Alte Freunde haben Lech Walesa verlassen

63 alte Mitstreiter kündigen in einem Brief dem Arbeiterführer die Gefolgschaft auf / Die Bürgerkomitees haben sich in zwei Flügel aufgespalten: Walesas Flügel will die Beschleunigung der Reform, der andere Flügel unterstützt nach wie vor die Regierung Mazowiecki  ■  Aus Warschau Klaus Bachmann

Das BÜrgerkomitee von Lech Walesa gibt es nicht mehr. Am Sonntag abend hat es sich nach einer langen, heftigen, emotionsgeladenen, teilweise sehr persönlich geführten Debatte aufgelöst. Die 63 bekanntesten und profiliertesten Mitglieder haben seine Auflösung verlangt, ein Großteil von ihnen hat zugleich den Austritt aus dem Bürgerkomitee erklärt, darunter Adam Michnik, Henryk Wujec, Bronislaw Geremek. Für die Auflösung traten in einem von Zbigniew Bujak verlesenen Brief an Lech Walesa, den Vorsitzenden des Komitees, außerdem noch der Filmregisseur Andrzej Wajda, der Wirtschaftswissenschaftler Stefan Bratkowski, Richard Bugaj, der Solidarnosc-Chef aus Schlesien Wladislaw Frasyniuk, Jan Jozef Lipski, Jerzy Turowicz, Andrzej Wielowieyski und die Minister Aleksander Paszynski und Witold Trzeciakowski ein. Premier Mazowiecki, formell ebenfalls Mitglied, war gar nicht erst erschienen.

Doch auch wenn einige Mitglieder und alte Freunde Walesas bis zuletzt versuchten, die Spaltung aufzuhalten, und ein erneutes Treffen in einem Monat durchsetzten - bei nur noch einem Viertel Anwesenden -, so zeigte sich im Lauf der Debatte bereits, daß sich im Saal nicht mehr die Opposition von einst, sondern im wesentlichen zwei Blöcke mit unterschiedlichen Konzeptionen gegenübersaßen, die aneinander vorbei redeten oder sich sogar beschimpften.

Nachdem bereits am Vormittag der bisherige Sekretär des Komitees, Henryk Wujec, zurückgetreten war, wurde die Debatte nach einem Auftritt des katholischen Wirtschaftswissenschaftlers Stefan Kurowski noch härter. Kurowski, der im Rahmen der Gruppierung „Centrum“ ein wirtschaftliches Gegenprogramm vorbereitet, kritisierte heftig die Regierung Mazowiecki und unterstützte - zum Teil mit persönlichen Angriffen gegen seine Vorredner - Walesa Konzeption einer „Beschleunigung der Reformen“. Minister Hall, der im Kabinett Mazowiecki für die Kontakte zu den politischen Parteien zuständig ist, zweifelte an Walesas Kompetenz für das Präsidentenamt, worauf Walesa erklärte: „Ich sehe dich auch nicht als Minister, Olek.“ Die Diskussion wurde so heftig, daß immer mehr von Walesas früheren Beratern und Freunden den Danziger ironisch mit „Herr Vorsitzender“ titulierten, Zbigniew Bujak erklärte sogar: „So wie ich keine Angst vor der Polizei und den Kommunisten hatte, so werde ich auch vor Ihnen keine Angst haben, Herr Vorsitzender.“

Die Meinungsunterschiede über die Regierung Mazowiecki und die Präsidentschaftskandidatur Walesas waren so stark, daß kaum jemand damit rechnet, daß das Komitee in einem Monat noch zu retten sein wird, auch wenn ein Kompromißantrag, alle Erklärungen - außer der Annahme des Rücktritts von Wujec - einzufrieren, angenommen wurde. Hinter den Polemiken und Beschimpfungen steckt im Grunde nichts anderes als zwei unterschiedliche Optionen. Die „Centrum-Gruppe“ möchte schnell Walesa zum Präsidenten wählen, Neuwahlen ausschreiben und die ehemals kommunistischen Minister aus dem Kabinett entfernen. Folgen soll dann eine Säuberung der Verwaltung, des Innenministeriums und der Armee.

Die Gegner dieser Option, von denen die meisten den Brief der 63 unterschrieben haben, wollen erst im nächsten Jahr Parlamentswahlen ausschreiben. Das neue Parlament soll dann eine neue Verfassung ausarbeiten, auf Grund derer dann der Präsident gewählt werden soll. Viele von ihnen befürworten eine Kandidatur Mazowieckis. Die Gegner Walesas befürchten unkalkulierbare Risiken für die Gesellschaft, wenn es nach dem Willen des Arbeiterführers gehen sollte. Der Krakauer Jerzy Turowicz sieht in der „Beschleunigung der Reform die Gefährdung des Wirtschaftsprogramms, die Destabilisierung des innenpoltischen und außenpolitischen Prestiges der Regierung“. Für Turowicz ist es aber zu früh, die Bürgerkomitees aufzulösen oder zu spalten - sie seien die einzige Basis der Regierung.

Walesa steht dabei vor dem Dilemma, daß er von einem Sejm und Senat gewählt werden müßte, in dem Solidarnosc keine Mehrheit hat. Daher hat er in den vergangenen Tagen bereits Kontakte mit der Demokratischen Partei und der Polnischen Bauernpartei aufgenommen, die sich immer mehr in Opposition zu der Regierungskoalition begeben. Mazowiecki selbst hat zu diesem Streit direkt noch nicht Stellung genommen. In Stettin, wo er sich am Sonntag aufhielt, warnte er allerdings davor, „leichtfertig von dem Weg abzugehen, den wir gewählt haben, und die bisherigen Erfolge zu verspielen“. Mazowieckis Taktik, sich nicht in einen direkten Streit mit Walesa einzulassen, dürfte Regierungssprecherin Niezabitowska am Freitag allerdings einen schweren Schlag versetzt haben. Sie griff auf ihrer Pressekonferenz Walesa frontal als „Beschleuniger mit der Sense“ und „Populisten“ an, Formulierungen, die mit dem Premier nicht abgesprochen waren, wie auch der ganze Stil der Presseerklärung Mazowiecki und auch Walesa herb überrascht haben dürfte.