Hauptstadt Berlin, klar ey!

■ Nur Berlin wird die Herrschaft des Kleinbürgertums begrenzen können

Vielleicht ist es ja gar kein schlechtes Zeichen, wenn viele Leute - auch in der linken Szene - unsicher sind, wie das mit der neuen deutschen Hauptstadt werden soll. Angesichts des heraufdämmernden nationalen Größenwahns, angesichts der nicht nur zur Zeit in Italien aufklingenden tumben „Deutschland, Deutschland„-Rufe, angesichts mancher schauererregender Tendenzen zur deutschen Großmannssucht wiegt es tatsächlich schwer, wo der neue Staat sein politisches, administratives und intellektuelles Zentrum haben soll. Diese Stimmung aber nun gegen Berlin zu wenden - das geht zu weit. Gerade wegen der nationalen Welle gibt es nämlich keine andere Wahl: Berlin, Berlin, Berlin.

Wer kann denn im Ernst glauben, Städte wie Bonn oder Frankfurt könnten mit der Aufgabe einer künftigen Hauptstadt, der Demokratisierung der Hirne und der Strukturen in diesem neuen Deutschland - im Osten wie im Westen - fertig werden? Welche Stadt, außer Berlin, wird in der Lage sein, mit der geballten Kraft des wiedervereinigten Kleinbürgertums - wie sie dies schon in der Weimarer Republik und auch danach noch versuchte - fertig zu werden? Die in der Tat unangenehmen Seiten der politischen Kultur der Bundesrepublik sind unter der Käseglocke in Bonn gewachsen, dem Symbol für die in der Bürokratie und im Regierungsapparat festgefressene Herrschaft der Provinz.

Und welche Alternative könnte schon Frankfurt sein, das lediglich aus dem Resultat der Gleichung „Kapital plus Bürokratie“ seine Kraft bezöge?

Nein, mit diesen „Hauptstädten“ ist kein neuer Staat zu machen. Wenn jetzt schon viele Menschen in den Ländern des Ostens, aus Warschau, Prag, Budapest und Moskau, aber auch aus Paris, Rom, Madrid und London neidisch auf Berlin sehen, weil die Stadt tatsächlich die Chance hat, zur Drehscheibe eines offenen Europas mit allen kulturellen Mischungen zu werden, dann müssen hier die Argumente der Hüter von Besitzständen und der Verteidiger von geistigen Schrebergärten um so befremdlicher wirken. Daß sich Bonner Bürokraten gegen einen Umzug stemmen, ist nicht weiter verwunderlich. Indem sie ihr Klein- oder Großhäuschen am schmutzigen Rhein verteidigen, beweisen sie nur den gegen sie gerichteten Verdacht, daß auch ihr geistiges Eigentum in der Berliner Luft ins Wanken geraten könnte. Die „Macht“ existiert nicht abstrakt, sie ist (nach Foucault) auch die Summe der Funktionen, an denen Menschen hängen. Und nur Berlin könnte daran was ändern.

Erich Rathfelder