Jugendgangs: Senat verschafft sich Alibi

■ Finanz- und Innensenator tröpfeln auf den heißen Stein: Neun Streetworker sollen sich ab sofort um die Jugendgangs in allen zwölf Westberliner Bezirken kümmern

West-Berlin. Der Berg kreißte - und gebar eine Maus: während CDU und „Republikaner“ seit Wochen das Thema „Jugendgangs“ mit Law-and-order-Slogans öffentlich besetzen, reagierte der Senat gestern nach monatelangen Debatten mit der Einsetzung von 15 (in Worten: fünfzehn) Streetworkern. Bis zum 1.Januar 1991 werden gar nur neun Stellen bewilligt. Selbst dieser Maßnahme ging ein bürokratisches Feilschen um die nötigen Gelder zwischen der Senatsverwaltung für Jugend sowie der Finanz-und Innenverwaltung voraus. Dank der Sturheit letzterer hatte sich das gestern von Jugendsenatorin Klein vorgestellte Projekt noch einmal um Monate verzögert.

40 Stellen hatte letzte Woche sogar der jugendpolitische Sprecher der SPD-Fraktion im Abgeordnetenhaus, Klaus Löhe, als notwendig bezeichnet. In Vorwegnahme der Sachzwänge seines Finanzsenators Meisner (SPD) zeigte sich Löhe aber schnell bescheiden. Höchstens zehn bis zwölf Stellen seien realisierbar. Sechs oder sieben StreetworkerInnen könnte der Kreuzberger Jugendstadtrat Borchardt (SPD) allein schon in seinem Bezirk gebrauchen. Wie die dringend notwendige Zusammenarbeit der StreetworkerInnen mit den einzelnen Bezirken aussehen soll, weiß Borchardt noch nicht. „Wir sind da nicht miteinbezogen worden.“

Die neun beziehungsweise fünfzehn angehenden StreetworkerInnen, darunter türkische, arabische, jugoslawische und deutsche, sollen - so Jugendsenatorin Anne Klein - „vor Ort situationsgebunden auf die Jugendlichen einwirken“. Der Arbeitsplatzbeschreibung sind dabei keine Grenzen gesetzt: sie reicht vom Organisieren von Hip-Hop -Parties, Fußballspielen oder Graffitiprojekten über die Leitung von Friedensgesprächen zwischen verfeindeten Gruppen bis zur individuellen Beratung von Jugendlichen, die in Schwierigkeiten stecken, weil sie die Lehrstelle verloren haben, in einem Strafverfahren stecken oder zu Hause rausgeflogen sind.

Um an den grundsätzlichen Problemen der zunehmenden Diskriminierung auch nur ansatzweise zu rühren, sind allerdings ganz andere Schritte vonnöten. „Ausländerwahlrecht, Aufenthaltssicherheit und Sprachförderung“, heißt es in der Senatsjugendverwaltung spontan auf die Frage nach den dringensten politischen Maßnahmen, die zumindest als Good-Will-Signal gegen die sich verschärfende Ausgrenzung wirken könnten. Denn der nationalistisch durchzogene Vereinigungswind schlägt gerade den jungen ImmigrantInnen ins Gesicht: Während Westberliner Jugendliche deutscher Abstammung seit Maueröffnung die Ostberliner Szene erkunden können, fliegen ihre türkischen, jugoslawischen oder arabischen Altersgenossen in aller Regel aus den DDR-Jugendclubs sofort wieder hinaus. Für sie ist das neue Berliner Umland feindliche deutsche Monokultur.

Vor diesem Hintergrund können StreetworkerInnen, so Kreuzbergs Jugendstadtrat Borchardt, sich bestenfalls in „Konfliktschusterei“ üben.

Andrea Böhm