Die Währungsreform 1948 und die abbröckelnde Moral der 1.000 Kalorien

Der Wirtschaftswissenschaftler Paul Erker über die Entwicklung des weißen, grauen und schwarzen Marktes nach Kriegsende  ■ I N T E R V I E W

taz: Was waren die Gründe für die Entstehung des Schwarzmarkts der Nachkriegszeit?

Paul Erker: Mit der Kriegswirtschaft und der Aufrüstung fand eine Produktionsverlagerung vom Konsumgüterberich zur Kriegsproduktion statt. Durch diese Verlagerung entstand ein Nachfrageüberhang, der normalerweise in eine offenen Inflation gemündet hätte. Aber die Nazis haben, weil es ja die schlechten Infalationserfahrungen von 1923 gab, es gut verstanden, die Inflation zu verdecken. Diese schlug erst 1943/44 durch und führte auch unter den Nazis schon zur Entwicklung einer zweiten Ökonomie, wo man sich bestimmte Güter beschaffen konnte. Die Zerstörung des Marktes durch die Kriegswirtschaft wurde durch die Bewirtschaftung durch die Aliierten natürlich kaum besser. In der Inflation spielt irgendwann der reale Geldwert keine Rolle mehr, was zu einer Flucht in Sachwerte und fremde Währungen oder Ersatzwährungen wie damals die Zigarette führt.

Welcher Markt war denn der größere? Der bewirtschaftete Markt mit den Zuteilungen oder der Schwarzmarkt?

Der Schwarzmarkt war der größere, aber es gab da noch Zwischenstufen, unterschiedliche Preis- und Marktsphären. Man unterscheidet da den weißen, grauen und schwarzen Markt, mit Zwischenschattierungen. Der weiße, offiziell bewirtschaftetete Markt mit festgelegten Mietpreisen und Lebensmittelzuteilungen war notwendig zur Sicherung der Grundversorgung. Der zweite war der graue Markt, der betraf die Lebenshaltung und die Arbeit. Die Arbeiter bekamen neben ihrem offiziellen Lohn in Reichsmark, der nicht viel wert war, nämlich schwarzen Lohn, Naturalentgelte, Deputate, Anteile an der Produktion. Der Schwarzmarkt schließlich war ein reiner Tauschmarkt, etwa Mantel gegen Schuhe. Da spielte Geld keine Rolle, höchstens die Zigarette als Währung. Dieser Schattenmarkt funktionierte zwar, aber die Versorgungsleistungen waren anders verteilt. Er hat zwar vielen das Überleben gesichert, aber war trotzalledem höchst unsozial.

Wer waren denn die Verlierer?

Die Verlierer waren die Normalverbraucher, die große Masse, wenn man so will. Es entwickelte sich eine Ernährungsklassengesellschaft. Gewinner hingegen waren die gewerbsmäßigen Schieber, die Bauern und alle, die nah an den Versorgungsträngen dran waren. Zum Teil auch die Arbeiter, die sich Teile der Produktion sichern konnten. Sie waren in einer Mittellage. Verlierer waren die sozial Schwachen, Rentner, Kriegsopfer, Versehrte, Witwen und kaputte Familien, zum Teil auch Angestellte und Beamte. Wer bei einer Versicherung arbeitete, der hatte eben nichts zum Tauschen. Der Beamte hat zwar mehr verdient, was den Nominallohn angeht, aber ein Arbeiter, der konnte zur Not mal ein Werkzeug klauen und auf dem Schwarzmarkt anbieten.

Wieso gab es nicht schnell eine Währungsreform?

Die Alliierten behielten das bestehende kaputte Markstsystem bewußt aufrecht, obwohl sie wußten das es langfristig die Wirtschaft zerstört. Denn erstmal war ein gewisses Funktionieren ja da und zweitens erleicherte das System die Integration der vielen HeimkehrerInnen und Flüchtlinge.

Warum das?

Die Unternehmer hatten natürlich auch ihren Geldüberhang und konnten eine große Menge Leute gleich einstellen, Arbeitskräfte waren billig. Auch wenn die Produktivität nicht groß war, Geld spielte keine Rolle.

Aber mußten die Leute nicht neben der Arbeit sehr viel Zeit für ihren kleinen Handel aufbringen?

Richtig, das war das Problem mit der Arbeitsmoral. Die Absentismusraten waren sehr hoch, aber das wurde von den Unternehmen zum Teil toleriert, viele gaben zwei bezahlte Tage in der Woche frei, zum Hamstern. Das brachte den Unternehmen ja was, weil die damals halbwegs gut ernährten Leute gebraucht wurden: Die Maschinen waren ja meist kaputt. Hier zeigt sich auch das Unproduktive am Verteilsystem des Schwarzmarkts. Der Aufwand ist eben viel höher, bis man denn endlich zu seinem Sack Kartoffeln gekommen ist.

Wann war der Schwarzmarkt zuende, gleich mit der Währungsreform?

Nicht sofort, denn auch danach blieben ja einige Dinge bewirtschaftet, Nahrungsmittel, Fleisch zum Beispiel und Brot. In der Landwirtschaft gab es dann einen geteilten Markt. Ein Teil war frei, ein Teil war bewirtschaftet. Bei Kartoffeln und Kaffee gab es dann sogar Schwarzmarktpreise, die weit unter den bewirtschafteten Preisen lagen. Denn die Bauern hatten plötzlich doch wieder Vertrauen in die Währung und machten ihre Lager weit auf. Das Überangebot führte zum Preisverfall.

Wie war das denn mit der Verfolgung? Es sollen doch in den großen Städten mindestens 40 Prozent der Bevölkerung am Schwarzmarkt teilgenommen haben.

Im Prinzip hat jeder dran teilgenommen, es gab da eine kollektive Mißachtung des Rechts. Der Schwarzmarkt war nichts anderes als die eigentliche Marktwirtschaft, die aber für illegal erklärt wurde. Das Bewirtschaftungssystem war zwar durch Gesetze geschützt, entsprach aber nicht den Realitäten. Man hat ja auch auf sein Recht auf Selbsthilfe gepocht.

Wann hat das Rechtsbewußtsein denn wieder eingesetzt?

Eigentlich mit der Währungsreform. Da waren dann vielfach nur noch die großen Schieber übrig. Der Bewußtseinswandel hatte aber auch mit einer schon immer bestehenden schizophrenen Haltung zu tun, nach dem Motto: Ich selbst darf das, um zu überleben, aber die Großschieber, die hängen wir auf. Mit der Währungsreform ging die Auflösung der Normen ja auch zurück, dann war es aus mit der Moral der 1.000 Kalorien.

Interview: kotte