„Wir lassen uns keinen Maulkorb umhängen“

■ Bayerns „Müllvolk“ demonstrierte bei naßkaltem Sauwetter in München für ein Volksbegehren / Nur 1.000 Demonstranten zogen durch die Landeshauptstadt / Bayerische Ärzte unterstützen Bürgeraktion / CDU und SPD treten mit neuem Abfallgesetz gegen Volksbegehren an

München (taz) - „Es ging um Abfall, aber inzwischen ist es ein Kampf für mehr Demokratie geworden“, tönte es am vergangenen Wochenende über die Münchner Theresienwiese zu Füßen der Bavaria. Hinter dem Mikrophon auf dem Podium stand die Sprecherin der bayernweiten Bürgeraktion „Das bessere Müllkonzept“, Erika Barwig. Um ihrem umstrittenen Volksbegehren Nachdruck zu verleihen, hatte die Bürgerinitiative zur bayernweiten Mülldemo in der Landeshauptstadt aufgerufen. Doch bei naßkaltem Regenwetter zogen nur rund 1.000 Demonstranten von der Theresienwiese zum Königsplatz. „Viele machen heute auch in ihren Orten dezentrale Aktionen, um noch mal zu mobilisieren“, erklärte Uta Philipp, ebenfalls Sprecherin der Bürgerinitiative, die geringe Teilnehmerzahl. Vor allem die Gemeindeverwaltungen torpedieren mit ungünstigen Öffnungszeiten die Einschreibungen in die Listen. Die Zahl der dagegen eingelegten Dienstaufsichtsbeschwerden ist inzwischen von 20 auf 30 gestiegen. Freilich hatte es auch schon genügend Ärger im Vorfeld der Demo gegeben. So versuchte der bayerische Kultusminister Hans Zehetmeier (CSU) die Abschlußkundgebung auf dem Königsplatz zu verbieten. Grund: Der Rasen dort sei zu schonen. Der Kultusminister hatte dabei wohl übersehen, daß hier nur die Stadt München und nicht der Freistaat das Sagen hat. Die Stadt München jedoch unterstützt das Volksbegehren, obwohl im Münchner Norden einer der größten Müllöfen Europas steht.

Die Behinderungen kommen jedoch nicht von ungefähr: CSU und SPD lehnen das Volksbegehren ab. Mit einem schnell zusammengezimmerten neuen Abfallgesetz treten sie gegen das Volksbegehren an. „Die Worte im Abfallgesetz haben sich geändert, aber das starre Festhalten an der Müllverbrennung ist geblieben“, kritisierte Franz Tschacha von der Bürgeraktion auf der Abschlußkundgebung das neue Gesetz. Tschacha wies daraufhin, daß gerade vor wenigen Tagen die Bezirksregierung von Schwaben gegen den Willen des Kemptener Oberbürgermeisters die Müllverbrennung zwangsweise eingeleitet habe. Auch der SPD-Landtagskandidat Klaus Hahnzog übte Kritik und sprach von „Schlupflöchern“ im Gesetz. Die SPD ist in dieser Frage nämlich gespalten. Viele Ortsverbände unterstützen das Volksbegehren. „Wir lehnen die Müllverbrennung aus gesundheitlichen Gründen ab“, warb auch der Sprecher der Bayerischen Ärzte gegen Müllverbrennung, Andreas Hellmann, für das Volksbegehren. Der Augsburger Lungenarzt betonte, daß im Gesetzentwurf der BI eine Gesundheits- und Umweltverträglichkeitsprüfung für Müllöfen festgeschrieben ist und somit auch eine Umkehr der Beweislast zugunsten der protestierenden Bürger. „Wir lassen uns keinen Maulkorb umhängen“, stellte Hellmann außerdem klar. Innenminister Edmund Stoiber (CSU), hatte nämlich bereits wieder versucht, die aufmüpfigen Ärzte über die Landesärztekammer ducken zu lassen. „Politiker haben eine Halbwertzeit von zweieinhalb Jahren, die Gifte aus der Müllverbrennung eine von vielen hundert Jahren“, hielt Hellmann dagegen.

Luitgard Koch