Der Zotenkönig in Fürth

■ Volker Spengler inszeniert „Emilia Galotti“

Verführung ist die größte Gewalt“, mahnte Lessing und ließ seine Emilia Galotti nach allen Regeln der Kunst verführen: Mit großem Schmeicheln und Mädchenrauben hebt er an. Der Nebenbuhler wird ohne Wenn und Aber aus dem Weg geräumt. Der Adel ringt um Emilia und entbrennt vor Liebe, Händel und Geilheit, auch wenn die Feudalen soeben aus Rittertugenden ihren Groschenroman-Mythos entwarfen: Frösche zu Prinzen. Das 18.Jahrhundert rief: „Obacht vor diesem Adel!“, der mit Feuereifer unschuldige Bürgerstöchter vom Typus der Emilia verführte. Die hofintriganten Gräfinnen fielen in Ungnade und verspritzten das Gift, das die Bürgerstöchter nur zu deutlich spürten.

Aber nicht nur vorm Adel galt es zu schlottern. Der Preis, auch nur einmal in höfische Intrige verstrickt zu sein, war höher, weil Lessing seine Bürger mit partriarchal-römischer Moral ausstattete. Emilia Galotti, vom Adel um ihre Ehre hintergangen, erhält von ihrem Papa den selbstgerechten Todesstoß. Bei Volker Spengler freilich stirbt sie durch einen Blumenstrauß, in dem ein Dolch steckt. Die Wahnsinns -Tat des Bürgervaters - den Todesstoß führt bei Spengler ein Lafontaine-Messer.

Auf diesen Kurzschluß kommt nur einer, der nicht viel Umstände macht: Spengler, der Frankfurter Schauspieler, ist immer dabei, wenn es um geile Witzchen und den schlechten Geschmack geht. Bei Faßbinder machte er Furore, durch Schlingensiefs Hitler-Film tänzelte er jüngst im Tutu, als Regisseur hat er sich viele kleine Spengler auf die Bühne nach Fürth geholt. Der geile Prinz (Miachel Abendroth) neben dem geilen Maler (Jürgen Tarrach): Sie toben durch ein Theater aus feinstem Plüschbarock. Bei Lessing, erster Auftritt, geht es los: „Der Prinz an einem Arbeitstische voller Briefschaften und Papiere.“ Diese Briefschaften sind bei Spengler durchweicht, einen Arbeitstisch benötigt Ihro Durchnäßt nicht, sie sitzt im Swimming-Pool und bespritzt lärmend das Publikum in der ersten Reihe. Der nackte Prinz tunkt den nackten Kammerherren Marinelli (Michael Hochstrasser) ins Wasser; dieser tritt seinem Prinzen auf die badeummäntelte Brust, dafür beißt jener ihm in die Wade. Und so fort.

Zweiter Akt: „Ein Saal im Hause der Galotti“. Bei Spengler ist es eine Metzgerei. Würste werden in die Pelle gedrückt wie Schwänze in Kondome: Hier ist Spengler ganz der Regisseur seiner immergleichen Obsession. Die Schauspieler belecken und bespringen sich. Jeder betätschelt jeden. Wo es um Liebe geht, ist Geilheit gemeint. Und doch: Das ewige Ringelpietz mit Anfassen erschöpft sich schon jetzt.

Dritter Akt: Noch ist Emilia nicht auf des Prinzen Lustschloß verschleppt, schon macht sich feudale Langeweile breit. Was prinzliche Ungeduld sein soll, wird mühsamer Zeitvertreib. Spengler bemüht sich um Zoten von irgendwo. Die Idee, Emilia zu entführen, wurde unter Schweinsmasken ausgeheckt. Nun wird die Floskel - jeder Prinz ein Frosch auf Flossen gestellt. Gräfin Orsina und Mama Galotti tragen dasselbe Kleid, es fällt ihnen nach einer halben Stunde auf. Die Dramaturgie schwankt und hinkt und schlägt alle Minute über die Strenge auf den dicken Bauch. Die Knutscherei läßt bedenklich nach, zu selbstverliebt gröhlt Spengler noch den trägsten Zoten hinterher (Ende vierter Akt: Absingen von „Ännchen von Tharau“).

Die Unverfrorenheit im Umgang mit der Emilia läßt nach. Lessing gibt den Textrumpf her, aber kaum ein angetrunkener Probengag hält noch stand. Das Ganze erscheint wie ein schlechter Stehgreif, bald wie Emilia als Geisterwally. Diese stöhnt verblutend „Exitus Emiliae“, das Finale: Sie verwandelt sich in einen Engel. Die Gagaga-lotti singt „glücklich sein...glücklich sein“, ihre Platte hat einen Sprung, der Applaus schwillt noch während des Singsangs bedrohlich an. Der Adel als Bürgerschreck wird auf die Bühne zurückgepfiffen. Zwar ist er verderbter als in irgendeiner anderen Inszenierung, aber seine Verderbnis hat nur eine begrenzte Haltbarkeit: ein Stündchen. Drei waren zu überstehen.

Arnd Wesemann