Gertrud, Else und die leichte Unterhaltung

■ Das jüdische Kulturfestival in Berlin

Das Berliner jüdische Kulturfestival 1990 unter das Thema „Die Frau in der jüdischen Welt“ zu stellen, zielte offenbar auf ein breiteres Publikum in dieser Stadt, dessen weiblicher Anteil, wie die Kulturmanager inzwischen wissen, recht groß und zahlungskräftig ist. Jetzt warb also auch die Jüdische Gemeinde um diese Klientel.

Was geboten wurde, gab sich unterhaltsam und vornehmlich traditionell. Die Frau als nachschaffende und bewahrende Kraft, als Interpretin kultureller Tradition bei jiddischer Folklore, Klezmer-Musik und israelischer Songs, beim Ephraim -Kishon-Abend („beste Ehefrau von allen“, ja ja. d.S.) oder dem „Berliner Salon von Tucholsky bis Heine“. Diese Veranstaltungen wandte sich vornehmlich an Mitglieder der jüdischen Gemeinde und hätten, um das kulturelle Band mit Israel und der jüdischen Kultur lebendig zu halten, des Themas „Frau“ nicht unbedingt bedurft. Auch das abschließende „traditionelle jüdische Essen“, vom Veranstalter als „Höhepunkt des Festivals“ gepriesen, wäre ohne dieses Thema für manche junge Berliner Jüdin wahrscheinlich leichter zu verdauen.

Den Rahmen leichter Unterhaltung und kultureller Stereotypen weiblicher Kulturleistung sprengten neben dem israelischen Rockfestival, das allerdings kaum Publikum anzog, zwei Veranstaltungen, die sich Leben und Werk zweier Berliner Lyrikerinnen widmeten.

Das Werk Gertrud Kolmars, das immer noch auch hier zu wenig Beachtung findet, wurde in Zusammenarbeit mit dem Literaturhaus vorgestellt. Gertrud Kolmar, geboren 1884, wuchs in einem gutbürgerlichen, assimilierten Hause im Berliner Westend auf. Die starke Naturverbundenheit und die Formstrenge ihrer Lyrik führten bisher dazu, die Kolmar als altmodisch zu verwerfen und als querstehend zur Moderne einzuordnen. Hanns Zischler bemühte sich in seinem Vortrag vor gutbesuchtem Haus, diesem Vorurteil entgegenzuwirken. Deutlich wurde, daß sich Gertrud Komars kraftvolle lyrische Stimme gerade mit Hilfe der Natur einen Gegenstand zu verschaffen wußte, der die klaffende Traditionslücke - die Kolmar beklagte schon früh die Entfremdung ihrer Eltern vom Judentum - zu füllen vermochte.

Diese Dichterin, die im Leben eine zur Askese neigende Bescheidenheit aufwies, selbst kinderlos bleiben mußte und darunter litt, verstand es, ihrem ungezügelten, alle Konventionen von passiver Weiblichkeit überschreitenden Verlangen eine poetische Sprache zu verleihen, die bis heute wohl manchen Leser in Schrecken zu versetzen vermag. Hanns Zischler jedenfalls, ihr vorsichtiger und bewundernder Interpret, fiel angesichts dieser lyrischen Kraft in eine zweifelhafte Zuschreibung zurück: Er unterstellte ihr eine „ekstatische und hysterische Zugeneigtheit“.

Der Dichterin Else Lasker-Schüler widmete sich das israelische Nationaltheater „Habimah“ mit dem Stück „Else“. Es behandelt die letzten Jahre der Lasker-Schüler, die diese seit 1937 im Jerusalemer Exil verbrachte. Anders als bei Gertrud Kolmar ist die Lyrik der Lasker-Schüler tief in der jüdischen Symbolik verwurzelt, im Unterschied zu ihrer zurückgezogenen Berliner Zeitgenossin durchbrach sie die Traditionsbande von Ehe und Familie und lebte ein Nomandenleben im Kreise der Berliner Boheme. Hier stilisierte sie sich selber zur Kunstfigur des „Tiger Jussuf“, und ihre Extravaganz wurde unter den expressionistischen Künstlern als poetische Aussage aufgenommen und verstanden. In Jerusalem wurde die gebeugte, kuriose Gestalt als Exotikum verlacht. Unter den Kindern, die Steine nach ihr warfen, war der spätere Lyriker Jehuda Amichai, der 1968 erstmals ihre Gedichte ins Hebräische übersetzte, aber auch der spätere Intendant von Habimah, der den jungen israelischen Autor Motti Lerner zu seinem Stück anregte. Lerner fasziniert das Verhältnis zwischen Israel und der deutsch-jüdischen Kultur. Der „Zauber“, der für ihn von der Biographie der Lasker-Schüler ausgeht, erschien ihm als Spiegel für diese ambivalente Beziehung. Das Stück zeigt deutlich die Gefahr, die in dieser Vereinnahmung der Dichterin liegt: Sie erscheint als Kuriosum, eine verrückte Baglady, die unbegreiflicher Weise schöne Gedichte schreibt. Es ist vor allem dem intensiven Spiel der Else-Darstellerin Miriam Zohar zu verdankten, daß die Figur nicht der Lächerlichkeit preisgegeben wird. Erst im zweiten Teil des Stücks wird ihr kompromißloses Beharren auf der erlösenden Kraft der Poesie deutlich als der tragische Grund für ihre grenzenlose Verlassenheit. Klar wird auch, daß das Judentum von Else Lasker-Schüler mit der Wirklichkeit der um ihr materielles Überleben kämpfenden Juden im Jerusalemer Alltag der Dreißiger Jahre nichts gemein hatte.

„Dichter sind Juden“. Dieses Wort von Maria Zwetajeva stellte Hanns Zischler an den Anfang seines Vortrags über Gertrud Kolmar - es gilt ebenso für Else Lasker-Schüler. Ihr Außenseitertum zerrieb sich nicht an dem Gegenstand von jüdischer und nichtjüdischer Welt, sondern an dem von Wirklichkeit und Vision. Daß es heute jüdische Künstlerinnen gibt, die dieses Erbe übernehmen, ist zu vermuten - nur hätten sie den Rahmen dieses Festivals sicher gesprengt.

Margret Iversen