EG-Gipfel will UdSSR ausbooten

Verhältnis zur Supermacht im Osten ist ein zentrales Thema in Dublin / Von Frankreich und BRD vorgeschlagenes Hilfpaket umstritten / Delors opponiert gegen Institutionalisierung der KSZE / Regierungskonferenzen zur politischen Union und Währungsunion im Dezember  ■  Aus Brüssel Michael Bullard

Wird nach der DDR nun auch die Sowjetunion heim ins EG-Reich geholt? Wenn die 12 Regierungschefs des zahlungskräftigen Europas sich heute und morgen in Dublin zu ihrem halbjährlichen Gipfel treffen, geht es nicht nur um „Kleinigkeiten“ wie die Beseitigung des leidigen „Demokratie -Defizits“ in der Gemeinschaft oder um die Schaffung einer europäischen Zentralbank mit einer einheitlichen Währung. Die selbsternannten Europa-Lenker wollen sich stattdessen auf wesentliches konzentrieren: auf das Verhältnis zur alternden Supermacht im Osten. Schließlich möchte der Kreml ein Wörtchen mitreden sowohl bei der deutsch-deutschen Einigung als auch bei der Neuordnung Europas. Weil dies aber die EG-Vorreiterrolle in Europa beeinträchtigen würde, soll beim Gipfel in Dublin, vor allem aber beim Wirtschaftsgipfel in Houston Anfang Juli über die passende Abfindungssumme an Gorbatschow beraten werden.

Vereiniger Kohl hatte bereits vergangene Woche den Anfang gemacht. „Die Bereitschaft der Bundesrepublik, für einen fünf Milliarden-DM-Kredit an die Sowjetunion zu bürgen, soll als Initialzündung für eine gemeinsame westliche Hilfsaktion verstanden werden.“ Der „Mammutkredit“, als den ihn Kohls Mitarbeiter verkaufen wollen, ist angesichts der Größe der Sowjetunion und ihrer Schwierigkeiten, besonders aber im Vergleich zu dem, was für die Angliederung der DDR ausgegeben wird, ein billiges Angebot für die Einwilligung des Kremls in seine Abdankung aus der Europa-Politik. Der französisiche Präsident Mitterrand macht es sich nicht so leicht: „Es ist in unser aller Interesse, daß Gorbatschow Erfolg hat. Falls nicht, wird es zu einer Zunahme von Nationalismen kommen, die die Gefahr einer Implosion der Sowjetunion in sich birgt - mit internationalen Konsequenzen.“ Deswegen soll spätestens beim Wirtschaftsgipfel in Texas ein Hilfspaket für die gebeutelte Supermacht geschnürt werden. Von 50 Milliarden DM ist die Rede, ausnahmsweise nicht zu IWF-Konditionen.

EG-Kommissionspräsident Jacques Delors gab sich skeptisch, ob die anderen EG-Mitgliedsregierungen für die Mitterrand -Initiative großes Verständnis aufbringen werden. Vor allem die Südländer halten die Auseinandersetzungen mit dem Kreml für ein Problem der Deutschen. Delors wäre schon zufrieden, wenn in Dublin eine „gemeinsame Analyse der zukünftigen Ost -West-Beziehungen“ herauskäme. Sorgen macht sich der Chef der EG-Behörde vor allem über die künftige Rolle der KSZE. Er habe „Verständnis“ für die von einigen Regierungen angestrebte Institutionalisierung der Konferenz. Zum Teil sei dies sei jedoch „realitätsfremd“, außerdem würde es den „Interessen der Gemeinschaft zuwiderlaufen“. Delors will auf jeden Fall vermeiden, daß die KSZE zu einer Konkurrenzorganisation für die politische Neuordnung Europas ausgebaut wird, in der die Sowjetunion den Ton angibt. Deshalb hatte er schon unmittelbar nach dem Mauerfall die politische Union der EG auf die Tagesordnung gesetzt. Er will die freigewordenen Dirigentenstelle im europäischen Politorchester mit einer neuorganisierten EG besetzen. Eigens dazu soll parallel zur Schaffung des EG-Binnenmarkts bis Ende 1992 die Wirtschafts- und Währungsunion und die politische Union der EG durchgepeitscht werden.

Was in diesem Zusammenhang als „Demokratisierung der EG -Institionen“ verkauft wird, entpuppt sich bei genauerem Hinsehen als Straffung des Entscheidungsprozesses. Auch in einer politischen Union werden die Mitgliedsregierungen von ihren bislang auf EG-Ebene genossenen Entscheidungsvollmachten weiter profitieren können. Im alles entscheidenden Ministerrat sollen in Zukunft Beschlüsse mit Mehrheit getroffen werden können. Außerdem soll die EG -Kommission auf Vordermann gebracht und dem Europäischen Parlament etwas mehr Rechte eingeräumt werden. Die Beschlüsse dazu werden allerdings erst im Dezember auf zwei Regierungskonferenzen fallen.