Der Schönling als Dämon

■ „Todfreunde“ von Curtis Hanson

Die Exposition steckt bereits präzise Grenzen und Ziele ab. Ein Mann verläßt eine noch schlafende Frau. Mit wenigen, hastig-entschlossenen Handgriffen packt er seine Sachen in zwei Taschen und beseitigt die Spuren ihres gemeinsamen Lebens. Als er, in den grauenden Morgen hinaustretend, eine der beiden Taschen auf einen Müllwagen wirft und dann aus dem Bild geht, wird deutlich: er ist ein Mensch, der radikal mit seiner Vergangenheit abschließen kann, er ist Herr seines Schicksals.

Dann stellt der Film einen anderen Mann vor, offenbar der direkte Gegenentwurf zum ersten: ein leisetreterischer Finanzberater, der sich widerstandslos von einem Kollegen übervorteilen und demütigen läßt. Als ihm die Erwähnung der bevorstehenden Hochzeit mit seiner zielstrebigen Verlobten Magenschmerzen verursacht, wird deutlich: er ist ein Mensch, der alles in sich hineinfrißt, ein Gefangener.

Wenig später wird Alex (Rob Lowe), der erste Mann, den zweiten, Michael (James Spader) in einer Bar treffen und ihm aus einer Schlägerei heraushelfen. Und bei der zweiten, ebenso zufälligen Begegnung, sind die Rollen dann endgültig zugewiesen.

Der smarte Verführer Alex versteht es, den gehemmten Michael für sich einzunehmen. Blitzschnell erkennt er, woran es dem anderen fehlt und er beginnt, ihn bis in seine Moralvorstellungen hinein umzukrempeln. Mit kleinen Gefälligkeiten und großen Ideen macht er sich ihn gefügig. Er verschafft ihm das Entree zu Nachtclubs und Undergroundparties von exklusiver Dekadenz, schafft ihm das Schreckgespenst der bevorstehenden Heirat vom Hals und bringt ihn mit Frauen zusammen, die anzusprechen Michael nie zuvor gewagt hätte. Die Erfüllung von Michaels Alb- und Wunschträumen fällt zusammen. Sein Widerstand ist gebrochen, sein Killerinstinkt geweckt. In Alex erahnt er den ebenso bedrohlichen wie verführerischen Schattenwurf seiner selbst: die Verkörperung seiner eigenen verborgenen Möglichkeiten, das Versprechen des Auslebens seiner unausgestandenen Wünsche. Immer massiver versucht Alex, die Kontrolle über Michaels Leben zu gewinnen. Michael, von seinem Bruder mit einem Satz gewarnt, in dem sich die Essenz des gesamten Films auszuformulieren scheint: „Sleep with the devil and sooner or later you have to fuck“, setzt sich zur Wehr und versucht, sich dem Einfluß zu entziehen. Ein erbitterter Machtkampf beginnt.

Drehbuchautor David Koepp hat sich schon mit Apartment Zero für das Genre des Psychothrillers empfohlen: auch dieser Film dramatisierte eine symbiotische Männerbeziehung, die sich nur gewaltsam auflösen ließ. „Todfreunde“, der deutsche Verleihtitel seines neuen Films, beschreibt den Konflikt beider Drehbücher sehr genau; im Vergleich mit dem Originaltitel „Bad Influence“ schneidet er nicht einmal schlecht ab. Man kann nicht umhin, das Geschick zu bewundern, mit dem Koepp die Schlinge auffädelt, die sich immer enger um Michaels Hals zusammenzieht: kein Detail, kein Motiv wird verschenkt, auch die beiläufigste Andeutung gewinnt später fatale Bedeutung, und jede noch so überraschende Wendung wird unauffällig vorbereitet. Hierbei spielt eine Videokamera, die sich Michael gekauft hat, ohne zunächst zu wissen, was er mit ihr anfangen soll, eine zentrale und verblüffende Rolle.

Curtis Hansons Inszenierung setzt das Motiv der Verdoppelung und Spiegelung, das sich aus der Personenkonstellation des Thrillers ergibt, auf der visuellen Ebene fort. Anders als das gros der Regisseure, die in den letzten Jahren versucht haben, den film noir zu aktualisieren, verzichtet er auf ein Übermaß an Stilisierung. Wie schon in seinem erfreulich altmodischen Regiedebüt Das Schlafzimmerfenster (altmodisch in der Lust daran, einen Genrefilm geradlinig zu erzählen und in der Sorgfalt, mit der die Intrige des Kriminalfalles konstruiert war) greifen die elegante Inszenierung und das listige Drehbuch nahtlos ineinander: die Atmosphäre der Szenen ist so dicht, der Aufbau der Szenen so klassisch, daß kein erlärender Dialogsatz oder eine insistierende Großaufnahme nötig sind, um die entscheidenden Akzente zu setzen. Auch mit seiner Besetzung hat Hanson ein sicheres Gespür bewiesen: James Spader verrät die gleiche charmante Unbeholfenheit wie in Sex, Lügen und Video, und Rob Lowe, bislang ein Schönling von eher zweifelhaftem Talent, erweist sich als geglückter Besetzungscoup: zwar kann er das maliziöse Charisma seiner Figur nicht durchgehend halten, aber besonders im Halbprofil gewinnt sein ansonsten makelloses pretty-boy-Antlitz etwas durchaus Dämonisches.

Gerhard Midding

Curtis Hanson: Todfreunde. Drehbuch: David Koepp. Mit James Spader, Rob Lowe, Lisa Zane u.a., USA 1989, ca. 100 Minuten.