„Für den Proleten kommt da nichts raus“

■ Der 1. Juli und die Folgen: Der Bauarbeiter Egon B. (49) und seine Sicht der Währungsunion / Am schlimmsten ist die Angst um die Zukunft des Arbeitsplatzes / Der Juli-Lohn wird schnell noch in DDR-Mark ausbezahlt

Ost-Berlin. „Stell dir vor, du verstehst was von Computern, und jetzt schiebt dir einer das russische Murmelbrett hin und sagt, nun rechne damit.„

Wie für die meisten Noch-DDR-Bürger bedeutet der 1.7. für Egon B. (Name geändert) nicht nur die Währungsunion. Aufs Abstellgleis geschoben fühlt er sich. Bis zum 30.6. war er dienstältester Bauleiter in einem VEB Baukombinat an der Peripherie Berlins. Weil er „nur“ Meister ist und die Bauleiterfunktionen künftig mit Ingenieuren besetzt werden sollen, wird er ab nächster Woche seinen Stuhl mit der Maurerkelle vertauschen und wieder auf den Bau gehen.

„Ich hab‘ mich doch qualifiziert durch Selbststudium, ich hab‘ Lehrgänge besucht und 14 Jahre die Ingenieurtätigkeit ausgeübt. Auf einmal ist alles für die Katz gewesen und ich muß wieder mauern gehen, obwohl ich das gesundheitlich nicht mehr durchstehen kann.„

Nicht ohne Sarkasmus berichtet er, daß ehemalige SED- und FDJ-Kader sich nach der Wende gegenseitig in leitende Positionen seines Betriebes gehievt hätten. Außerdem seien alle bisher im VEB leitenden Fachkräfte auch schon wieder die neuen Leiter des künftig als GmbH fungierenden Betriebes.

„Wir wissen zum Beispiel nicht, was nach dem 2.7. passiert, weil wir ja überhaupt nicht geschult sind. Wir wissen ja nur aus dem Fernsehen und von der Presse so 'n bißchen. Die Leitung, die sind bis in die BRD gefahren und haben sich dort informiert, haben sich Vergleichsbetriebe angeguckt, und deshalb sitzen die jetzt fest im Sattel drin. Während von den Proleten gar keiner Gelegenheit hatte, mal zu gucken und zu sagen, ich mach‘ das jetzt.„

Um nicht entlassen zu werden, hat Egon B. den Änderungsvertrag ab 1.7. akzeptiert und geht ab Montag „in die Brigade als Produktionskraft“. Alternativen, etwa in West-Berlin Arbeit zu suchen, sieht er nicht.

„Unsere Leute beschäftigt, daß wir in West-Berlin nur als Gastarbeiter gelten. ‘Wenn ihr das nicht könnt, hat man uns gesagt, ‘dann geben wir euch zwei Jugoslawe die können das. Aber so erniedrigen lassen wollten wir uns nicht.„

Zwar sei er zuversichtlich, daß die Produktivkräfte nicht entlassen würden, trotzdem ist die Auftragslage nicht besonders rosig. Nur für das laufende Jahr sind die Aufträge noch gesichert. Versuche der Brigade, in West-Berlin Aufträge zu erhalten, sind gescheitert.

„Ja, also, ich war persönlich auch in West-Berlin und hab da zwei, drei Baustellen angeguckt, wo sie uns 12 DM die Stunde geboten haben, also bedeutend tiefer wie sie drüben den Leuten zahlen. Die 12 DM hat man trotzdem nicht halten können, weil da hat sich von hier 'ne Firma gemeldet, die 11 DM nur haben wollte, so sind wir den Auftrag losgeworden. Andere Leistungen haben wir nicht angenommen, weil wir die fachlichen Fähigkeiten nicht haben. Wir haben nicht das Niveau um die Arbeitsmethode, sofort zu übernehmen. 40 Jahre Sozialismus haben eben bewirkt, daß die Qualität beiseite gelassen wurde. Ich kann keinem Maurer, der 20 Jahre im Beruf war, sagen, paß auf, morgen mußt du das so und so machen, schafft er nicht, schon weil er seine Fingerfertigkeit gar nicht so schnell umstellen kann. Und schon vom Material her ist das sehr schwierig.

In der Kantstraße haben wir 'n Haus angeguckt, was unter Denkmalschutz steht, da sind wir natürlich nicht rangegangen. Erst mal weil die Leistung dermaßen hoch war und zweitens die Qualitätsansprüche so hoch waren. Wir sind zu dem Schluß gekommen, wir können das nicht machen.“

Völlig unklar ist Egon B. und seinen Kollegen auch die künftige Firmenstruktur. Wem gehören die jetzt zu GmbHs umgewandelten ehemaligen VEBs?

Die GmbHs gehören einer Treuhandgesellschaft. Die Bank setzt eine Treuhand ein, und wenn die GmbH nicht wirtschaftlich so ist, daß sie sich ernähren kann, also die Bank bürgt für die GmbH, ist der Betrieb unwirtschaftlich, zieht die Bank die Bürgschaft zurück, und somit wird die GmbH aufgelöst, so hat man's uns erklärt. Meine Meinung ist, daß jeder, der in dem Betrieb war, 'n gewissen Anteil an dem Betrieb hat. Wenn es hart auf hart kommt, gehören mir ja dort auch Werte, die ich 14 Jahre geschaffen hab‘. Wir haben uns doch die ganzen Jahre mit dem Betrieb verwurzelt. Und mit 50 überlegst du dir schon mal, was passiert in den nächsten 10 Jahren. Was passiert, wenn du krank wirst, wirst du dann gekündigt? Ich bin jetzt 49, zehn Jahre zu jung, zehn Jahre zu alt.

Der 1.7. birgt offensichtlich für viele DDR-Lohnempfänger noch eine weitere Überraschung:

„Sonst haben wir unser Geld vom Betrieb immer erst im nächsten Monat gekriegt, und jetzt zahlen sie alles schon im Juni aus, sonst müßten sie ja im Juli in Westgeld zahlen.„

Das empört die Leute, denn ihre Konten haben sie inzwischen aufgefüllt. Wer eben kann, hat dort mindestens 4.000 Mark, die er nach dem 1.7. eins zu eins umgetauscht bekommt. Und nun kommt auf einmal das Juni-Geld nicht wie üblich Mitte Juli, sondern schon Ende Juni. Und der Produktionsarbeiter rechnet:

„Alles, was über 4.000 Mark auf meinem Konto ist, kriege ich nur eins zu zwei umgetauscht, ergo ist mein Juni-Lohn statt wie bisher 900 Mark nur noch 450 wert.

Das ganze Problem, daß uns jetzt am meisten an die Nieren geht: daß eben durch die Währungsreform für den Proleten nichts rauskommt. Naja, du hast die vierzig Jahre für die Hälfte gearbeitet.“

Interview: Sigrid Bellack