VERKREUZTE ENTFESSELUNG

■ „Polymorphie“ - Kunst als subversives Element - Tschechoslowakei 1939-1990

Unter den Kunstwerken dieser Ausstellung, die aus der Periode der deutschen Besatzungszeit, des „Protektorats Böhmen und Mähren“ stammen, befindet sich eine kleine Skulptur der Bildhauerin Mary Duras: Geknebelte Tschechoslowakei. Sie stellt eine geschnitzte und mit Gips nachmodellierte Frau dar, die mit den Händen über dem Kopf an einen Holzbalken gefesselt ist. Ihr Körper wehrt sich in einer halb lasziven, halb störrischen Bewegung dagegen: Magdalena und Christusfigur zugleich.

Am anderen Ende der Ausstellung, kurz vor dem Ausgang, steht eine Skulptur neueren Datums: Einzelzelle von Victor Karlik. In einen schmalen Sarg ist eine Figur eingefügt, die teils wie eine Mumie eingebunden und teils wie ein Skelett bloßgelegt ist. Eine goldene Krone auf dem augenlosen Schädel zeugt davon, daß der Tote einst ein König gewesen ist. Diese Figur des Memento mori blickt zu der kleinen Skulptur zurück, bindet die 50 Jahre Geschichte zwischen ihnen zusammen, gibt der Gefesselten Tschechoslowakei zur Antwort, daß die Macht einsam und sterblich ist.

Inzwischen hat sich die CSFR „entfesselt“, ist die Fremdbestimmung Geschichte geworden - in dem Katalog ist anstelle eines Vorworts ein Text von Vaclav Havel abgedruckt: Anlaß genug, die in diesen Jahrzehnten abseits des offiziellen Kunstbetriebs entstandenen Kunstwerke in einer Übersicht dem Ausland zu präsentieren. Rund 100 Werke sollen 50 Jahre Kunstgeschehen in der CSFR dokumentieren; zu Übersichtszwecken hat man die Zeitspanne nach der üblichen groben Periodisierung unterteilt: auf die Zeit des „Protektorats Böhmen und Mähren“ (1939-1945) folgt die „stalinistische und neostalinistische Phase“ (1948-1963), die dritte wird „Periode der Normalisierung“ (ab 1969) genannt. Man verspricht, die ausgestellte Kunst innerhalb der Ausstellung mit der offiziellen Ästhetik der jeweiligen Jahre zu konfrontieren. Folgerichtig findet man hinter einer Holzverschalung die bekannten Sozialismusklischees: goldglasierte Leninköpfe und Übermanns-Partisanen und Milizionärinnen und Brigadefrauen mit immer der gleichen stolzgeschwellten Einheitsbrust. Was die offizielle Ästhetik der Zeit danach gewesen sein soll, wird nirgends erklärt. Sich vom realsozialistischen Großmannsgestus abzuheben ist indes keine Kunst: Das Prädikat „subversiv“ wird hier zu leicht vergeben, adelt von vorneherein alles, was nicht der Holzhammertechnik entspricht.

Subversiv ist natürlich als allererstes, und damit beginnt die Ausstellung, die Kunst, die im Konzentrationslager entstand: Von Leo Haas sieht man einige Zeichnungen, die er in Theresienstadt angefertigt hat. Im weiteren gilt offensichtlich wahllos alles als subversiv, von Jakub Bauernfreunds Gemälde Schrecken des Krieges, Spanien 1939, das plakativ mehrere Gekreuzigte nebeneinander und ein paar abgestürzte Flugzeugteile zwischen herumirrenden Menschen zeigt, bis zu Ivan Matouseks Altar des heiligen Fernsehers, eine Art Triptychon, das wiederum das Motiv des Gekreuzigten auf dem rechten Flügel enthält, die Paradieseva auf dem linken und dazwischen ein Volk von blicklosen Glotzern, das Fernsehvolk, wie zu vermuten ist. Selbst wenn die Subversivität eher thematisch als formal begründet wäre, wird nicht verständlich, was Krystof Trubaceks Meerpyramide (1988), ein Kitschgebilde aus glasierter Schamotterde und geblasenem Glas, darunter zu suchen hat. Bloß weil es eine Zigeunerfamilie zeigt, wird ein aus Glassteinchen zusammengesetztes grelles Mosaik von Rudolf Dzurko, das an türkische Wandteppiche erinnert, für ausstellungswert erachtet. Überhaupt zeugt die Malerei der jüngeren Generation vor allem von einer stilistischen Desorientiertheit und davon, daß Unterdrückung und Abriegelung durchaus nicht kunstfördernd sind. Das programmatisch Subversive wie eine Standarte für Jan Palach von Iva Vodrazkova, ein Heeresbanner für einen protestierenden Selbstmörder, enthält peinlicherweise wiederum das Kreuzesmotiv. Natürlich fehlt nicht eine Skulptur wie Gehirnwäsche von Jiri Sozansky: ein in einen Gitterkasten gezwängter Mensch, dem ein Schalltrichter ins Ohr plärrt, bis sein Kopf in einem Drahtverhau explodiert. Es fehlt nicht die Fotodokumentation einer Ausstellung desselben Künstlers, die er 1980 gegen den Widerstand der Behörden im Internierungslager Theresienstadt durchgeführt hat.

Allerdings gibt es auch das Verspielte und ideologisch nicht Subsumierbare wie die Wasserskulpturen von Karel Nepras: Waschbecken und Rohre, denen die Gewinde und Hähne zu Schmetterlingsflügeln ausgedreht sind; seine Kopffontäne und seine marschierende Fontäne sind trotz der schweren Metallausführung laut Ordnungsdienst für Kinder nicht anfaßbar. Kurt Gebauers Tiere, Zwerge und Kühe führen eher als in das Mauseoleum des Martin-Gropius-Baues in einen Märchenwald ein. Ales Veselys Skulpturen wie der Stuhl (1964-1982) haben den Charme von Tadeuz Kantors Theaterskulpturen, schräg und unzweckmäßig aus Alltagsrelikten zusammengebaut.

Unser auf Reduktion und Uneindeutigkeit bedachtes Auge genießt bezeichnenderweise am meisten ein Werk mit dem Titel Ohne Titel: ein fast schwarzes Bild von Bedrich Dlouhy, das zwischen zwei an den Bildrand zentrifugierten Ohren und einem Gesichtsfleck Räumlichkeit spannt. Fein sind auch die wie nebenbei hingeworfenen Zeichnungen von Jiri Balcar und die Collagen von Jiri Kolar. Die Ausstellungsmacher wären besser beraten gewesen, wenn sie sich an der Qualität der Bilder und weniger an der Absichtserklärung der Künstler orientiert hätten.

Michaela Ott

Martin-Gropius-Bau; bis zum 8.7. täglich außer montags geöffnet von 10 bis 22 Uhr