinie zwischen Nord- und Südkorea. Sie trafen auf einen völlig unvorbereiteten Gegner. Nicht nur waren viele der südkoreanischen Soldaten an diesem Sonntagmorgen noch nicht aus ihrem Wochenendurlaub zurückgekehrt, die verbliebenen Truppen verfügten über keinen einzigen Panzer. So eroberten die Nordkoreaner mit nur 150 sowjetischen T-34-Panzern in drei Tagen die südliche Haupstadt Seoul, in den folgenden Wochen das ganze Land bis auf einen Brückenkopf bei Pusan. Die westliche Welt war schockiert. Nur zwei Jahre nach der Berlin-Blockade geschah, was alle befürchtet hatten: die offene Aggression des Ostens.

Als die Japaner im August 1945 kapitulierten, mußten sie auch auf der koreanischen Halbinsel entwaffnet werden, über die sie seit 1910 als Kolonialmacht geherrscht hatten. Die Sowjetarmee überwachte die Kapitulation nördlich des 38. Breitengrades, die US-Army südlich davon. Wahlen für ganz Korea unter UNO-Kontrolle scheiterten dann am Widerstand der Sowjets. So wurde am 15. August 1948 die Republik Südkorea mit dem konservativen Präsidenten Syngman Rhee gegründet. Im Norden rief der 30jährige ehemalige Offizier der Sowjetarmee Kim Il Sung die Volksrepublik Korea aus.

Auf den überraschenden Angriff der Nordkoreaner reagierten die Amerikaner mit der Entsendung einer UNO-Streitmacht unter General MacArthur. Die Invasionstruppen landeten am 15. September 1950 an der Westküste, zwei Wochen später überschritten sie den 38. Breitengrad, nach sechs Wochen erreichten sie die Grenze zur Mandschurei - der Krieg schien gewonnen.

Doch dann griffen 200.000 chinesische Soldaten auf seiten Nordkoreas in den Krieg ein. General MacArthur erwägte, von dieser Übermacht in die Defensive gedrängt, den Einsatz „der Bombe“ gegen China. Da auch die Sowjets schon Atommacht waren, stand die Welt erstmals am Rande eines Atomkriegs. Doch Präsident Truman entzog dem übereifrigen Haudegen das Kommando. Als beide Seiten am 27. Juli 1953 nach mehr als drei Jahren erbitterten Kampfes einen Waffenstillstand vereinbarten, standen sie sich wieder am 38. Breitengrad gegenüber. Insgesamt waren etwa zwei Millionen Soldaten gefallen. Die gleiche Anzahl koreanischer Zivilisten war getötet worden und Korea von Bombenkratern zersiebt.

Die Amerikaner, die den Konflikt als eine Art „Heiligen Krieg“ des Guten gegen die Mächte der Finsternis begonnen hatten, haben ihr Scheitern bis heute nicht verdaut. Noch immer gibt es in Washington kein Denkmal für die vielen Gefallenen - aus dem „Heiligen Krieg“ gegen den Kommunismus ist ein vergessener Krieg geworden. Korea ist seitdem ein geteiltes Land. Während die Berliner Mauer abgerissen und der alliierte Kontrollpunkt Checkpoint Charlie am Wochenende medienwirksam verschrottet wurde, teilt noch immer ein vier Kilometer breiter Todesstreifen die koreanische Halbinsel. Doch es gibt erste Anzeichen einer Annäherung - wenn auch das Wort Wiedervereinigung in Korea noch utopisch klingt.

Als der südkoreanische Präsident Roh Tae-Woh am 4. Juni dieses Jahres in San Francisco mit Michail Gorbatschow zusammentraf, war dies keineswegs der erste Schritt hin zu einer Entspannung in Nordost-Asien. Das „Neue Politische Denken“ Gorbatschows zeigt längst auch Auswirkungen auf die Fernost-Politik der Sowjetunion. Im September 1988 reiste eine sowjetische Delegation zu den olympischen Spielen nach Seoul, begleitet vom Bolschoi-Ballett. Das Eis war gebrochen. In der Folge besuchten zahlreiche südkoreanische Geschäftsleute die Sowjetunion - erste Joint-ventures gibt es schon. Der bilaterale Handel zwischen beiden Ländern wächst sprunghaft.

Nur einer findet das alles gar nicht lustig: Der nordkoreanische Altrevolutionär Kim Il Sung, der seine marode Wirtschaft immer noch mit Propagandaschlachten und „Helden der Arbeit“ zu kurieren versucht. Der erfolgreiche chinesisch-sowjetische Gipfel im Mai 1989 hat ihn ins diplomatische Abseits befördert. Zum ersten Mal seit dem Ende des Koreakriegs zeichnet sich eine politische Isolation der nordkoreanischen Kommunisten ab. Bisher hatte Kim Il Sung geschickt zwischen China und der Sowjetunion taktiert. Doch selbst in Peking schätzt man den Wert südkoreanischer Devisen höher ein als den zunehmend peinlich werdenden Personenkult in Pjöngjang. Das Handelsvolumen Pekings mit Südkorea ist inzwischen doppelt so groß wie das mit dem nordkoreanischen Verbündeten.

Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, daß sich der südkoreanische Präsident Roh Tae-Woh eine zunehmend flexible Politik gegenüber dem Norden leisten kann. Am 7. Juli 1988 erklärte er erstmals seine Absicht, Nordkorea in Zukunft nicht als Feindesland, sondern als zweiten „Teil der nationalen Gemeinschaft“ zu betrachten, den es mit Südkorea zu vereinigen gelte. Zwar hat sich das Klima seither wieder merklich abgekühlt, doch erste Schritte sind getan. Kalte Krieger sind auch in Korea nicht mehr gefragt.