: Netzwerk der Frauen
■ IV. Internationale Feministische Buchmesse in Barcelona
Ein heißer Morgen in Barcelona. An den Pinienstämmen der Ramblas leuchten Richtung Mittelmeer große grellgelbe Plakate, die für die „4. Internationale Feministische Buchmesse“ werben. Deutsche Touristinnen umlagern einen Kiosk, der Cosmopolitan, Brigitte und Das Goldene Blatt feilbietet.
Ein anderes Bild an der stinkenden Hafenkloake: Alte Frauen halten ihre Hände nach einem Duro ausgestreckt, nach fünf Peseten. Transvestiten und Prostituierte mit von Nadeln zerstochenen Armen, die Körper von zerschlissenem Tuch dürftig verhüllt, lehnen apathisch im Schatten. An einem Sexshop treten sich Schlips- & Kragenträger auf die Füße. Keine hundert Meter weiter hat sich eine lange Schlange vor einem mächtigen gotischen Bau gebildet. Es ist der Eingang zur „IV. Feria Internacional del libro Feminista“.
Über vier Tage, vom 19. bis zum 23. Juni, war Barcelona Weltknotenpunkt von Literarinnen, Verlegerinnen, Künstlerinnen, Feministinnen. Anlaß war „die einzige Buchmesse von Frauen für Frauen“, wie Cheforganisatorin Maria Jose Aubet erklärt. Über 20.000 Besucherinnen wurden gezählt, knapp 300 Verlage waren vertreten. An den dutzend Diskussionsveranstaltungen, Workshops und Colloquien arbeiteten, stritten und tauschten zudem 150 geladene Autorinnen Ideen und Erfahrungen aus. Themenschwerpunkte waren (neben Frauenverlagswesen, sexismusfreier Kinderliteratur, Lesbenprosa und -poesie und Ideologiefragen) vor allem drei Inhalte: feministische Literatur in Lateinamerika, Afrika und Osteuropa. Soziologinnen, Schriftstellerinnen und Journalistinnen aus Marokko, Algerien, Ägypten und Tunesien referierten über Frauenrecht und Feminismus in Gesellschaften mit fundamentalistischen Religionen wie dem Islam.
Ein Team von zehn Frauen hatte die Messe achtzehn Monate vorbereitet. „Wir mußten sprichwörtlich bei Null anfangen“, sagt Maria J. Aubet. „Weder Regierung noch Verlagsindustrie noch Behörden zeigten Interesse.“ Die reinen Messekosten von über einer Million DM wurden letztendlich doch noch von staatlichen Stellen wie dem Kultusministerium, der autonomen Landesregierung Kataloniens und dem „Instituto de la Mujer“ bestritten. Private Stifterinnen und ausländische Kultur und Fraueninstitutionen übernahmen die hohen Reisekosten für Ausstellerinnen und Autorinnen aus Osteuropa, Schwarzafrika und Lateinamerika. Das Goethe-Institut stiftete ganze drei Flugtickets, unter anderem für Petra Kelly. Die Stadt Barcelona stellte die Räumlichkeiten.
Trotz der unbestreitbaren Schönheit der großzügigen gotisch -romanisch gemixten Architektur irritierte einige die „Location“. Die spanischen Veranstalterinnen sahen sich Kritik ausgesetzt, da in den Sälen, die sonst zum Schiffahrtsmuseum zählen, die originalgetreuen Nachbauten hispanischer Kolonialmacht verblieben. So fand die Eröffnungsveranstaltung zu Füßen einer Kolumbus-Fregatte statt, an deren Rumpf das Holzrelief barbusiger Meerjungfern, die einen Seemann bewundernd betatschen, geschnitzt ist... Neun Galerien stellten Skulpturen, Graphik, Photos und Gemälde von weiblichen Künstlerinnen aus. Eine „Frauen-Filmwoche“ zeigte von preisgekrönter Cine -Kunst („Salaam Bombay“ von Mira Nair) bis zu Independent -Streifen 23 Arbeiten von Regisseurinnen.
„Eine feministische Buchmesse dokumentiert auch, daß es eine zu bekämpfende kulturelle Übermacht eines Geschlechts gibt. Diese Veranstaltung hilft die Ignoranz und Dominanz von männlichen Kulturpäpsten aufzubrechen, wobei ich trotzdem für die Tolerierung gegenüber dem Individuum bin“, erklärt Purlitzer-Preisträgerin Alison Lurie. Unerwartete Turbulenzen entstanden im Vorfeld der Messe. Wüste Attacken von katalanischen Schreiberinnen, die in ihrer Sprache veröffentlichen und im „offiziellen Katalog“ als Spanierinnen aufgeführt waren, gipfelten in einem Teilboykott. Die sechzig verbliebenen Katalaninnen ließen einen aufwendigen Alternativkatalog erstellen und erreichten damit hohe Medienaufmerksamkeit.
Der deutschsprachige Markt war mit vier Ständen vertreten, wobei der Wiesbadener Frauenliteratur-Vertrieb gleich 33 deutsche Verlage vom katholischen Herder bis hin zum kleinen Venus-Falling-Verlag im Angebot hatte. Diesen Umstand erklärte Anke Schäfer damit, daß es ihr „vor allem um die Autorinnen und weniger um die bürgerlichen Mainstream -Verlage“ ging. Hilke Schlaeger (Frauenoffensive), Dagmar Schultz (Orlanda Frauenverlag) und Sylvia Treudel (Wiener Frauenverlag) waren sich ob der eminenten Bedeutung der viertägigen Buchmesse, „die für alle eigentlich ein Zuschußgeschäft ist“, einig: „Politisches Statement nach außen“, „Kommunikation mit anderen Verlagen“, „Professionalisierung der Arbeit“, „Daten- und Erfahrungsaustausch“ und „die Planung bzw. Verwirklichung von gemeinsamen Projekten“ waren die hauptsächlich genannten Gründe für ihre Teilnahme. „Finanziell rentieren tut es sich nicht. Aber würden wir kommerziell und nicht politisch denken, säßen wir alle ohnehin im Lektorat bei Bertelsmann.“
Selektion bei der Auswahl von Verlagen nach politischen oder qualitativen Präferenzen gab es nicht. „Das würde auch nur Hauen und Stechen in den jeweiligen Nationen verursachen.“ Die Messe-Idee entstand auf einem internationalen Treffen feministischer Verlegerinnen Ende der 70er Jahre in München. Zwar gab es schon früher anläßlich der Buchmesse immer einen regen Austausch unter Frauenverlagen, doch gerade die Teilnahme sogenannter Dritt -Welt-Ausstellerinnen scheiterte am Geld. Mit der Zeit entstand ein weltumspannendes feministisches Netzwerk. Der Erfolg war die Messen-Premiere 1984 in London. Im Zwei -Jahres-Turnus folgten Oslo, Montreal und jetzt Barcelona. Bei den Londoner Frauen-Buchtagen waren das Goethe-Institut und der Frankfurter Börsenverein noch mit finanzieller Unterstützung dabei. Während in Italien, den skandinavischen Ländern, Holland und Kanada Übersetzung feministischer Literatur gefördert wird, Autorinnen mit Stipendien versehen werden, ist in deutschen Land Betteln mit Aussicht auf Mißerfolg die Losung. Auch von den „bürgerlichen“ Verlagen ist nicht viel Gutes zu erwarten. Sie picken sich aus dem feministischen Literatur-Angebot die Rosinen raus und veröffentlichen Bücher, „die in den 70er Jahren nur bei uns erschienen wären“, bilanziert Dagmar Schultz ernüchtert.
Derweil laufen die Planungen für die fünfte feministische Bücherschau schon an. Basisdemokratischer Konsens bisher: „Ein Ort in der Dritten Welt.“
Nikolas Marten
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