Familienhebammen vorbildlich

■ Ganzheitliches Bremer Modell wird zehn Jahre alt / Kindersterblichkeit gesunken

Wenn von 1.000 neugeborenen Babies mehr als 13 vor ihrem ersten Geburtstag sterben, ist das eine Zahl, die aufschreckt. Diese Zahl stammt nicht von anno dazumal und nicht von weit her. Sondern sie beschreibt die Situation in der Stadt Bremen im Jahr 1980. Bremen gehörte damals mit „13,5“ toten Babies zu den Schlußlichtern in der Bundesrepublik, wobei die Bundesrepublik wiederum in Bezug auf die Säuglingssterblichkeit zu den kritischsten Länder in Westeuropa zählte. Um die totbringenen Zustände zu ändern, finanzierte Bonn ein „Modell-Projekt“ am Bremer Hauptgesundheitsamt: 25 Hebammen bildeten sich in einem achtmonatigen Lehrgang zu „Familienhebammen“ weiter und besuchten flächendeckend alle Familien mit Neugeborenen zu Hause. Der Nachteil dieser Groß

aktion: Die Hebammen erreichten die Frauen nicht vor der Geburt. Eine zweite Projekt-Phase wurde nachgeschaltet, Familienhebammen gingen in die Frauenkliniken und sprachen gezielt Frauen an, die wegen „Risikoschwangerschaften“ eingeliefert waren. Die an Blutungen oder vorzeitigen Wehen litten.

Heute zehn Jahre später feiert das Bremer Modell Jubiläum. Es hat viele NachahmerInnen von Rostock bis Wien gefunden. Und es hat dazu beigetragen, binnen zehn Jahren die Säuglingssterblichkeit in Bremen fast um zwei Drittel zu senken. 1989 starben von 1.000 Neugeborenen nur noch 5,1 vor ihrem ersten Geburtstag. Die neun stadtbremischen Familienhebammen betreuen mittlerweile zehn Prozent aller Bremer Gebärenden. Unter ihren „Klientinnen“ sind zu ei

nem Drittel ausländische Frauen. Die Hebammen sind versiert in Fremdsprachen, eine von ihnen ist Türkin.

Das Geheimnis des Erfolgs heißt „ganzheitliche Betreuung“. Blutungen während der Schwangerschaft, frühzeitige Wehen das sind für die Familienhebammen keine rein medizinischen Phänomene, sondern Folgen von „psycho-sozialen Problemlagen“. Wenn sie die Frauen zu Hause besuchen, erfahren sie von prügelnden Ehemännern, von Alkoholismus, von Drogensucht, von Geldnöten, von der Angst, als „Mutter mit Kind“ den Arbeitsplatz zu verlieren. Bis zum nächsten Jubiläum hat Anne Fraas, die leitende Familienhebamme einen Wunsch: Stellen für KollegInen, die arabisch, portugiesisch oder polnisch sprechen.

B.D.