„Reinigende Gewitter“ in der SPD-Zentrale

■ Kritik an Führungsdebatte / DDR-SPD akzeptiert die Vorstandsentscheidung zähneknirschend

Berlin (dpa/taz) - Auf scharfe Kritik sind am Dienstag im SPD-Parteirat die Auseinandersetzungen um den künftigen Parteivorsitzenden gestoßen. Auf der Sitzung wurden nach Angaben von Teilnehmern führende Parteimitglieder angegriffen, weil sie in Interviews die Debatte vom Zaun gebrochen hätten. Gefolgsleuten von Kanzlerkandidat Oskar Lafontaine wurden „putschartige“ Bestrebungen vorgeworfen, um Parteichef Hans-Jochen Vogel zu verdrängen. Die Lafontaine-Sympathisanten bemängelten dagegen, daß die Spitzengremien der Partei sich nicht auf Neuwahlen der gesamten Führungsspitze bereits auf dem Vereinigungskongreß Ende September verständigt hätten. Damit sei „die Chance eines Neuanfangs vertan“ worden.

Der Parteiratsvorsitzende Norbert Gansel räumte nach der Sitzung ein, daß es bei den Debatten scharfe Auseinandersetzungen gegeben habe. Er sprach von einem „reinigenden Gewitter“, mit dem hoffentlich ein Schlußstrich unter den Streit der letzten Wochen gezogen worden sei. Nach Gansels Angaben wurde die Mehrheitsempfehlung von Präsidium und Vorstand vom Vortag, die gesamte Führung erst im Mai nächsten Jahres zu wählen, lediglich „zur Kenntnis“ genommen. Dies bedeutet, daß der Beschluß nicht ausdrücklich begrüßt wurde.

Zähneknirschend hat das Präsidium der Ost-SPD die Entscheidung des Westvorstandes, auf dem Vereinigungsparteitag lediglich zehn Vorstandsmitglieder hinzuzuwählen zur Kenntnis genommen. Ihr Wunsch war es gewesen, Wolfgang Thierse als gleichberechtigten Vorsitzenden an der Seite von Hans-Jochen Vogel zu sehen. Man wolle aber jetzt, so Geschäftsführer Hilsberg, „dem Einigungsprozeß keine Steine mehr in den Weg legen“. Der Vorsitz sei nicht die „Schlüsselfrage“, man wolle sich jetzt darum bemühen, daß der Einfluß der Ost-SPD im gemeinsamen Programm und Statut festgeschrieben wird.

Auch der Vorsitzende Wolfgang Thierse sagte gestern, es wäre „schön“ gewesen, hätte der Parteitag einen neuen Vorsitzenden und Vorstand gewählt. Er habe allerdings die formalen Hürden, die das Parteiengesetz aufstellt, akzeptieren müssen. Für Thierse spiegeln die jetzigen Beschlüsse „die wirklichen Kräfteverhältnisse“ zwischen Ost und Westpartei wider. Er forderte für seine Partei auch nach der Vereinigung eine gewisse Eigenständigkeit. Die Westgenossen müßten begreifen, daß es sich bei der DDR-SPD nicht einfach um einen neuen Unterbezirk handle. Schon bei der jetzigen Quote für die DDR (100 von 400 Delegiertenstimmen für den Parteitag) hätten einige West -„Landesfürsten“ aufgemuckt, sagte Thierse.

bf