TV ON EARTH

■ Ethnologen-Filmer tagten im Museum für Völkerkunde

Äußerlich waren sie nur an ganz wenigen Indizien als Feldforscher zu erkennen. Etwa an ihren praktischen Lederwesten mit vielen Taschen, in denen filigran -praktisches Werkzeug auf Anwendung wartet. Oder an reichlich Silberschmuck um Hälse und Handgelenke, liebe Erinnerungen an die Wochen, Monate und Jahre fern der Heimat. Später dann doch ein eindeutiger Hinweis: Als auf dem Videomonitor die ersten Filmarbeiten eines Navaho -Indianers gezeigt wurden, zog eine Feldforscherin ein zierliches Fernrohr (kein Opernglas) aus ihrer Handtasche und spähte. Die ungefähr 40 Kollegen, die am Wochenende auf Einladung der Deutschen Gesellschaft für Völkerkunde im Dahlemer Völkerkunde-Museum getagt hatten, fanden das nicht ungewöhnlich. Eine Fachtagung wie jede andere also, mit Keksen (am Vormittag) und Salzgebäck (gegen Abend) und jeweils Abbruch der Diskussion - wo's jetzt gerade so spannend wird -, wenn die Pausen begannen. Die Forscher -Filmer trafen sich zum Erfahrungsaustausch über die „Interaktion bei Dreharbeiten“ im Busch, im Hochland, im Feld. Genauer: überall die Umstände und Begebenheiten, die, je weniger sie verheimlicht werden, einen ethnographischen Film um so sehenswerter machen (Volksweisheit).

Im ersten Vortrag wurden vielsagende Anekdoten zum Besten gegeben, zum Beispiel wie man vor den Dreharbeiten Kulturträger konsultiert habe, die Scheinwerfer in der düsteren Kirche an Kronleuchtern und morschen Decken befestigt habe... Kurz: kleine Camel-Episoden aus dem Leben eines Ethnologen, der immer weiß, wie man's anpacken muß, um am Ende Tagesschau-helle Dokumente von seltenen Riten und Bräuchen erbeutet zu haben. „Es gibt Grenzen, da muß man einfach 'ran.„ Seine Partnerin erzählte dann, wie sie im folgenden Jahr wieder in das kleine Dorf in Mexiko gefahren sei und dort von einem Gerücht erfahren habe: Die deutschen Filmemacher hätten im Zusammenhang mit den Dreharbeiten einzelnen Leuten im Dorf ein paar Millionen gegeben. Auf die Frage eines Kollegen, ob sie sich Gedanken über die Ursache dieser Vermutung gemacht habe, gab die Ethnologin die denkbar schlechtesten Antworten. So etwas würden die dort unten immer glauben, und sie müsse es schließlich wissen: Ich kenn‘ die Kultur nun doch schon 'n bißchen länger.

Ein anderes Team berichtete über Boykott-Maßnahmen der Ethnographierten. Diese hätten sich bei den Dreharbeiten regelmäßig einen Spaß daraus gemacht, Bäume abzusägen, daß sie jeweils im entscheidenden Moment auf die Kamera zu stürzen drohten. Die planbar-panischen Reaktionen des Kameramanns müssen für eine Bombenstimmung im Dorf gesorgt haben. Was lehrt uns das? Die beiden Filmemacher plädierten im Anschluß an ihren Bericht dafür, die Ethnographierten partnerschaftlich am Urheberrecht teilhaben zu lassen durch Namensnennung im Abspann. Wie sehr die Enthographierten die „Interaktion bei den Dreharbeiten“ bestimmten, sei in ihrem Fall auf ein Neues eindrucksvoll bewiesen worden. Im Anschluß an diesem Vorschlag stand die heikle Frage um die Bezahlung der Gefilmten im Raum. Je mehr Anleihen der neuere ethnographische Film beim Spielfilm macht, um so mehr werden die Darsteller zu normalen Schauspielern, die ja eigentlich Anspruch auf eine normale Gage hätten... Das Problem wurde mit ratlosem Schweigen und ein paar Tips, welche Naturalien man im Einzelfall bei den Verhandlungen vor den Dreharbeiten geboten habe, weiterhin als ein im Einzelfall zu lösendes abgehakt. Seit Tutti -Frutti sei das mit den Produktionsgeldern für ethnographische Filme ja bekanntlich noch viel schwieriger geworden, und nicht selten zahlten die Ethnologen-Filmer noch drauf.

Erbaulich waren die Kommentare von Heike Behrend zu ihrem eigenen Film über die kenianische Mary Akatsa. So erfuhr man, daß die Prophetin mit Sinn für medienwirksame Ereignisse (kürzlich ließ sie in ihrem Tempel einen indischen Jesus erscheinen) vom „TV on Earth, wie sie die weltlichen Fernsehstationen im Gegensatz zu den himmlichen nennt, schon einige bittere Enttäuschungen hinnehmen mußte. Nicht zuletzt deswegen hofft Mary Akatsa um so mehr auf eine gerechtere Berichterstattung vom Fernsehen im Himmel. Heike Behrend war die einzige, die das Verhältnis von Filmrealität und der anderen im Zusammenhang mit den Massenmedien in der sogenannten Dritten Welt thematisierte. Das ist erstaunlich, ließe sich doch zum Beispiel in manchen Ländern Afrikas, wo das Fernsehen sämtliche Folgen von „Der siebte Sinn“ (Bremsvorgang bei Eis und Schnee) ausgestrahlt hat, manch erhellend-interkulturelle Erkenntnis über uns selbst gewinnen.

Star der Veranstaltung war zweifelsohne der französische Ethnologe Maurice Godelier. Mit sicherem Gespür für die Erwartungshaltung seines Publikums wählte er aus seinem reichen Erfahrungsschatz die etwas pikanteren Ereignisse. Wie er zum Beispiel für sich und seine Familie in Papua -Neuguinea eine Hütte baute. (Er bemängelte nebenbei, daß solche handwerklichen Fertigkeiten beim universitären Studium der Völkerkunde sträflich vernachlässigt würden.) Das selbstgezimmerte Doppelbett hätten die Baruya geradezu ekelhaft und obszön gefunden. Und bei dieser Gelegenheit habe dann die gegenseitige Erkundung der Sitten begonnen. Später wurde ein Film darüber gedreht: Godelier in seinem Büro, mit vier Baruya über Heiratssitten diskutierend, ein ehrlich-schönes Dokument über den Alltag des Feldforschers. Godelier: „In den ersten sechs Monaten hat man meistens nur Kontakt zu Kindern. Und die Forschung beschränkt sich in der Zeit darauf, jeden einzelnen zu fragen: Wie heißt dein Papa?„ Filme über die Arbeit der Ethnologen, so Godelier, fände er phantastisch, wie Schatzkästchen, in denen die Erinnerungen eines Menschen das kurze Leben überdauerten. Auf der anderen Seite bescherte ihm, der nie selbst filmte, die Zusammenarbeit mit Nicht-Ethnologen hinter der Kamera fast immer nur Probleme. Wenn zum Beispiel ein wichtiges, geheimes Blatt unauffällig seinen Besitzer wechselt, hätten die meisten Filmleute, so Godelier, immer nur Augen für die schönen Brüste der vorbeilaufenden Mädchen.

Als Godelier von seinen Erfahrungen mit dem Film als solchem sprach, war die Spannung unter den Feldforschern gelöst. Vielleicht, weil er sich auf souveräne Art dem Anspruch verweigerte, als Ethnologe gleichzeitig Filmemacher sein zu müssen. Auf diese selten-bewundernswerte Doppelbegabung aber setzen die Trendsetter unter den Ethnologen und nennen ihr Vorhaben „Visuelle Anthropologie“. Die Tagung verhandelte über einige Details des Kontrakts dieser zögernd vollzogenen Ehe. Zwar war man der Braut (dem Film) wohl gesonnen, hatte aber vergessen, ihre Anwälte zu laden. Und deswegen wirkte die Zusammenkunft irgendwie unfair.

Dorothee Wenner