Wer zahlt den „Lohn der Angst“?

■ Nur eine Woche vor dem geplanten C-Waffen-Abzug aus der BRD sind die Transportrisiken weiterhin ungeklärt

Die Stunde Null des Abzugs von Chemiewaffen aus der Bundesrepublik naht. Im US-Depot im pfälzischen Clausen werden bereits die ersten der rund 100.000 US -Kampfgasgranaten aus den Bunkern geholt und in Stahlboxen verstaut. Und das, obwohl die Sicherheitsvorkehrungen für den Transport nach Auffassung von Bürgerinitiativen und Grünen äußerst fragwürdig sind. Sicherheit wird dagegen vom Mainzer Innenministerium groß geschrieben: Giftgasgegner sollen von Polizei und Verfassungsschutz (VS) überwacht und abgehört worden sein. Am Bestimmungsort, dem pazifischen Johnston Atoll, haben Fachkräfte der US-Army indes noch keine einzige Granate mit Erfolg durch die Pilotverbrennungsanlage geschoben; die Umweltverträglichkeit des Beseitigungsprozesses ist nach wie vor ungeklärt.

Das sich als „liberal“ apostrophierende Rheinland-Pfalz sieht die staatliche Ordnung gar zu schnell gefährdet. Rudi Geil (CDU), Mainzer Innenminister, hatte von Anfang an „scharfe Sicherheitsvorkehrungen“ angekündigt. Schon früher zauderte er nicht lange, seine Verfassungsschutztruppe einzusetzen - etwa als vor wenigen Jahren SPD-Landräte per Resolution gegen ein Bundeswehrmanöver protestierten. Geils Sprecher Jürgen Dietzen verteidigte den neuerlichen Lauschangriff gegen Gegner des geplanten Abzugs von 102.000 Gifgasgranaten aus dem Lager Clausen gegenüber der taz: „Unsere Polizei muß doch wissen, ob wir beim Abzug mit Sitzblockaden oder anderen Behinderungen und Nötigungen zu rechnen haben.“

Die Überwachung bewegt sich angeblich „im Rahmen des Verfassungschutzgesetzes“ und schöpfe dessen „legale Möglichkeiten“ aus. So seien dem Gesetz zufolge „mit richterlicher Genehmigung“ unter anderem Lauschangriffe „auf Verdachtspersonen“ möglich. Wieviele dieser Genehmigungen vorliegen und gegen wen sie sich richten, wollte Dietzen nicht preisgeben. VS und Polizei hätten sowohl „alte Bekannte im Auge, als auch jene, die neu dazu kommen könnten“. Einer davon könnte Horst Kowarek sein, Mitbegründer der Friedenskoordination Westpfalz (Friko). Er ist sich „ziemlich sicher, abgehört zu werden“. Und doch plagen ihn andere sorgen: Zum einen wird der Giftgasabzug ohne Beachtung der daran geübten Kritik weiter durchgezogen. Zum anderen liegen inzwischen die Pfälzer Bürgerinitiativen (BIs) miteinander im Clinch. Kowarek bestätigte, daß mit der Verladung der Giftgasgranaten bereits Mitte Juni begonnen worden sei. Seine diesbezügliche Anfrage bei der Polizei sei nicht dementiert worden. Der Verladetermin „Mitte Juni“ würde sich decken mit dem Zeitplan, der während eines US -Hearings in Washington geäußert wurde: der 18. Juni. Dies scheint deswegen plausibel, weil Washington und Bonn am bisherigen Plan festhalten wollen, wonach Mitte Juli der erste von 30 LKW-Convois von Clausen nach Miesau rollen soll. Bis dahin muß die zeitaufwendige Verpackung und Verladung der Granaten abgeschlossen sein, von denen bisher 64 als „nicht mehr einsatzfähig“ und „angerostet“ gelten und gesondert gesichert werden müssen.

Die Zeit drängt. Der Zeitplan, so Kowarek, „ist viel zu eng gesteckt“. Kowarek fordert „Nachbesserungen“ ein. Doch eben über diese Nachbesserungen haben sich die BIs mittlerweile zerstritten. Einige sprangen aus der Friko ab und gründeten eine eigene Gruppe „Giftgas auf der Schiene“. Und just als die lose Friko sich zu einem festen Verein zusammenschließen wollte, da sorgte die Mitbegründerin Hannelore Höbel für Aufsehen: Sie trat aus. Sie gab sogar die Beobachtung der noch immer andauernden Blockade-Prozesse auf. Hannelore Höbel erklärte, sie halte den Abzug für sicher. Hinter dem Protest der BIs witterte sie plötzlich „wahltaktische und politische Panikmache einiger Gruppen“. Einigen gehe es „nicht mehr um 'Frieden schaffen ohne Waffen'“. Den Kurs der BIs könne sie „nicht mehr mitverantworten“.

Vor-Ort-Verbrennung

oder „Horror-Konvoi“

Zwar kehrte nach Hannelore Höbels Rückzug wieder Ruhe in die Friko ein. Aber das Renommee der Bürgerbewegung wurde geschmälert. Vor allem Politiker aus den Reihen der CDU bezichtigten die Friko, sie plädiere für die Giftgasverbrennung vor Ort. Horst Kowarek fühlt sich verleumdet: „Ich kämpfe seit 1985 gegen eine Vor-Ort -Verbrennung.“ Dennoch müsse man den „Horror-Konvoi“ (Greenpeace) ja nicht kritiklos hinnehmen.

Kowareks Kritik richtet sich erstens gegen militärische Flugmanöver. Denn die Militärflughäfe Sembach und Ramstein sollen auch während des Abzugs nicht geschlossen werden, wie Generalmajor Klaus Naumann von der interministeriellen Bonner Giftgaskommission bekräftigte. Zum zweiten wirft Kowarek den Regierungen in Bonn und Washington vor, ein nur mindersicheres Transportsystem beim Abzug einzusetzen. Obwohl der US-Konzern „Mitre“ im Auftrag des US-Pentagons zylindrische, stoßgedämpfte Sicherheitscontainer entwickelt hat, verwenden die USA für den Abzug weiterhin schlichte Übersee-Kontainer (Milvans), in die die Stahlmagazine mit den Granaten ohne Puffer verpackt sind. Kowarek: „Bonn hat sich hier für die billigere Lösung entschieden. Mit den neu zu produzierenden Zylinder-Containern hätte der Abzug voraussichtlich 90 Millionen Dollar mehr gekostet.“

Auch die Arbeitsgruppe „Giftgas auf der Schiene“ stimmt in diesem Punkt mit Kowarek überein, wirft aber anderen Mitgliedern der Friko „Kirchturmpolitik vor, die nicht über den Rand der eigenen Region hinausblickt“. Die AG fordert „die Aussetzung des Abtransports solange, bis die neuen Container zur Verfügung stehen und die US-Giftgas -Verbrennungsanlage Jacads auf dem Johnston Atoll betriebsbereit ist“. Ein weiteres Manko ist nach Ansicht ihres Mitglieds Beata Hillesheim die ungeklärte Zwischenlagerung in Nordenham. Ein Sprecher des niedersächsischen Innenministeriums hält zwar „die Zwischenlagerung des Giftgases in Nordenham für ausgeschlossen“. Doch zeichnet sich ab, daß die mit den USA kooperierende Nordenhamer Hafen-Gesellschaft „Midgard“ gedenkt, die C-Waffen auf Privatgelände zu lagern. Midgard ist für die Verladung des Giftgases auf die Schiffe zuständig. Nach Informationen von Giftgasgegnern wurde bereits eine ehemalige Asbesthalle auf ihre Eignung als Giftgaszwischenlager geprüft.

Angesichts all dieser ungeklärten Sicherheitsrisiken und der nach wie vor mangelhaften Informationspolitik wollen die Grünen den Giftgasabzug vor Gericht bringen. Sowohl der Bundesverband als auch der rheinland-pfälzische Landesverband der Grünen wollen sich an der Klage beteiligen. Am 29. Juni soll der Klageentwurf in Clausen vorgestellt werden.

Joachim Weidemann