Harmonie für Willy - oder Denkzettel für Walter?

■ In der SPD kriselt's hinter der glatten Fassade: Beim morgigen Parteitag wird Walter Momper mit harscher Kritik rechnen müssen

Berlin. Seit den legendären Tagen von Willy hatte kein sozialdemokratischer Landesvorsitzender jemals wieder ein so gutes Ergebnis erzielt: Im Juni vor zwei Jahren erhielt der alte und neue SPD-Chef Walter Momper mehr als 90 Prozent der Delegiertenstimmen und wurde auch gleich zum Spitzenkandidaten für den Wahlkampf gekürt. Zwei Jahre später stehen morgen wieder Landesvorstandswahlen an vielleicht, und wenn, dann sicher mit einem deutlich schlechteren Ergebnis für den mittlerweile zum „König“ aufgestiegenen Regierenden Bürgermeister, der sein Amt als Parteivorsitzender nach wie vor nicht aufgeben will.

Drei Säulen sollen nach Momperscher Theorie die Sozis zusammenhalten: Partei, Fraktion und Regierung. Um die Dreisäulentheorie steht es vor dem turnusmäßigen Landesparteitag nicht zum besten. Der „inner circle“ des Senats, bestehend aus dem Regierenden, seinem Bausenator Nagel und dem Chef der Senatskanzlei Schröder, bestimmt die eigentlichen Richtlinien der Regierung, oft sehr zum Ärger von anderen Senatsmitgliedern und der eigenen Fraktion. Die wird vor allem von der Krisenbewältigung mit dem kleineren Koalitionspartner AL in Atem gehalten. Die Erschöpfung über die Krise in Permanenz steht einzelnen Mitgliedern deutlich ins Gesicht geschrieben.

Desolat sieht es in der Partei aus: Durch die Regierungsgeschäfte in den historischen Zeiten nach der Maueröffnung mehr als in Anspruch genommen, bleibt Momper kaum noch Zeit, sich um die Partei zu kümmern, schon gar nicht um die eigene Basis. Vor vier Wochen wurde öffentlich zum ersten Mal auch innerhalb der eigenen Reihen heftige Kritik am Vorsitzenden laut, als im Handstreich versucht wurde, den Geltungsbereich von drei WestsenatorInnen nach Ost-Berlin auszudehnen und diese gleichzeitig zu Magistratsmitgliedern zu machen. Die Quittung für Mompers eigenmächtiges Handeln in den letzten Monaten werde er auf dem Landesparteitag erhalten, wurde damals gedroht mittlerweile sind die Drohungen schon wieder auf Gebärden geschrumpft.

Völlig offen ist derzeit, ob morgen überhaupt Vorstandswahlen stattfinden. Neuerdings will sich auch die Berliner Sozialdemokratie schon im September mit ihren Brüdern und Schwestern aus dem Osten vereinigen, und dann stehen ohnehin neue Vorstandswahlen an. Die Wahlen am Samstag sollen nun verschoben werden, allerdings müssen drei Viertel der 256 Delegierten diesem Verfahren zustimmen. Normalerweise reichen zwei Drittel, um einen Tagesordnungspunkt zu kippen, da aber die Einladungen nicht rechtzeitig verschickt wurden, müssen nun 192 der Delegierten einverstanden sein.

Diese Rechnung könnte aber nicht aufgehen, da sich der innerparteiliche Widerstand gegen Momper bereits formiert hat und durchaus Interesse daran besteht, es zur Wahl kommen zu lassen. Als mögliche einzige Gegenkandidatin zu Momper tritt Vorstandsmitglied Monika Buttgereit an - sie wird jedoch ihre Kandidatur zurückziehen, wenn Momper kandidiert. Und Momper wird kaum auf eine Kandidatur verzichten, hat er doch sein Auge schon auf den Gesamtberliner Vorsitz der SPD geworfen. Zu rechnen ist also mit einem „Denkzettelergebnis“ für Walter Momper. Die Kritik der Genossen und Genossinnen reicht nicht so weit, daß man sich einen Gesamtberliner Landesverband ohne Momper an der Spitze vorstellen kann, denn eine ähnlich populäre Persönlichkeit ist weit und breit nicht in Sicht.

Nicht zufrieden sind auch Teile der Partei, wenn nach Wiederwahl Mompers der geschäftsführende Landesvorsitzende Hans-Georg Lorenz erneut in diese Funktion gewählt wird. Er kümmere sich ebenfalls zu wenig um die Partei, so die Kritik. Ein Nachfolger schien bereits gefunden, der Schöneberger Kreisvorsitzende Otto Edel vom linken Parteiflügel; er hat jedoch schriftlich zurückgezogen. Sorgen machen sich die Sozis auch darüber, wer sie in den Gesamtberliner Wahlkampf führt. Der bisherige Wahlmatador Bausenator Nagel, der im Vorfeld der 89er Wahlen die Berliner mit Slogans wie „Berlin ist Freiheit“ beglückte und auch den Kommunalwahlkampf der Ostberliner SPD führte, ist gerade wegen seiner Slogans umstritten. Viele Genossen sind außerdem der Ansicht, daß es mit seinem Amt als Bausenator unvereinbar ist, erneut dem Wahlkampf zu bestreiten. Auch hier ist kein Ersatz in Sicht.

Ebenso unklar ist die künftige Struktur der Gesamtberliner Partei. Obwohl im September die Vereinigung stattfinden soll, liegt derzeit noch nicht ein einziges Modell über die Zusammensetzung vor. Der Westberliner Landesparteitag besteht derzeit aus 256 Delegierten, die rund 26.000 Mitglieder vertreten. In Ost-Berlin hat die SPD nur 2.500 Mitglieder. Mit einem Denkmodell, die Zahl der Delegierten auf 300 aufzustocken und damit 44 Sitze an die Ostler zu geben, sind diese nicht zufrieden. Sie haben Angst vor der Übermacht der West-Genossen und beanspruchen mehr Einfluß, als ihnen arithmetisch zusteht.

Die Lage der SPD sei schwierig, mußte auch Hans-Georg Lorenz gestern bei der Vorstellung der Tagesordnung einräumen. Alle innerparteilichen Querelen sollen einem zumindest verborgen bleiben: Als Ehrengast wird am Samstag (neben Ibrahim Böhme, Wolfgang Thierse und Hans-Jochen Vogel) Willy Brandt erwartet, und dem möchte man auf keinen Fall zeigen, daß sich die Berliner Sozialdemokraten mit einem riesigen Problemberg konfrontiert sehen. Deshalb soll am Vormittag Harmonie auf dem Weg zur deutschen Einheit gespielt werden, die Dissonanzen sollen dann erst nach dessen Abreise auf den Tisch des Hauses. Motto der Veranstaltung: Hauptstadt Berlin.

Kordula Doerfler