„Idealmodell wäre eine Konföderation zwischen eigenständigen Partnern“

Ralf Fücks, Mitglied des letzten Bundesvorstandes der BRD-Grünen über die Wahlen im Dezember und die Chancen des grün-bürgerbewegten Spektrums  ■ I N T E R V I E W

taz: Deutsch-deutsche Wahlen am 16.Dezember - droht uns ein Parlament aus bundesdeutschen Altparteien und Wendehälsen der DDR?

Ralf Fücks: Ich sehe die Gefahr, daß die Grünen in einer gesamtdeutschen Polarisierung von Kohl und Lafontaine zerrieben und die Bürgerbewegungen in der DDR durch die Fünfprozentklausel ins Abseits gedrängt werden. Daraus folgt aber, daß es umso dringlicher ist, jetzt aus dem Spektrum Grüne und Bündnis 90 eine gesamtdeutsche Koalition für Ökologie und Bürgerrechte zu schaffen, die auch bei diesen Wahlen schon gemeinsam antritt.

In Kreisen der Bürgerbewegungen gibt es in dieser Frage unterschiedliche Haltungen. Vor allem im Neuen Forum wird auf Eigenständigkeit großen Wert gelegt. Wie könnte man diesem Wunsch im Rahmen eines Wahlbündnisses Rechnung tragen?

Das hängt vom Wahlrecht ab. Bleibt es beim besonderen Wahlrecht der DDR, könnten die Bürgerbewegungen mit der Grünen Partei der DDR als eigenständiges Wahlbündnis antreten. Dann würde fürs erste ein gemeinsamer Wahlaufruf mit den Grünen/West genügen. Dagegen fordert das bundesdeutsche Wahlrecht ja Landeslisten einer Partei und dafür muß es eine gemeinsame programmatische Plattform und einen organisatorischen Rahmen geben.

Mein Idealmodell für die gegenwärtige Situation wäre eine Konföderation, wie wir sie auch für die beiden deutschen Staaten angestrebt haben, eine Allianz zwischen eigenständigen und gleichberechtigten Partnern.

Die Rückzugslösung wäre eine grüne Parteikandidatur mit GastkandidatInnen aus dem Spektrum der Bürgerbewegungen, aber ich bezweifle, ob das ihrem Gewicht wirklich Rechnung trägt. Ich würde es auch inhaltlich begrüßen, wenn es zu einer engeren Verbindung zwischen Grünen und Bündnis 90 käme.

A propos gemeinsames Programm: Die Grüne Partei denkt durchaus neben einer personellen und finanziellen auch an eine inhaltliche Autonomie. Wie kann da ein konstruktives Zusammengehen aussehen?

Ein gemeinsames Grundsatzprogramm kann nicht in wenigen Monaten aus dem Boden gestampft werden. Das braucht Zeit. Im Zuge eines pragmatischen Zusammenschlusses im Hinblick auf die nächsten Wahlen kann dann in den kommenden vier Jahren an einer inhaltlichen und organisatorischen Zusammenführung dieser beiden unterschiedlichen Kulturen, Traditionen und Denkweisen gearbeitet werden.

Für die gesamtdeutsche Wahl wäre ein gemeinsames Aktionsprogramm nötig, daß die Aufgaben der nächsten Jahre umreißt. Dabei muß eine Vorentscheidung über das politische Profil dieser Allianz fallen. Für mich stehen die beiden großen Themen Ökologie und Bürgerrechte im Zentrum. Das ist auch das, was wir an historisch Neuem einzubringen haben.

Was verbirgt sich hinter dem Stichwort „Bürgerrechte“ im Bezug auf die Noch-Bundesrepublik?

Eine demokratische Öffnung von parlamentarischer Demokratie und Parteienstaat - erstens durch plebizitäre Einflußmöglichkeiten wie Volksentscheid oder kommunale Bürgerentscheide; zweitens eine Delegation von Kompetenzen an die Kommunen und Länder, also eine Dezentralisierung der Politik; drittens erweiterte Handlungsmöglichkeiten von Bürgerinitiativen gegenüber dem Staatsapparat und ökonomischen Mächten, zum Beispiel durch Beteiligung von Umweltverbänden und Verbraucherinitiativen an wirtschafts und technologiepolitischen Entscheidungen.

Zurück zu den Wahlchancen: Bislang steht noch nicht fest, ob es ein einheitliches oder für die DDR ein gesondertes Wahlrecht geben wird. Was fordern die Grünen?

Wenn es ein Minimum an historischer Gerechtigkeit gibt, dann müssen die authentischen Bewegungen der DDR die Möglichkeit haben, eigenständig im gesamtdeutschen Bundestag vertreten zu sein. Es darf keine Fünfprozentklausel für die DDR geben.

Und wie sieht es hinsichtlich des Parteienstatus aus?

Ich würde es auch für die Bundesrepublik für einen Fortschritt halten, wenn Listenverbindungen zu den Wahlen antreten könnten. Dabei sollte man sich keine Illusionen machen, daß sich Bürgerbewegungen, die den parlamentarischen Weg einschlagen, zu De-facto-Parteien umwandeln werden.

Die Grünen sind bereits eine Partei. Nehmen wir an, die Grüne und Bürgerrechtsbewegungen kommen nicht in den Bundestag. Was wäre dann die politische Perspektive der Grünen?

Die Grünen werden auch das überleben, nicht nur, weil wir ohnehin unsere eigentliche Basis in den Kommunen und auf der Landesebene haben, sondern auch, weil wir politisch ein Thema repräsentieren, das immer stärker den Alltag und auch die Politik bestimmen wird. Es ist bloß die Frage, ob die Grünen in ihrer derzeitigen geistigen und politischen Verfassung diese historische Rolle werden spielen können, oder ob man dann einen neuen Anlauf machen muß, eine ökologisch und radikaldemokratische politische Kraft zu schaffen.

Der Fall der Mauer und das Ende des alten Systemgegensatzes eröffnet den Grünen trotz aller Wirrungen die Chance, ihrer historischen Rolle als Partei der Ökologie und der Menschenrechte näherzukommen.

Interview: Beate Seel