AKW Greifswald in der Volkskammer

■ Bei einem Hearing des Umweltausschusses erhielt die Atomzentrale miserable Noten - von Gegnern wie Befürwortern der Atomenergie

Berlin (taz) - Fachkompetente Gegner und Befürworter der Atomenergie sind sich über den haarsträubenden technischen Zustand der Greifswalder Pannenreaktoren weitgehend einig. Unüberbrückbare Meinungsunterschiede bestimmen jedoch das Bild, wenn es um die Konsequenzen aus der gemeinsamen Einschätzung geht. Das ist das Ergebnis eines Hearings, zu dem der Umweltausschuß der Volkskammer am Mittwoch nachmittag ins Haus der Parlamentarier lud.

Als technische Experten hatte der Ausschußvorsitzende Ernst Dörfler (Bündnis 90/Grüne) je zwei Mitautoren der beiden seit Januar erarbeiteten Sicherheitsgutachten über die vier Reaktorblöcke des KKW Nord eingeladen. Professor Rabold, Chef des Staatlichen Amtes für Atomsicherheit der DDR (SAAS) und Dr. Häuser von der Kölner Gesellschaft für Reaktorsicherheit (GRS) betonten ihre „volle Übereinstimmung“. Sie hatten die Atomkraftwerke im Auftrag der Umweltminister Töpfer (BRD) und Steinberg (DDR) durchgecheckt. Rabold konstatierte einen seit den 70er Jahren ständig wachsenden Abstand der Sicherheit zum internationalen Standard.

Häuser sprach von „Defiziten in allen Bereichen“. Die Töpfer-Steinberg-Kommission habe die für einen sicheren Betrieb notwendigen „Ertüchtigungsmaßnahmen“ in drei Kategorien eingeteilt, erklärte Häuser: „unmittelbar notwendige“, „so schnell wie möglich notwendige“ und schließlich „für einen längerfristigen Weiterbetrieb notwendige Maßnahmen“. Unterdessen läuft Reaktorblock I mit dem Segen der Töpfer-Steinberg-Kommission weiter, obwohl bisher nicht einmal die „unmittelbar notwendigen“ Nachrüstungen der Kategorie 1 durchgeführt wurden.

An dieser fehlenden Konsequenz entzündet sich die Hauptkritik der mit renommierten Atomkritikern aus Ost und West zusammengesetzten zweiten Sicherheitskommission, die im Auftrag des zentralen Runden Tischs ein Parallelgutachten vorgelegt hat. Michael Sailer (Öko-Institut Darmstadt) und Detlef Rieck (AKW Greifswald) verlangten vor dem Ausschuß die sofortige Stillegung aller vier Blöcke.

Bei einer Sofortabschaltung konterte Rabold, der die Überwachungsbehörde SAAS schon während der Honecker-Ära leitete, wären „Milliarden Volksvermögen verloren gegangen“. Ganz im alten Jargon meldete sich im Verlauf des Hearings auch der CDU/DA-Abgeordnete Scholz zu Wort: Der Werkstoff des Reaktordruckbehälters sei immer schon „fortlaufend und umfassend“ kontrolliert worden, der Ausbildungsstand der Reaktormannschaft besser „als in jedem andern Betriebzweig“. Scholz war selbst jahrelang Blockleiter in Greifswald.

Gerd Rosenkranz