„Die suchen Verstecke und Geschäfte“

Mafia-Experte Pino Arlacchi lehrt an der Universität Florenz Soziologie und ist Präsident der „Internationalen Assoziation zum Studium der Organisierten Kriminalität“ mit über 500 Wissenschaftlern und Fahndungsexperten und Sitz in Chicago.  ■ I N T E R V I E W

taz: Sie behaupten, daß die Mafia längst auf dem Marsch in den Osten ist. Warum sollten die Clans ihre harte Westwährung plötzlich ausgerechnet in Rubel investieren?

Pino Arlacchi: Das ist erstens nicht plötzlich, und zweitens geht es denen gar nicht ums Investieren. Die suchen eher Verstecke. Die Staaten des ehemaligen Ostblocks, vor allem die Sowjetunion und Bulgarien, waren bereits vor 1989 so etwas wie Steuerparadiese geworden, die viele Vorteile für ins Land kommendes Geld boten; vor allem eine Diskretion, gegenüber der die einst legendäre der Schweiz vor Neid erblassen könnte.

Es geht also wieder mal ums Geldwaschen.

Auch. Die Sowjetunion ist Ermittlern bereits seit den 60er Jahren als große Recycling-Anlage bekannt. Bulgarien wiederum ist in den 70er Jahren wichtig geworden, weil dort die sogenannte „Bulgarian Connection“ durchlief, die festländische Drogenhandelslinie zwischen Asien und Italien. Diese Linien sind inzwischen, aufgrund der Durchlässigkeit der Grenzen auch der anderen Staaten, weiter ausgedehnt; so etwa suchen mittlerweile auch südamerikanische Gruppen ihr Kokain über Ost-Länder wie Polen oder die DDR in den Westen zu schleusen.

Gibt es seit dem Kollaps der Ost-Regime neue Ansätze für mafiose Infiltration?

Mafia hat Demokratie nötiger als viele andere geschäftliche Aktivitäten: sie kann sich innerhalb von diktatorischen Regimes, die in der Regel jede Gegen- und Parallelgewalt brutal unterdrücken, nur sehr beschränkt entfalten. Je stärker sich Privatwirtschaft ausdehnt, politische Parteien mit dem Bedürfnis nach starker Finanzierung das Bild bestimmen, desto mehr erweitert sich der Spielraum der Mafia. Nach unseren Erkenntnissen hat es, auch wenn man auch schon von „Mafia“ in der UdSSR gesprochen hat, ein der sizilianischen Parallelmacht analoges Phänomen dort bisher nicht gegeben; es gab Racketts und Einbrecherringe, und es gab sicher auch ganze Sowjetrepubliken bearbeitende Untergrundbanden. Aber die konkrete Form der Mafia mit ihrer Verästelung im Staatsapparat und den Wirtschaftsmächten, die kann erst jetzt entstehen. Auch wenn die darniederliegende Wirtschaft dort große Investitionen auf absehbare Zeit noch nicht zuläßt. Viel wird daher davon abhängen, wie der Westen seine Hilfen für den Osten durchführt.

Soll heißen?

Wenn die westlichen Länder bei den Summen, die da im Spiel sind, nicht besondere Vorkehrungen treffen, daß ihre Entwicklungsbanken nur mit sauberem Kapital gefüllt werden, wird schmutziges Geld zwangsweise da einfließen.

Weitere Aussichten?

Die immensen Verkäufe von staatlichem Eigentum und staatlichen Liegenschaften, die die einzelnen Länder durchführen. Wenn dies durch die zentralen staatlichen Behörden mit großen westlichen Finanzgruppen geschieht, ist der Raum für Geldwaschgeschäfte zwar beschränkt. Dafür öffnet sich der Markt für Gegengeschäfte - etwa Grundstücke zur Spekulation gegen Drogen oder Devisen, die sonst nicht zu haben wären. Sollte der Westen es versäumen, ausreichende Mittel zur Verfügung zu stellen oder gar über den Devisenzufluß Druck auf die Politik der verschiedenen Länder ausüben, wird sich der Schwarzmarkt, seit jeher ein Spezialgebiet mafioser Aktivitäten, schnell in nicht mehr zu bändigende Dimensionen ausbreiten.

Das Gespräch führte Werner Raith