BLITZ-WAHL

 ■  Die Fortsetzung des Blitzkriegs mit anderen Mitteln

Nur wenige deutsche Vokabeln sind so nachhaltig im internationalen Sprachschatz aufgegangen, wie die Bezeichnung, mit der die Deutschen die spontanen Raub-und Mord-Attacken gegen ihre Nachbarn benannten: Blitzkrieg. Noch heute, wenn unser Bobbele einen Wimbledon-Gegner in drei Sätzen vom Platz fegt oder die WM-Käthe Völler in der ersten Viertelstunde drei Tore macht, taucht in den Schlagzeilen der „German Blitz“ auf. Das ist nicht weiter beunruhigend, der Krieg findet im Fair Play auf dem Rasen statt - wären nicht die Deutschen gerade mal wieder dabei, mit einer neuerlichen Spontan-Erhebung die alte Kunst blitzartigen Zuschlagens auf dem Felde der Politik wiederzubeleben. Nicht als Krieg sondern in Form eines umgedrehten Clausewitz: mit einer Blitz-Wahl als Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln.

Die Rede ist von den ins Hochdramatische gehenden Beschwörungen, daß nur die Gnade des frühen Wahltermins ein gesamtdeutsches Vereinigungschaos aufhalten kann. Wenn nicht gesamtdeutsche Wahlen am besten vorgestern stattgefunden haben, dann, so klingt es von Käthe bis Kohl, von taz bis Faz, geht überhaupt nichts mehr. Die währungsunierten Kassenwarte winken mit roten Zahlen, die Mitleids-Ethiker verweisen auf den „tiefen Wunsch“ der DDR-Bevölkerung nach „schnellen Wahlen“ (und Wagen), die Nato-Strategen auf die gebotene Eile, bevor der Russe am Ende sein O.K. zurückzieht, die multimediale Kunst der Meinungsfindung ist sich rundum einig: eine Blitz-Wahl ist fällig.

Während nach dem 9. November das Wort vom „Anschluß“ übel gebrandmarkt wurde, kann es jetzt, wo man die neue Bezeichnung „gesamtdeutscher Wahltermin“ dafür gefunden hat, gar nicht schnell damit genug gehen. Nun mag es durchaus sein, daß die Mehrheit des DDR-Volks nichts anderes als den sofortigen Anschluß will und Kohl den Jubel auf dem Heldenplatz in Leipzig durchaus richtig interpretiert hat aber, es wurde bereits darauf hingewiesen, auch die deutschstämmigen Mandschurei-Schwaben, die bayerischen Hereros in Namibia und das große Volk der Kamerun-Hessen haben den „tiefen Wunsch“ geäußert, sich mit der BRD durch Anschluß resp. Beitritt, Überlauf, Unterordnung und gesamtdeutsche Wahlen zu vereinigen. Wünsche, die angesichts beengter bundesdeutscher Horizonte durchaus auf Gegenliebe stoßen könnten, würde der exotische Reiz dieser potentiellen teutonischen Emirate nur entsprechend herausgestellt. Doch das genaue Gegenteil geschieht: die DDR wird der BRD als einziger Kandidat untergejubelt, die westdeutschen Wähler weder über Alternativen unterichtet, noch überhaupt gefragt. Dabei gäbe es, nicht nur fußballhalber, gute Gründe, etwa mit Kamerun eine Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion zu suchen, während sich die DDR beispielsweise mit Vietnam vereinigt.

Leider ist das alles nicht zum Lachen: Diese Wahl ist ein Blitzkrieg mit anderen Mitteln, seine Strategie diktiert von der sich zu Ende neigenden Amtsperiode, vom Kampf um den Machterhalt. Nicht das Wehe des Volks, das Wohl der Regierung treibt das Vereinigungs-Tempo. Die logischen Turbulenzen drückte Kanzler Kohl selbst sehr treffend aus: „Man weiß nicht, was werden wird und muß trotzdem die richtigen Entscheidungen treffen.“

Wie lächerlich wirkt ein solches Statement verglichen mit den Ratsitzungen der Indianer, denen das futuristische Mantra „Was immer wir für Entscheidungen treffen, wir müssen ihre Auswirkungen auf die nächsten sieben Generationen bedenken“ vorangestellt war. Wenn nur ein Hauch dieser Weisheit die Hirne unserer Häuptlinge erreichte, wäre schon viel gewonnen. Auch für Kamerun. Mathias Bröcker