Wenn Muscheln Walkman hören

Lebende Wasser- gütemessung  ■  BUNSENBRENNER

Was haben Hunde, Kanarienvögel und Muscheln gemeinsam? Alle drei werden von Menschen als Frühwarnsysteme benutzt. Jeder kennt den kläffenden Köter, der sein Herrchen vor der Ankunft von Fremden warnt. Und zumindest wer im Pott lebt, wird schon mal was von den Piepmätzen im Untertagebergbau gehört haben. Wenn die Vögel von der Stange fielen, wußten die Kumpels, daß Giftgas in den Stollen eingedrungen war.

Und Muscheln? In den Niederlanden wurde jetzt ein Frühwarnsystem für Wasserverschmutzung auf den Markt gebracht, das auf lebenden Muscheln basiert. Des Pudels oder besser der Muschel Kern: Muscheln schließen ihre Schalen, wenn der Sauerstoffgehalt des Wassers sinkt oder zuviel Giftstoffe im Wasser schwimmen. Unter normalen Umständen halten sie ihre Schalen geöffnet, um Sauerstoff zu atmen und Kleintiere als Nahrung auszufiltern.

Dieses Verhaltensmuster nutzt der von holländischen Wissenschaftlern entwickelte „Mussel Monitor“ (zu deutsch Muschelüberwacher), indem er die Bewegung der Schalen einiger Muscheln aufzeichnet. Jedes dieser Geräte besteht aus einem 30 Kilogramm schweren, wasserdichten Stahlzylinder, gefüllt mit Elektronik, und einem Käfig, der acht Muscheln enthält. Für Salzwasser werden gewöhnliche Miesmuscheln, Mytelus deulis, für Süßwasser die sogenannten Wandermuscheln, Dreissena polymorpha, verwendet. An jeder Muschelschale ist ein Sensor angeheftet, der über ein Kabel mit der Elektronik im Zylinder verbunden ist. Wie Ohrenpaare, die über einen Kopfhörer Musik hören, sehen die Muscheln aus.

Die Signale in den Kabeln gehen beim „Mussel Monitor“ aber in die entgegengesetzte Richtung wie beim Walkman. Die Sensoren melden einem Mikrocomputer im Zylinder die Schließzeiten der Muscheln. Wenn mehr als sechs Muscheln zur gleichen Zeit ihre Schalen länger als fünf Minuten schließen, gibt der Kleinrechner Alarm. 22.000 Mark kosten je acht Muscheln mitsamt ihrem elektronischen Gehirn.

Bei einem anderen Projekt der niederländischen Wissenschaftler sollen Muscheln die Wasserqualität nicht nur kontrollieren, sondern sogar verbessern. Die Muscheln arbeiten dabei als lebende Filter. Körbe, die hundert dieser Schalentiere enthalten, werden sechs Wochen ins Meer gehängt. Etwa 200.000 Liter Wasser fließen in dieser Zeit durch die Kiemen der Tiere. Giftige Chemikalien sammeln sich in ihrem Gewebe und werden damit aus dem Wasser gefiltert. Der Mensch versaut die Meere und die Muscheln müssen's ausbaden.

Diese lebenden Wasseraufbereitungsanlagen werden vornehmlich an der Rheinmündung eingesetzt. Nach jedem Einsatz wird das vergiftete Muschelfleisch chemisch analysiert und leider nicht in den verantwortlichen Vorstandsetagen der Chemieindustrie zum Lunch serviert.

Wolfgang Blum