„Es hat Enteignungen gegeben, die unrecht waren“

■ Interview mit Axel Viehweger (BFD), Minister für Bauwesen, über Mieten, Subventionen, private Investoren, Westeigentümer und Stadtsanierung Der Minister zeigt sich neuen Initiativen gegenüber aufgeschlossen / Mieter sollen Eigentümer werden

taz: Heutzutage zahlt eine durchschnittliche Familie der DDR für eine normale Wohnung 70 bis 100 Mark Miete. Was muß sie nächstes Jahr um diese Zeit zahlen?

Axel Viehweger: Das kann ich Ihnen nicht beantworten. Die Kaltmiete beträgt heute bei einer 70-Quadratmeter -Neubauwohnung 63 Mark, das sind durchschnittlich vier Prozent des Haushaltseinkommens. Ich bin der Meinung, daß Anfang nächsten Jahres in einem ersten Schritt eine Verdoppelung der Kaltmiete eintreten sollte. Das steht aber nicht fest, dazu hat das Kabinett keine Entscheidung getroffen. Vielleicht machen wir das zum 1. Juli 1991 oder auch ein Jahr später. Da muß man die Einkommensentwicklung angucken, und wenn die Einkommen im Dezember noch genauso sind wie jetzt, dann gibt's am 1.1. keine Mieterhöhung. Und vor einer Entscheidung wird es ein Wohngeldgesetz geben. Das bedeutet, daß bereits in dieser ersten Stufe der Mieterhöhung für bestimmte Familien Wohngeld gezahlt werden wird. Über die nächsten Schritte, also die Kapitalkosten und dann die Verkehrswerte der Grundstücke umzulegen, kann man nur spekulieren. Aus meiner Sicht passiert das im nächsten Jahr nicht.

Wieviel Personen werden dann auf Wohngeld angewiesen sein?

Vom momentanen Lohnniveau ausgehend, rechnen wir mit etwa 15 Prozent der Haushalte.

Woher sollen die Kommunen die Mittel für das Wohngeld nehmen?

In diesem Jahr werden die Subventionen noch vom Staat, sprich: vom Finanzministerium bezahlt. Das ändert sich mit Einführung der Länder und der neuen Steuergesetze. Dann wird die Kommune einen Teil der Steuern bekommen, den Rest bekommen das Land und der Staat oder der Bund. Und die Kommunen müssen jetzt Gewerbegebiet ausweisen. Bisher haben sie nichts davon gehabt, nur den Dreck, aber ab Juli bekommen die Kommunen dafür Steuern. Die Kommunen können also künftig zu Geld kommen.

Die BRD gibt jährlich fünf Milliarden für Wohngeld aus...

Unsere derzeitigen Subventionen fürs Wohnen sind wesentlich höher, da werden 100 Prozent der Haushalte subventioniert, und da wird es ab 1.Juli nicht wenige geben, die 7- bis 8.000 Mark im Monat verdienen. Deren Miete wird genauso subventioniert wie die eines Arbeitslosen. Dieses Gießkannenprinzip halte ich für ungerecht. Wohngeld bekommen aber nur die 15 Prozent Bedürftigen. Und wir werden diese Regelung weit vor der Mieterhöhung einführen, weil die Kommune mindestens zwei, drei Monate braucht, um die Ämter einzurichten.

Die DDR braucht künftig Milliardenbeträge für die Sanierung, aber auch für Wohnungsneubau. Wo soll das alles herkommen?

Das ist im Haushalt für dieses Jahr alles eingetaktet. Wir haben mit einer Reihe der 80.000 geplanten Wohnungen für dieses Jahr angefangen, die müssen fertig gebaut werden. Wir werden wahrscheinlich nur 70.000 schaffen. Das liegt zum Teil daran, daß uns auch in die sem Jahr wieder eine Reihe von Bauarbeitern verlassen haben - 13.000 -, aber auch daran, daß es etliche Baustopps gibt, zum Teil auch berechtigte, bei denen die Bauindustrie jetzt ein neues Angebot machen muß, das schöner aussieht. Es wird weiter Geld geben für Instandsetzung und Modernisierung, das ist auch im Haushalt eingeordnet. Drittens: Es wird auch Geld geben für die Stadtsanierung. Das ist neu, dafür gab es bisher null Mark.

Ist daran gedacht, die Kosten für Instandsetzung und Modernisierung auf die Miete umzulegen?

In diesem Jahr nicht. Das geschieht frühestens im nächsten Jahr, parallel zu dem schon erwähnten Mieterhöhungsmodell mit den drei Schritten. Wir wollen das ähnlich gestalten wie in der BRD, mit elf Prozent der Baukosten, die auf die Jahresmiete umgelegt werden. Nur um welche Kosten es sich dabei handeln kann, das wird anders sein. Wir haben andere Rahmenbedingungen, zum Beispiel viel mehr Häuser mit Außentoilette als die BRD. Bei uns ist die Instandsetzung das teuerste, dafür brauchen wir keine Luxussanierung wie in der Bundesrepublik. Dort geht es darum, ob Parkett reinkommt, um mal ein Beispiel zu sagen.

Die Kommunen haben jedenfalls nicht genug Geld, um zu sanieren.

Die Kommunen können zum Beispiel ein Haus einer Genossenschaft geben. Ich habe mit Instandbesetzern gesprochen - es gibt solche und solche. Warum gibt die Kommune nicht diesen Leuten das Haus, als Mietergenossenschaft zum Beispiel, und sie setzen es dann instand? Das kostet die Kommune null Pfennig. Ich sehe kein Problem, Mieter dafür zu gewinnen, wenn sie das Haus als Eigentum erhalten.

Was ist mit privaten Investoren im Wohnungsbau?

Dafür arbeiten wir an Rechtsvorschriften. Wenn ein Investor der Kommune Land abkauft und ein Apartmenthaus baut, wird es von uns keinen Zuschuß geben, weder für den Bau noch zur Stützung der Mieten. Die Mieten werden höher sein als die vom Staat gestützten.

Sind diese Mieten völlig frei?

Auf keinen Fall. Wir werden einen Mietspiegel einführen und daran diese Mieten binden.

Aber sie sind kostendeckend plus eine Gewinnspanne.

Sicher.

Künftig werden ja sehr viel mehr Wohnungen in privater Hand sein...

41 Prozent unserer Wohnungen sind jetzt schon in privater Hand.

In der gemeinsamen Erklärung beider Regierungen zur Regelung offener Vermögensfragen heißt es, daß die nach 1949 enteigneten Eigentümer ihren Grundbesitz wieder zurückfordern dürfen. Was passiert dann mit enteigneten Häusern, die jetzt von der KWV verwaltet werden? Der Ostberliner Stadtrat Thurmann rechnet damit, daß das 60 Prozent der Berliner Altbauten betrifft.

In der Erklärung heißt es: Die Rückübertragung von Grundstücken und Gebäuden, die dem Gemeingebrauch gewidmet sind, etwa im komplexen Wohnungs- und Siedlungsbau verwendet werden, ist von der Natur der Sache nicht möglich.

Das sehen manche in der Berliner Stadtverwaltung anders. Dort wird befürchtet, daß Eigentümer kommen und prozessieren. Zum Beispiel in der Friedrichstraße, da haben Investoren angefangen zu bauen, die drohen jetzt, wieder aufzuhören, weil sie nicht wissen, wem ihr Grundstück gehört.

Naja, die müssen eben das Grundbuch einsehen.

Wenn es strittig ist, wem das Haus gehört, dann kann nicht saniert oder verkauft werden.

Ich bin auch der Meinung, daß möglichst schnell juristische Klarheit geschaffen werden muß. Aber die gibt es in den meisten Fällen nach diesem Beschluß. Und außerdem ist die Frist, während der die Eigentümer Ansprüche anmelden dürfen, auf ein halbes Jahr beschränkt.

Wann fängt die Frist denn an?

Das kann ich Ihnen nicht sagen.

Gibt es bei Ihnen Schätzungen, wie viele derartige Ansprüche auf Sie zukommen?

Nein, die richten sich an die Kommunen beziehungsweise die Gerichte und nicht an das Ministerium. Aber sehen Sie: Es hat bei uns in der DDR Enteignungen gegeben, die eindeutig unrecht waren, bei denen Leuten aus politischen Gründen ihr Eigentum ohne Entschädigung weggenommen wurde. Und da muß das Recht wieder hergestellt werden.

Es wird befürchtet, daß Privateigentümer künftig ihre Wohnungen zu höheren Preisen an Westler vermieten, vor allem in Berlin.

Zu verhindern, daß in West-Berlin gearbeitet und im Osten gewohnt wird, das ist über das Mietrecht nicht zu machen. Ich kann nicht in Ost-Berlin im Gegensatz zur DDR die Mieten hochsetzen. Die Kommune könnte höchstens eine Verordnung erlassen, die den Vermietern das Recht gibt, zu kontrollieren, wo die Arbeitsstätte ist. Und danach wird die Miete festgelegt. Allerdings hat das einen hohen Verwaltungsaufwand, und ich weiß auch nicht, ob das datenschutzrechtlich möglich ist.

Welcher Vermieter wird dann noch an einen Ostberliner vermieten, wenn er mehr Geld von einem Westler bekommt? Es wird passieren, daß künftig freie Wohnungen nur noch an Westler vermietet werden.

Das kann passieren, ja.

Und da wird auf die Dauer eine Verdrängung von Ostberlinern stattfinden.

Wieso Verdrängung? Der Vermieter bekommt die Mieter doch nicht aus den Wohungen raus.

Aber es steht doch auch viel leer.

Wenn etwas leersteht, dann ist es mir vollkommen egal, wer da reingeht. Und daß freie Wohnungen an Westler vermietet werden, wie wollen Sie das lösen? Wollen Sie die Mauer wieder aufbauen? Mehr als Gesetze schaffen können wir nicht.

Die Kommunen haben gar nicht den Verwaltungsapparat, die Einhaltung der Gesetze zu kontrollieren.

Die DDR-Bürger müssen es lernen, sich zu wehren, etwa vor Gericht. Natürlich werden Privateigentümer versuchen, Leute rauszuekeln...

...oder rauszukaufen?

Wie soll ich das gesetzgeberisch verhindern? Das ist generell nicht zu lösen. Es wird bald ein Deutschland geben, das hat die Bevölkerung so gewollt, ich übrigens auch. Also sollte man nicht noch zusätzlich Mauern aufbauen. Natürlich wird bei der einen oder anderen Sache das Pendel zu weit ausschlagen, da müssen wir eingreifen. Und daß wir heute noch nicht alles übersehen, ist mir schon klar.

Was werden Sie tun, um den Wildwuchs bei den Bauvorhaben zu beseitigen, also daß die Investoren treiben können, was sie wollen?

Wir werden zum 1.Juli eine Bauzulassungsverordnung einsetzen. Wir informieren die Kommunen diese Woche noch, wie damit umzugehen ist.

Von einem Gesetz entstehen noch keine Bebauungspläne, und das dauert in West-Berlin drei Jahre.

Solange wird es hier auch dauern.

Was machen Sie solange? Die Investoren kaufen ja schon alles.

Kaufen heißt ja noch nicht bauen. Und in den Städten sind Flächen schon planungsrechtlich ausgewiesen.

Was passiert, wenn eine kleine Gemeinde an einen Riesenbetrieb Land verkauft, womöglich unter Preis und zum Schaden der Umwelt, weil sie nichts vom Geschäft versteht?

Unsere Gesetze, die verhindern, daß umweltschädliche Betriebe zugelassen werden oder daß der Supermarkt in der Altstadt entsteht, die gibt es ab 1.Juli. Was soll das Ministerium weiter machen? Früher hat das Ministerium alles entschieden, was gebaut worden ist in diesem Land, das soll nicht wieder sein. Da muß die Demokratie wirken und die Bürgerinitiativen.

Da muß es aber auch Mitarbeiter in den Kommunen geben.

Ja, ich bin sehr dafür. Aber die Kommunen fangen auch nicht bei Null an. Stadtplaner gibt es schon lange, und die waren nicht alle blöd. Allerdings müssen wir vor allem den kleinen Gemeinden helfen, die großen Städte haben ja Stadtarchitekten. Die können zum Beispiel freie Architekten mit einzelnen Probleme beauftragen. Und es gibt hier Mitarbeiter in den Instituten in Berlin. Die sollen rausgehen, notfalls nach Klein-Kleckersdorf. Ab ersten Juli haben die Kommunen Steuern und können sich entscheiden, ob sie sich einen Stadtplaner leisten, und das sollten sie tun.

Es gibt zwischen dem Mietrecht der DDR und der BRD Unterschiede, zum Beispiel gibt es in der Bundesrepublik keine Wohnungsgemeinnützigkeit mehr, hier wird sie gerade eingeführt. Wie soll das werden, wenn es ein Deutschland gibt?

Es wird in unseren fünf Ländern andere Regelungen geben als in den anderen Bundesländern, und zwar als Übergangsrecht, die Wohnungsgemeinnützigkeit gehört dazu.

Sie haben beispielsweise eine andere Regelung zum Eigenbedarf. In der DDR muß dem Mieter eine Ersatzwohnung gestellt werden.

Die Kommune muß die Ersatzwohnung stellen. Das möchten wir gerne beibehalten.

Und wie lange möchten Sie diese Regelung behalten?

Ich schätze, daß das Übergangsrecht noch eine Legislaturperiode länger dauern wird als die Wiedervereinigung, also vier Jahre. Und die Anpassung an Ihr Mietniveau wird sicher auch so lange dauern.

Vier Jahre? Nicht länger?

Nein, glaube ich nicht. Ich gehe aber davon aus, daß sich bis dahin auch die Einkommen so entwickelt haben. Aber es wird irgendwann, vielleicht sogar schon Ende dieses Jahres, nur noch ein Bauministerium geben, und der Minister bin garantiert nicht ich.Das Gespräch führten Eva

Schweitzer und Beate See