Abgeordnete stürmen Verfassungsschutz

■ „Schmücker„-Ausschuß besucht überraschend Landesamt für Verfassungsschutz / Zeuge Jürgen Bodeux war nicht vor Ausschuß erschienen / Von 54 „Schmücker„-Akten hat der Untersuchungsausschuß erst 19 Ordner einsehen können / VS-Chef verspricht Besserung

Dahlem. Die Abgeordneten im „Schmücker„-Ausschuß hatten gestern „die Nase voll“. Nicht nur, daß die Zusammenarbeit mit dem Landesamt für Verfassungsschutz nur schleppend funktioniert, sondern gestern blieb auch noch der geladene Zeuge Jürgen Bodeux dem Untersuchungsausschuß fern. Die zwei CDU-Abgeordneten, die zwei der AL und der eine der SPD waren sich daraufhin einig: Wir „besuchen“ das Landesamt Auf der Grat in Dahlem. Die Abgeordneten stiegen getrennt nach Fraktionen in drei Autos und ab ging die Post.

Über den plötzlichen Besuch des „ganzen“ „Schmücker„ -Ausschusses, war der Leiter des Verfassungsschutzamtes Heinz Annußek „überrascht“, gestand er der taz. Er mußte die unangemeldeten Besucher in sein Gebäude lassen, weil Untersuchungsausschüsse „jederzeit in Erfüllung ihrer Aufgaben“ Behörden betreten dürfen. Annußek erteilte den Abgeordneten Auskunft, ließ sie aber nicht in seine Akten gucken. Mehr wollte Berlins oberster Verfassungsschutz-Chef der taz nicht sagen. Den Abgeordneten hat der Chef allerdings eine zuverlässigere Zusammenarbeit versprochen. Die „Schmücker„-Akten sollen den Abgeordneten „schneller“ zur Verfügung gestellt werden als bisher. Von den 54 Ordnern hat der Ausschuß bisher gerade 19 Ordner einsehen dürfen. Zum Teil werden die zurückgehaltenen Papiere seit Monaten angefordert.

Die AL-Abgeordnete Lena Schraut kritisierte in einer gestrigen Erklärung auch, daß es mehr als die 54 bekannten Akten gebe. Doch durch einen „unvollständigen“ Index sollen sie den Abgeordneten vorenthalten werden. Außerdem werden die Akten für den Ausschuß von VS-Mitarbeitern vorbereitet, die selber in den Mordfall „Schmücker“ verstrickt seien. Darüber hinaus waren die Abgeordneten gestern darüber verärgert, daß sie einen der Zeugen wegen fehlender Aussagegenehmigung nicht vernehmen konnten. Ob der unentschuldigt fehlende Bodeux die Zeugenladung trotz Zustellungsurkunde möglicherweise nicht erhalten hat, will der „Schmücker„-Ausschuß prüfen.

Wie ergiebig die Vernehmung sein wird, wenn Bodeux erscheint, will niemand voraussagen. Bei bisherigen Vernehmungen antwortete er fast immer: „Weiß ich nicht“ oder „Kann ich mich nicht erinnern“. Bodeux ist im Mordfall „Schmücker“ Kronzeuge gewesen. Seine Aussagen sind trotz schwerer Widersprüche bis heute die Grundlage für drei Verurteilungen. Er hatte im Mai '74 ausgesagt, daß eine Wolfsburger Gruppe die Erschiessung von Schmücker geplant und ausgeführt habe, weil Schmücker ein „Verräter“ gewesen sei und als „Agent“ für den Verfassungschutz gearbeitet habe.

Dirk Wildt