Hambacher Fest der Vollwertköche

„Bioland„-Winzer aus der Pfalz luden zum Essen ins Hambacher Schloß / Zitronen-Linsensuppe, Hirsecreme, Spargel mit Sojasoße und zweimal Rote Beete / Körner-Gourmets zelebrierten die Einheit von Leib und Revolution für nur 80 D-Mark  ■  Aus Hambach Heide Platen

Die Abendsonne spiegelt sich in den Fensterscheiben der zu Tode restaurierten Ruine: Im Festsaal des Hambacher Schlosses ist an langen, weißgedeckten Tafeln für 250 Menschen angerichtet. Hier delektieren sich sonst diejenigen, die zu Staatsempfängen geladen werden. Für diesen Abend haben die VeranstalterInnen des „Culinarium“ den Saal mit Kornblumen, Kamille und Gräsern dekoriert. Eingeladen hat die „Bioland„-Gruppe Pfalz. Es kocht Frank Nuscheler, der sich gerne Vollwertkoch nennen würde, wenn die Berufsverbände ihn nur ließen. Die Schirmherrschaft hat der Landesvorsitzende des BUND, der Gymnasiallehrer für Latein und Griechisch, Ulrich Mohr, übernommen. Der besorgt auch gleich die Tischrede von „Nebel und Mondenschein“, von „Essen und Trinken, die Leib und Seele zusammenhalten“, vom „Verschmelzen von Diesseits und Jenseits“, von Goethe und Hölderlin, wie sie schöner von einem deutschen Studienrat gar nicht zu halten ist. Mein Tischnachbar seufzt. Er kennt den Mann aus der Schule. Überhaupt, die TischnachbarInnen. Örtliche Winzer sind gekommen, um den Wein der Biobauern zu verkosten. Umliegende Hotels haben Späher entsandt, um herauszufinden, ob hier die Konkurrenz für den Pfälzischen Saumagen erwächst. Und jede Menge LehrerInnen, sehr feingemacht, die schon wissen, daß Nouvelle Cuisine aus kleinen Portionen besteht.

Die wegen des nötigen Schicks geladene Moderatorin heißt Sigrun Essenpreis. Das ist keine Anspielung. Das Essen besteht aus fünf Gängen, zwölf Weine sind zu verschnabulieren und ein Biosekt. Das alles kostet den Vollwert-Gourmet nur 80 Mark. Vollwert, ich habe es geahnt, es gibt zweimal Rote Beete. Die Gemüsestäbchen in Joghurt -Minze-Dip sind eher belanglos. Vollkornkanapees mit würzigem Grünkernaufstrich hören sich schrecklicher an, als sie sind. Wenn nur diese Körnerpäpste mit ihrer Philosophie von Ying und Yang, die ein auf dem Gebiet bewanderter Koch mir gegenüber mittels seines Bestecks auf dem Tisch ausbreitet, einsehen könnten, daß mir das Getreide besser runterrutscht, wenn es entweder sehr fein oder sehr grob geschrotet ist. Das hier Servierte hat exakt die Konsistenz, die Körnerkost und Sägemehl assoziativ verbindet.

Wein und Getreide

Beim nächsten Gang, drei Salaten, ist endlich das Aha -Erlebnis fällig. Die Rote Beete, diese Geißel der Kindheit, ist knackig, frisch, reichlich mit Dill angemacht. Der Geschmack des Miso, einer Soja-Würze, kommt auf dem Spargel voll zur Geltung, der Spargel nicht. Miso, erläutert eine echte Kochbuchautorin nebenan, esse sie am liebsten pur. Denn, worauf auch immer es sonst getan werde, es schmecke dann eben nach Miso.

Zum dritten Gang, einer sehr ordentlichen Zitronen -Linsensuppe, nähert sich vom anderen Ende des Saales Frau Essenpreis. Sie wäre lieber dort geblieben, denn jetzt kann man sie in ihrer Launigkeit trotz der Akustik des Saales verstehen. Zum Hauptgang wird die Kochbuchautorin sehr streng. Statt der Komposition aus Blumenkohl, Mangold, Kartoffeln und Nudelteig träumt sie sich Pilze im Sahnesößchen auf den Teller. Und, mault sie, „zweimal Rote Beete“. An der Hirsecreme mit süßen Vollkornstückchen ist nichts auszusetzen, außer daß das Stückchen Kuchen mit gerösteten Sonnenblumenkernen und Honig natürlich wieder viel zu süß ist - wie daheim im Naturkostladen.

Inzwischen sind auch die zwölf Weine getrunken. Vier bleiben mir in der Erinnerung - einer unangenehm. Und zu den dreien, die mir norddeutschen Banausin munden, auch wenn sie nicht aus dem Rheingau stammen, gehören ein Silvaner Kabinett trocken, leicht und angenehm zum Essen, und ein Weißburgunder und kein einziger Riesling. Vielleicht lag es an den Minderwertigkeitskomplexen der nicht eben mit Sonne verwöhnten pfälzischen Biowinzer - das hat schon zu ganz anderen Auswegen geführt - oder an der Philosophie der Sigrun Essenpreis, die in der Pressekonferenz vorweg gesagt hatte, die Süße des Weines und die des Getreides müßten sich, wie habe ich nicht ganz verstanden, ergänzen. Mir waren sie allesamt zu süß. Die Optima Beerenauslese hätte gut statt des Desserts serviert werden können. Immerhin regte sie meine Phantasie an - als Soße für ein Zitroneneis oder einen lockeren Vanille-Flammeri.

Professionelle KritikerInnen kommen am Ende immer zu einem Fazit. Nun denn: Der Abend war durchaus ein Erfolg. Er bestätigt trotz aller Nörgelei, daß die Kochkunst im Vollwertbereich wächst, daß es in einigen Städten mittlerweile ganz anständige Lokale gibt, daß der Koch Frank Nuscheler sein Handwerk versteht und daß das Bewußtsein für Angebot und Qualität in den letzten Jahren gestiegen ist. Warum aber, fragte sich meine blonde Tischnachbarin nach den auf das Hambacher Fest anspielenden Worten eines „Bioland„ -Vertreters, „warum muß es denn gleich eine revolutionäre Tat sein, für 80 Mark essen zu gehen?“