Der tüchtige Deutsche

Zum Urteil im bundesdeutschen Giftgas-Skandal („Fall Imhausen“)  ■ K O M M N T A R E

Die Geschichte der Chemiewaffen ist eine deutsche Geschichte. Deutschland hat ab 1915 als erste Nation systematisch chemische Gase als Massentötungsmittel eingesetzt. Angeheizt und initiiert vom deutschen Kaiserreich folgte im ersten Weltkrieg eine dramatische chemische Aufrüstung mit immer toxischeren Stoffen, die immer mehr Menschen immer bestialischer umbrachten. Im ersten Weltkrieg starben mindestens 100.000 Menschen an den Folgen des Giftgases. Es muß gestattet sein, an einem solchen Tag an die Geschichte der Chemiewaffen zu erinnern.

Die Firma Imhausen hat dem libyschen Oberst Gaddafi eine Giftgasfabrik zur Herstellung der chemischen Kampfstoffe Senfgas, Sarin und Soman frei Haus geliefert. In den letzten Wochen ist diese bundesdeutsche Giftgasaffäre zu einem „Fall Imhausen“ und zu einem „Wirtschaftsprozeß“ geschrumpft. Tatsächlich ist hier zum ersten Mal die chemische Proliferation eines bundesdeutschen Industrieunternehmens offengelegt und mit einem Geständnis des Hauptangeklagten amtlich geworden. Imhausen hat an allen Kontrollinstanzen vorbei den sogenannten „Terroristen“ Gaddafi mit einer kompletten Todesfabrik versorgt. Zur selben Zeit als das Giftgasgeschäft aufflog - dies geschah erst nach massiver Intervention der USA und entgegen allen Beteuerungen der Bonner Sprechautomaten - raste Bundesaußenminister Genscher von Abrüstungskonferenz zu Abrüstungskonferenz und schwang sich zum weltweit angesehenen Fürsprecher der vollständigen Ächtung von biologischen und chemischen Waffen auf. Die Kampfstoffe, die Gaddafi in Rabta produzieren läßt, sind schon im Genfer Protokoll von 1925 vom Völkerbund geächtet worden.

Der „Fall Imhausen“ ist auch ein Fall der bundesdeutschen Industrie. Gab es beim Proliferationsverdacht von Atomwaffen oder der U-Boot-Affäre von Howaldt/Stoltenberg entgegen allen Hinweisen einer bundesdeutschen Verstrickung immer noch empörte Abwehr, getragen vom verinnerlichten Bild des anständigen deutschen Unternehmers, so gehört dieses Unternehmerbild spätestens jetzt auf den Müllhaufen der Geschichte. Die linksgescheitelten Mercedes-Fressen mit ihren singenden Quarzchronometern sind eben nicht nur Inbegriff für teutonische Qualität und harte, aber herzliche Geschäftspartner aus zupackendem Mittelständlertum, sondern Abbild skrupelloser D-Mark-Junkies.

Imhausen ist ausgerechnet ein baden-württembergisches Unternehmen. Im Musterland des deutschen Unternehmertums sitzen bekanntlich die Tüftler, Bastler, Häuslebauer und sonstige ursympathische Ärmelaufkrempler. Und jetzt wissen wir: Dort sitzen Gangster, die das Völkerrecht behandeln wie die Benutzungsverordnungen ihrer Kegelbahnen. Aber tüchtig sind sie. Ungeheuer tüchtig.

Manfred Kriener