Polen: Vom Schwarzhandel zum Mord

Operationsbasis für organisiertes Verbrechen in Westeuropa und der Sowjetunion / Funktionierende Zusammenarbeit zwischen Geldwäschern und Hehlern / Heroin- und Amphetaminproduktion für Westeuropa / Transitland für Drogen, Diamanten und Schwarzgeld  ■  Aus Warschau Klaus Bachmann

Eine polnische Zeitung fühlte sich an das Chicago der dreißiger Jahre erinnert: Am Dienstag, dem 29.Mai dieses Jahres raste ein in West-Berlin gestohlen gemeldeter Audi 100 mit ca. 200 km/h durch die Ortschaft Siestrzen, südlich von Warschau. Zeugen hörten zwei Schüsse aus dem Innern des Wagens, und Sekunden später flogen zwei Leichen aus dem Audi auf die Fahrbahn der Schnellstraße Katowice-Warschau. Die beiden Toten waren Devisenschwarzhändler, die mit einer Hehler- und Einbrecherbande in Warschau in Verbindung gestanden hatten. Beide hatten Kugeln vom Kaliber 7.65 im Kopf.

Daß sich Warschaus Devisenhändler mit großkalibrigen Pistolen und auf Mafia-Art zu Leibe rücken, ist neu, kommt aber nicht überraschend. Das offizielle Devisenwechselverbot hat schon vor Jahrzehnten einen unübersehbaren Schwarzmarkt entstehen lassen mit Grauzonen vom einfachen Betrug an ausländischen Touristen bis hin zum Mord. Inzwischen gibt es Anzeichen dafür, daß auch ausländische Organisationen erkannt haben, daß Polens Unterwelt einiges zu bieten hat.

Zum einen operieren polnische Autodiebe, Schieberbanden und Devisenhehler immer häufiger international - vor kurzem wurde in der Bundesrepublik eine polnische Autoschieberbande mit fast 100 Mitgliedern aufgedeckt. Daß die polnischen Banden dabei der Konkurrenz aus Westeuropa nicht ins Gehege kommen, ist nur damit zu erklären, daß sie mit ihr zusammenarbeiten - vorteilhaft für beide Seiten: den Polen die Erschließung westeuropäischer „Absatzmärkte“, den Ausländern die hervorragenden Möglichkeiten, in Polen Geld zu waschen.

Jene Devisenschieberbande, deren Mitglieder in Siestrzen ins Jenseits befördert wurden, beschäftigte sich nach Zeitungsberichten auch mit der Hehlerei und dem Schmuggel in West-Berlin gestohlener PKWs, der Schutzgelderpressung von anderen Schwarzhändlern und legalen Wechselstuben und dem Nachschub an Waffen und Diamanten für die sowjetische Mafia.

Inzwischen gibt es eine regelrechte Transitroute für Devisenschmuggel: Moskau-Warschau-Wien, mit Hilfe des berühmt-berüchtigten „Chopin„-Expresszuges.

Im „Chopin“ entdeckten Zollbeamte erst vor zwei Wochen im Salonwagen, versteckt unter dem Bett eines hohen Eisenbahnbeamten der Warschauer Zentrale, Beutel mit 449.000 Rubeln, Schmuck und Gold im Gesamtwert von 70.000 Dollar. Wie Zollfahnder unter der Hand mitteilen, befand sich der inzwischen verhaftete Beamte seit einem halben Jahr bereits unter Observation.

Von Zeit zu Zeit finden die Zöllner in Zebrzydowice immer mal wieder auch Heroinpäckchen zu einem Viertel- oder Halbkilopaket verpackt in den internationalen Schnellzügen nach Budapest und Wien. Zollfahnder Gorski: „Polen ist Hersteller von synthetischem Heroin. Der Grundstoff BMK (Benzinomethylokreton) wird ganz legal in der Bundesrepublik gekauft und nach Polen gebracht, hier wird er dann zu hochwertigen Heroin verarbeitet, das dann wieder exportiert wird.“

Der Umweg lohnt sich, zum einen, weil die Strafen in Polen dafür viel geringer sind als in Westeuropa, zum anderen, weil die Herstellung auf Grund des niedrigeren Lohnniveaus ebenfalls billiger ist und damit auch die Bestechungsgelder für die „Infrastruktur“ niedriger sind.

Circa zwölf Prozent des westeuropäischen Amphetamin -Verbrauchs wird in vier illegalen Laboratorien in Polen produziert, schätzen Experten. In Schweden hat der Import aus Polen sogar schon zu einem regelrechten Preisverfall auf dem Drogenmarkt geführt, Anfang des Jahres fiel der Preis für ein Gramm Amphetamin von 450 auf 130 Kronen (ca. 20 Dollar). Ein Viertel aller Konfiskate in Schweden stammt aus Polen, was sich chemisch leicht nachweisen läßt, da die polnischen Hersteller offenbar Schweineamphetamine, die bei der Züchtung verwendet werden, adaptieren.

Neben der Schwarzgeldroute Moskau-Wien führen allerdings noch andere „Connections“ durch Polen, so etwa die sogenannte Balkanroute, auf der Rauschgift vom Balkan über Prag und Bern in den Westen gelangt, oder die „skandinavische Verbindung“ vom Balkan über Warschau und den schwer kontrollierbaren, weil permanent überlaufenden Fährhafen Swinoujscie bei Stettin nach Schweden.

Zehn Polen liefen in letzter Zeit den Fahndern in die Falle, als sie versuchten, 30 Kilogramm Amphetamine direkt in die Bundesrepublik zu schmuggeln.

Mitte Januar wurde durch einen Tip der niederländischen Polizei auf dem Warschauer Flughafen Okecie ein Nigerianer gefaßt, der von Amsterdam über Warschau nach West-Berlin fliegen wollte und insgesamt 11 Päckchen Rohmarihuana im Wert von 250.000 Dollar im Gepäck hatte.

Der Umweg über Warschau lohnt allemal: Das Personal in Okecie ist hoffnungslos überlastet, die Zollbeamten kommen nur selten dazu, Gepäck zu durchsuchen, Ausländer bleiben ohnehin meist unkontrolliert.

Die Erkenntnis, daß Polen dennoch als Produktionsstandort und Transitland attraktiv ist, hat die Polizei einigermaßen getroffen. Ganze zehn Leute beschäftigen sich im Warschauer Innenministerium mit der Drogenszene.