Das Züngeln der bläulichen Flamme

■ Gus van Sants „Drugstore Cowboy“

Ein Film wie im Rausch. Nur ist nie ganz klar, ob er mit dem goldenen Schuß oder in Glückseligkeit enden wird. „Ich wußte, wir konnten nicht gewinnen“, sagt Bob Hughes (Matt Dillon) gleich zu Anfang. Aber Drugstore Cowboy ist kein larmoyanter Film über vier arme Gossenkinder, denen niemand eine Chance gegeben hat und die abgestandene Weisheiten zynischer Bordsteinsozialarbeiter über sich ergehen lassen müssen. Bob und seine Frau Dianne, Kumpane Rick mit seiner etwas naiven Braut Nadine - eine Bande auf dem Streifzug vom einen zum nächsten, hoffentlich ewig anhaltenden Drogenrausch. Sie haben die Verliererseite nicht gewählt, aber ihre Entdeckung, daß sich der miesesten Lage immer Augenblicke des Triumphes abtrotzen lassen, erfüllt sie mit Zuversicht und mit einer überschäumenden Lust auf Leben, auf den nächsten Bruch, den nächsten Druck.

All das, was die internationalen Drogenbekämpfer uns über die Gefahren der Drogen einbleuen wollen, findet Regisseur Gus van Sant vollkommen normal und schildert es ohne Vorurteile: die Verlockung der Droge ebenso wie die Abhängigkeit, die das ganze Leben darauf ausrichtet, möglichst bald zum nächsten Schuß zu kommen; der Heidenspaß, eine Apotheke auszuräumen, ebenso wie die unvermeidlichen Prügel, die Bob von den Bullen bezieht, weil sie ihn verdächtigen, ihm aber nichts beweisen können und schon mal präventiv zuschlagen.

Dem einfachen Kredo Gus van Sants, daß eine überzeugende Auseinandersetzung mit Drogen nur möglich ist, wenn auch deren Genuß nicht ausgeklammert bleibt, folgt jede zweite Szene. Detailaufnahmen demonstrieren liebevoll, wie die Gruppe den erbeuteten Stoff konsumiert: die glänzende Nadel, das Züngeln der bläulichen Flamme unter dem Löffel, das Aufziehen der Spritze.

Die Intensität dieser und weiterer Bilder war der unabhängigen Verleihfirma dann doch zu groß, und sie meldete Bedenken an, der Film richte sich nicht eindeutig genug gegen den Drogenmißbrauch. Aber Gus van Sant ließ sich von seinem ursprünglichen Konzept nicht abbringen, und so hat Bobs Abkehr von der Gang nichts mit Reue oder Einsicht zu tun, sondern lediglich mit einem Schwur, den er am Grab der an einer Überdosis verstorbenen Nadine geleistet hat.

Gus van Sant gelingt eine Stimmung, in der der Zuschauer alles erwartet und sich auch alles erfüllt. Er muß nur an William S. Burroughs denken, schon schiebt sich dessen sonore Stimme ins Bewußtsein, und es ist kein Traum, oder etwa doch - aber einer von denen, die in der Phantasie des Zuschauers und im Film gleichzeitig auftauchen. Die Präsenz Burroughs‘ in der Rolle des drogenabhängigen, suspendierten Priesters, der schon mehr als einem Meßdiener den rechten Pfad ins Nirwana der Rauschgifte gewiesen hat, steigert die Attacke, die Sant gegen den moralisch erhobenen Zeigefinger inszeniert. Verächtlich spricht der Priester von denen, die die Drogenhysterie schüren, weil sie es nicht ertragen können, daß andere Drogen nehmen und daran krepieren, wie es immer prophezeit wird. Und genüßlich leckt sich der süchtige Pfaffe die Lippen, als Bob ihm ein Fläschchen Dilaudid aufs Hotelbett wirft. Er schnappt sich die Droge und stellt sie auf die Bibel. Wohin auch sonst.

Doch bevor wir uns eingerichtet haben in dieser Welt des liberalen Umgangs mit der Droge, geht die Tür des Hotelzimmers auf, und Bob, inzwischen clean und sinnvoll damit beschäftigt, an der Drehbank Löcher zu bohren, bekommt unerwünschten Besucht. „TV-Babies“ hat er sie selbst genannt, jene Jugendlichen aus der Nachbarschaft, die so oft im Fernsehen sehen, wie sich Menschen umbringen, und nun glauben, es sei legal - eine neue Generation von Dealern und Pushern. Nur auf Stoff aus und bereit, dafür zu töten.

Wir leben eben nicht mehr in den siebziger Jahren, wo Bobs Illusion vom wunderbaren Endlos-Trip noch möglich war. Gus van Sants Film hat etwas von einem Märchen, an dessen Ende, wie Licht und Schatten voneinander getrennt, die ganze Zwiespältigkeit der modernen Drogenszene den vorhergegangenen Traum wie eine Seifenblase zerplatzen läßt. Und William S. Borroughs steht am Fenster seines Hotels und sieht auf das, was die TV-Babies seinem Zögling Bob angetan haben. Eine kleine, zerbrechliche Gestalt, fast erdrückt von der grell leuchtenden Neonreklame an der Fassade des Hotels.

Christof Boy

Gus van Sant: Drugstore Cowboy. Mit Matt Dillon, Kelly Lynch. USA 1989