Ballungsraum Stuttgart soll Öko-Park werden

Grüne für ökologischen Strukturwandel gegen Auto-Krise / Daimler hat sich auch schon Gedanken gemacht und schlägt Grünen Dialog vor  ■  Aus Stuttgart Erwin Single

Der mittlere Neckarraum - das ist das Herz des Schwabenlandes, Region der Nobelkarossen und Metallarbeiterstreiks. Dem Ballungsraum um Stuttgart, dem im Gerangel westdeutscher Wirtschaftszentren wegen seiner provinziell anmutenden Erscheinung immer wieder schlechte Chancen zugeschrieben werden, wollen die Grünen im Landtag nun mit einer neuen Leitidee auf die Sprünge helfen: die Region soll sich durch einen „ökologisch induzierten Strukturwandel“ zum „Öko-Park“ mausern.

Hannover hat seine Messen, Frankfurt ist Bankenmetropole, München gilt als Zentrum der Computer- und Elektronikindustrie, und das Ruhrgebiet kann sich neuerdings mit seinem Emscher-Park rühmen. Warum soll die Region Stuttgart, in der auf zehn Prozent der baden -württembergischen Fläche 25 Prozent der Bevölkerung rund 30 Prozent des Bruttoinlandprodukts erzeugen, also nicht als Öko-Park auch Vorzeigeregion werden?

„Wir haben die schwäbischen Tüftler dazu“, erklärte der grüne Abgeordnete Michael Jakobi am Samstag auf dem Kongreß über die Zukunft des Ballungsraums Stuttgart, den die grüne Landtagsfraktion veranstalteten. Auf deren Innovationskraft setzen auch Marcus Hesse und Rainer Lucas vom Berliner Institut für ökologische Wirtschaftsforschung (IÖW) in einem im Auftrag der Grünen erstellten und vergangene Woche druckfrisch vorgelegten Gutachten zur „ökologischen Industrie- und Strukturpolitik“ in der Region.

Konzept und Idee des „Öko-Parks“ ist ein konzertiertes Aktionsbündnis zwischen Unternehmen, staatlichen und kommunalen Einrichtungen, Verbänden, Arbeitnehmern und Verbrauchern, um die Beziehungen zwischen Ökonomie und Ökologie auf ein langfristig tragfähiges Verhältnis zu stellen. Gedacht ist dabei vor allem an ein Beratungsnetzwerk, das nicht nur technologie-, sondern auch ökologieorientiert im Bereich Forschung und Entwicklung arbeiten soll.

Daß die Firmen an solchen ökologischen Zukunftsperspektiven nicht uninteressiert sind, liegt auf der Hand: mit neuen umweltschonenden Techniken und Produkten lassen sich Marktpotentiale erschließen und auch Kasse machen. „Diese ökologischen Zukunftsbereiche müssen als ökonomische Chance begriffen werden“, sagte Jacobi.

Bei ihren grünen Visionen von Öko-Tech und Öko -Dienstleistungen scheint die Fraktion aber auch ein Szenario vom Aufstieg und Fall des Mittleren Neckarraums vor Augen zu haben, das ihnen das IÖW-Gutachten gleich mitlieferte: „Das Jahr 2005 ist ein schlechtes Jahr. Die beiden multinationalen Konzerne Daimler/Mitsubishi und IBM entscheiden sich, ihre Konzernzentralen nach Berlin zu verlegen. In zahlreichen US-Bundesstaaten wird der motorisierte Individualverkehr auf Grund massiver Klimaturbulenzen erheblich eingeschränkt.“

Für die einst prosperierende Region hat das katastrophale Folgen: „Die Automobilbranche verliert damit schlagartig einen wichtigen Markt. Die Folge sind Massenentlassungen bei den Herstellern und Zulieferern; die regionale Arbeitslosenqote steigt auf über 15 Prozent. Diese Entwicklung ausgleichende Faktoren sind nicht vorhanden.“ Die starke Abhängigkeit der Region vom „auslaufenden“ Fahrzeugbau beklagen auch die IÖF-Wissenschaftler; ein Drittel aller Arbeitsplätze hängt direkt oder indirekt am Automobil.

Und die Gutachter sehen wie Fraktionschef Rezzo Schlauch ein weiteres Risiko in den Bemühungen der Autokonzerne, ihr Produkt zu perfektionieren: dieses Festhalten am „Automobilismus“ mit all seinen negativen Folgen führe in die Sackgasse, erklärte Schlauch auf dem Kongreßpodium und forderte statt dessen ein umwelt- und stadtgerechtes Individualverkehrssystem. Denn wie anderen Ballungszentren droht Stuttgart der Verkehrsinfarkt; ganz zu schweigen von den dadurch verursachten Umweltbelastungen.

Doch nicht nur mit dem Verkehrschaos sind die Belastungsgrenzen längst erreicht; der Flächenverbrauch durch die Zersiedelung und die Abfallwirtschaft mit den anwachsenden Müllbergen haben laut Gutachten längst die Kapazitätsgrenzen erreicht. Der Standort Mittlerer Neckar verliert dadurch an Attraktivität.

Wenn auch überzeichnet, so doch „im Kern berechtigt“ bewertete IHK-Geschäftsführer Peter Kistner die gutachterlichen Befürchtungen. Daimler-Konzernsprecher Matthias Kleinert wollte die Automobilismus-Vorwürfe gegen sein Unternehmen nicht gelten lassen und erklärte, daß ein Großteil der Forschungsgelder in Höhe von 30 Millarden Mark in den Umweltschutz fließt.

Außerdem würden über viele der von den Grünen präsentierten Vorschläge auch bei Daimler nachgedacht, meinte Kleinert und forderte zum weiteren Dialog auf. „Da sollten sich der große Daimler und die kleinen Grünen zusammensetzen.“ Daimler und die Grünen wollen nun ein gemeinsames Forschungsprojekt angehen.