Politfilz und Mafia - Hand in Hand

In der UdSSR entstanden aus dem Schwarzmarkt organisierte Banden / Enge Zusammenarbeit mit Partei- apparat / Terror gegen Journalisten und Erpressung unabhängiger Betriebe / Schattenwirtschaft expandiert  ■  Aus Moskau Barbara Kerneck

„Die allerbesten Gesetzte, die wir heute im obersten Sowjet verabschieden, taugen nichts, solange die Frage der Teilung der Macht nicht gelöst ist“, faßte der Leningrader Untersuchungsrichter Gljan bei einem Treffen von oppositionellen und staatlichen Mafiaexperten im letzten November in Moskau seine Erfahrungen im Kampf gegen die usbekische Baumwollmafia und die mit ihr verfilzte Partei zusammen. Und düster bemerkte er: „Bei meinem Erfahrungsaustausch mit finnischen Kollegen habe ich festgestellt, daß sich die dortige Mafia bis in ihre Rituale hinein viel stärker an traditionellen kriminellen Mustern orientiert als die sowjetische. Dort werden kompromittierte Politiker und Beamte nur als Individuen einbezogen. Für die sowjetische Mafia ist hingegen die Existenz ihrer Mitglieder in zwei gesellschaftlichen Schichten zugleich gerade konstituierend.“ Politischer Machtmißbrauch, Vetternwirtschaft und rein kriminelle Methoden gingen Hand in Hand, ergänzten sich gegenseitig. Gljan, der sich durch seinen Kampf bereits die Mißgunst des Parteiapparats zugezogen hat: „Das fein ausgestattete Kabinett und den dicken westlichen Wagen kann man erst richtig genießen, wenn man beides vom KGB bewacht weiß.“

Daß sich die ständig wachsende White-Collar-Kriminalität nicht auf Bestechungsaffären beschränkt, gilt unter den Experten als Basiswissen. Ein Viertel der Einnahmen aus der Schattenwirtschaft werden in Operationen investiert, die man als Verschleierungsmanöver oder Geldwäscherei bezeichnen könnte. Ein weiteres Viertel geht in den Luxuskonsum und ein weiteres Viertel wird „tesauriert“. Bleibt ein Viertel für Investitionen - kapitalistisch gesehen kein überragendes Ergebnis. Doch dort bringt die Schattenwirtschaft die sowjetische Wirtschaft auf die Beine, indem sie vom Gummibaum bis zum Regenmantel alle defizitären Waren auf den Markt bringt. Die Mafiasachverständige des Forschungsinstituts der staatlichen Planungsbehörde, Tatjana Korjagina: „Die Kooperativen, die ursprünglich ein mobiles Milieu für die Unternehmerschaft bilden sollten, scheinen durch die Schattenwirtschaft weitgehend gelähmt.“ Durch Schutzgelderpressung und ähnliches würden die neuen Betriebe gegängelt. Dies gelte auch schon für Joint-ventures mit ausländischen Unternehmen.

Der größte Schaden, den die Mafia jedoch verursache, läge im politischen Klima. Von einem „moralischen Abgrund in der Sowjetgesellschaft“ und einer „völligen Schutzlosigkeit der Interessen des Durchschnittsbürgers“ spricht Korjagina. Auch der konservative Sonderstaatsanwalt Kondratow stimmt der Wissenschaftlerin da zu: Nach seinen Angaben ist die Baumafia von Krasnodar gerade dabei, auf Moskauer Politiker Druck auszuüben, damit sich diese für olympische Spiele in Sotschi einsetzen. „Jetzt, wo im Lande nur noch Dollar zählen, backt die Schattenwirtschaft keine kleinen Brötchen mehr - bald geht es nicht mehr um Haushaltsamaturen, sondern um Pipelines und um Exportwaren wie Kohl und Erdöl.“