: Neu in Schauburg und Gondel:
■ „Tante Daniele“ von E. Chatiliez
Sie haßt kleine Kinder, Hunde und ihren Neffen samt Familie. Sie haßt ihre alte Haushälterin Odile, den Briefträger und die Nachbarn. Sie haßt Krautwickel, wohlmeinende Leute und Blumenbeete - sie haßt das Leben und liebt nur eins: die abendlichen Gespräche mit der Fotografie ihres seligen Edouard, der schon vor Jahrzehnten gestorben ist - Tante Daniele, ein Ekel, dem man nichts Schlimmeres antun kann als: Freundlichkeit.
Eine Komödie. Und wie! Erst Vorstreichfarbe, dann Lackschicht in drei Lagen. Mit dickem Pinsel aufgetragen. Sorgfältig breit. Ein Jammer. Tsilla Chelton, die alte Tante, spielt - nach einem Leben fürs Theater - hier erstmals vor der Kamera und grimassiert, daß man es bis zur hintersten Sperrsitzreihe sehen kann. Aber es ist nicht nur die Theaterschauspielerin, die ohne Talent zum Komödiantischen wild grimassiert - es grimassiert und dilettiert die ganze behäbige Inszenierung.
Mit Trotz und Tücke bringt Tante Daniele erst ihre Haushälterin zu Tode, danach verbreitet sie Schrecken bei der Familie ihres Neffen, die ihr mit hilfloser Nachgiebigkeit begegnet. Spießer sind das, harmlos und dumm: Sie lassen sich geduldig von der Alten kujonieren, bloßstellen, demütigen - obwohl das Erbe des Tantchens längst ausgezahlt worden ist. Es gibt also keinen Grund für soviel Duldsamkeit, außer des Regisseurs Idee, die Bourgeoisie in Fronkraisch recht neckisch aufzu... ja! aufzuspießen. Aber der Spieß ist stumpf, der komödiantische Angriff ohne Raffinesse: hie ein entfesseltes Ekelpaket, ein zwischentonloses Trampeltier - da eine breiige Duldsamkeit, die schrecklich unglaubwürdig ist. Erst als die Familie verreist und eine Pflegerin für Tante Daniele ins Haus kommt, belebt sich der Film für kurze Zeit: Das junge Mädchen Solange nämlich ist der Alten so ebenbürtig an schnauziger Aggressivität, daß sich, nach Ohrfeigen und Geschrei, umstandslos eine Freundschaft zwischen den beiden anbahnt. Tantchen hat also doch - obwohl sie sich zuguterletzt noch etwas ganz Entfesseltes ausdenkt - außer dem weichen Keks auch einen weichen Kern. Man muß ihn nur herauszuprügeln wissen.
Bis dahin aber muß man miterleben, wie Tante Daniele ausgiebig in Blumen tritt, unflätige Sätze von sich gibt, ins Bett oder - vor Gästen - ins Nachthemd pinkelt, trotzig hungert, oder sich überfrißt und kotzt - wie ein verzogenes Balg, dem man schon nach ein paar Minuten den Arsch versohlen möchte. Die Greisin ist nicht unwürdig, anarchisch oder komisch - die Greisin ist würdelos und platt.
Sybille Simon-Zülch
Schauburg, gr. Haus, 21 Uhr;
Gondel, 18, 20.30 Uhr
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