: „Wir wollen Deutsche werden“
Ausländergesetz wurde gestern übernommen / Das Aktionsbündnis türkischer Gruppen plant nun neue Kampagnen ■ I N T E R V I E W
West-Berlin. Zumindest dem Vollzug von Ritualen wurde gestern in und vor dem Schöneberger Rathaus Genüge getan. Draußen demonstrierten rund 150 Leute, weswegen sich die Polizei prompt bemüßigt fühlte einzugreifen. Resultat: sieben Festnahmen wegen „Verletzung der Bannmeile“. Drinnen stimmten die Abgeordneten der Übernahme des Ausländergesetzes zu. Daß die AL-Abgeordneten statt der blanken Hand rote Karten in die Höhe reckten, war letztlich Ausdruck politischer Hilflosigkeit. Nur liegt deren Ursache in diesem Fall nicht im Senat, sondern bei der Bundesregierung in Bonn.
Schlechte Zeiten also für ImmigrantInnen und Flüchtlinge, zumal das kommunale ImmigrantInnenwahlrecht gestern nicht, wie von manchen erhofft, im Abgeordnetenhaus beraten, sondern zum x-ten Mal verschoben worden ist. Wie es nun nicht mehr gegen, sondern gezwungenermaßen mit dem Ausländergesetz weitergehen soll, darüber sprach die taz mit Kenan Kolat, Mitglied des Koordinationsausschusses im Aktionsbündnis türkischer Selbsthilfe- und Betroffenenorganisationen, einem Zusammenschluß von 27 türkischen Vereinen und Gruppen gegen das Ausländergesetz.
taz: Was bleibt einem Aktionsbündnis gegen das Ausländergesetz denn noch zu tun, wenn man es nicht mehr verhindern kann?
Kenan Kolat: Das Gesetz wird in Kraft treten - jetzt muß man alles unternehmen, damit es in dieser Form nicht zum Tragen kommt. Deutschland ist ja ein traditionsreiches Land: Wenn ein Gesetz erst mal verabschiedet ist, dann sind Änderungen im nachhinein sehr schwierig. Unsere Organisationen werden aber den Senat unter Druck setzen, eine Initiative im Bundesrat zu starten, um wenigestens die schlimmsten Passagen des Gesetzes - zum Beispiel Datenschutz oder die Ausweisungsgründe - zu ändern. Am Samstag wollen wir uns auf dem Landesparteitag der SPD schon mal zu Wort melden. Da werden wir die SPD auch noch mal auffordern, das kommunale Wahlrecht einzuführen. Außerdem erwarten wir von der SPD, aber auch von den Grünen, daß diese Punkte auch in ein gesamtdeutsches Wahlprogramm aufgenommen werden.
Trotzdem: Seit die Verabschiedung des Gesetzes durchgepeitscht worden ist, fehlt doch ein entscheidender Punkt, der die Leute bislang mobilisiert hat. Was kommt nun?
Einen solchen Stellenwert könnte die Einbürgerungskampagne bekommen. Wir wollen Deutsche werden. Diesen Slogan haben wir ganz absichtlich gewählt...
...damit Deutsche nicht unter sich bleiben?
So kann man's auch sehen. Damit verbunden ist natürlich die Forderung nach der doppelten Staatsbürgerschaft. Uns geht es aber auch um einen Rechtsanspruch auf Einbürgerung - sagen wir, nach 15 Jahren Aufenthalt. Kulturell werden wir dadurch natürlich keine Deutschen, aber rechtlich. Als Minderheiten können wir unsere Recht nur durchsetzen, wenn wir zur Wahlbevölkerung gehören. Solange wir nicht zur Wahlbevölkerung gehören, sind wir für alle Parteien vor allem Manövriermasse.
Gespräch: Andrea Böhm
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