Grabenkämpfe ums Private

■ Wer hat die Macht bei SAT 1? Medienkrimi in unendlichen Folgen/Hauptakteure: Leo Kirch und Springer-Verlag

In der Sonne glitzert golden ein riesiges Hochhaus. Vor der Tür einige dunkle Limosinen. Eifrige Journalisten schweben im Pater Noster der 18. Etage entgegen. Ein älterer Herr im Maßanzug empfängt sie mit warnender Stimme: „Seien Sie vorsichtig - die Wagen stehen vor der Tür“. Diese Szene stammt nicht etwa aus einer zweitklassigen amerikanischen Fernsehserie, sondern fand so oder ähnlich vor zwei Wochen im Hause Springer in der Berliner Kochstraße statt. Auf einer Pressekonferenz wollten sich die geladenen Journalisten über die Bilanzen des Medienkonzerns unterrichten lassen. Der besorgte Herr war Peter Tamm, Springer-Vorstandschef und Vorsitzender des Aufsichtsrats des Privatsenders SAT 1. Er hegt die Befürchtung, daß sein Intimfeind Leo Kirch, Filmgroßhändler aus München - oder vielleicht auch der mit ihm verbündete Verleger Hubert Burda - mehrere Teams auf ihn angesetzt haben, die ihn mit hochwertiger Ausspähvorrichtung verfolgen. In München weist Frau Armgard von Burgsdorf, die Pressesprecherin des öffentlichkeitsscheuen Leo Kirch diese Behauptungen allerdings vehement als „absurde und böswillige Unterstellung“ zurück.

Vergleiche mit einer amerikanischen Action-Serie sind im Streit um SAT 1 jedoch durchaus angebracht. Denn hier haben wir es mit zwei Kontrahenten zu tun, die es mit einem J. R. Ewing an Verschlagenheit und Streitsüchtigkeit jederzeit aufnehmen können. Der Springer Verlag ist mit 15 Prozent direkt und mit weiteren 15 Prozent über die Aktuell Presse Fernsehen AG (APF) an dem Mainzer Privatsender beteiligt. Die Münchner Kirch-Gruppe hält dagegen seit der Übernahme der AV-Euromedia-Anteile mit 55 Prozent den Löwenanteil. Im Kampf um die Macht wollen sich die beiden Hauptgesellschafter nun gegenseitig aus dem Sender herauskatapultieren. Anlaß des Streits war ein umstrittener Spielfilmeinkauf.

1. Folge: Das Spielfilmpaket

Die Schweizer Medienhandels AG, ein Unternehmen des Metrogründers Otto Beisheim kaufte im Dezember letzten Jahres ein großes Spielfilmpaket vom Mediengroßhändler Leo Kirch, um es sogleich an Werner Klatten, Geschäftsführer und Filmeinkäufer von SAT 1 weiterzuverhökern. 1300 Titel zum horrenden Preis von 756 Millionen D-Mark. Aber immerhin sind in dem Päckchen Kinokassenrenner wie Indiana Jones, Crocodile Dundee und Ghostbusters. Trotzdem ärgerten sich insbesondere die SAT 1-Aufsichtsratsmitglieder des Springer Verlags, denn der Spielfilmeinkauf war vorher mit einem Patt der Stimmen im Aufsichtsrat abgelehnt worden. Begründung: Kirch bereichere sich auf Kosten von SAT 1 und demonstriere damit als Gesellschafter geschäftsschädigendes Verhalten. Aber in einer Serie a'la Dallas, ist dies kein Problem. Eine Tochterfirma wurde gegründet, die das Geschäft an dem Beschluß des Aufsichtsrats vorbei abwickelt. Verärgert wandten sich die geprellten Springergesellschafter an das Mainzer Landgericht, das den umstrittenen Spielfilmeinkauf Mitte Mai für nichtig erklärte.

2. Folge: Szenenwechsel

Während sich Aufsichtsrat und Gesellschafter, die Protagonisten der oberen Etagen, streiten, haben die Programmmacher bei SAT 1 ganz andere Sorgen. Ihnen fehlt es aufgrund des Gerichtsbeschlusses an frischer Spielfilmware. In den meisten Programmzeitschriften nehmen die Hinweise für etwagige Programmänderungen und die Erklärung dazu mittlerweile mehr Platz ein, als die Filmankündigungen selbst. Immerhin haben die Kontrahenten Kirch und Springer sich, um einem akuten Programmnotstand vorzubeugen, auf etwa 800 Titel aus dem umstrittenen Filmpaket geeinigt, die auch vor der endgültigen Klärung vor Gericht schon einmal abgespielt werden dürfen. So oder so profitiert der Münchner Medienmogul von der programmlich zugespitzen Lage. Laut Frau von Burgsdorf werden auch die Ersatzstreifen aus Kirchs großer Filmkiste gezogen.

Für die Kirch- Gruppe sind ohnehin Programme mit vielen Spielfilmen und deren Wiederholungen gut fürs eigene Geschäft. Dies paßt Springer und den anderen Verlegern nicht, die bei SAT 1 ein publizistisch vorzeigbares Programm anstreben.

3. Folge: Versammlungskrach

Auf einer außerordentlichen Gesellschafterversammlung im Mai forderte Springer-Chef Tamm überraschend den Ausschluß der Kirch- Gruppe aus dem Sender. Der Kontrahent ließ sich so etwas nicht bieten, und forderte auf der nächsten Sitzung Ende Mai nun seinerseits die Abberufung Tamms und den Ausschluß des Springer-Konzerns aus dem Sender. Empört löste Vorstandsvorsitzender Tamm die Sitzung gleich zu Beginn wieder auf und die Springergetreuen verließen den Raum. Das hinderte die Kirch-Gefolgsleute allerdings nicht, Tamms Abberufung zu beschließen und den umstrittenen Spielfilmeinkauf in seiner Abwesenheit zu billigen.

Vor dem Hintergrund der tolldreisten Auseinandersetzungen bangten die Mitgesellschafter mehr und mehr um ihr Image und stiegen beim Mainzer Kommerzsender aus. Die DG Bank AG hat ihre mittelbare Beteiligung am Privatsender der Kirch Gruppe überlassen. Die Kirch-Gruppe war bisher mit der DG Bank-Tochter DVG Deutsche Vermögensverwaltungsgesellschaft mbH über die PKS zu 40 Prozent an SAT 1 beteiligt. Kirch übernahm den 49 prozentigen DVG-Anteil und kontrolliert die PKS (Programmgesellschaft für Kabel und Satelittenrundfunk) jetzt zu fast 100 Prozent. Erst kürzlich hatte Kirch auch die AV Euromedia des Stuttgarter Großverleger Holzbrinck ( Wirtschaftsswoche, Handelsblatt) übernommen, so daß Kirch mit 55 Prozentdie SAT 1-Gesellschafterrunde dominiert.

4. Folge: Das Gerichtsurteil

Bei Springer hat man wegen der geplatzten Gesellschafterversammlung die Gerichte ein weiteres Mal bemüht. übrigens das sechste Verfahren, das gegen den Erzrivalen angestrebt wird. Zunächst erklärten die Richter sämtliche Beschlüsse, die auf dieser Sitzung gefaßt wurden, per Einstweiliger Verfügung für unwirksam. Mittlerweile jedoch haben die Richter Kirchs Wild-West-Manieren im nachhinein geadelt. Sie erklärten die Gesellschafterversammlung, auf der die Abberufung Tamms und der Ausschluß Springers beschlossen wurde, für rechtmäßig. Natürlich wird sich der Springer Verlag das nicht bieten lassen und so wird die entscheidende Schlacht zwischen den beiden rivalisierenden Gesellschaftern wohl erneut vor Gericht entschieden werden.

5. Folge: Ein neuer Serienheld

Jetzt kommt noch ein Hauch von Freiheit und Abenteuer mit ins Spiel. Günter Wille, derzeit noch Vorstandschef der Münchner Tabakfirma Phillip Morris (Marlboro), soll ab Mai nächsten Jahres bei Springer als Tamm-Nachfolger eingearbeitet werden. Allerdings wird der neue Held noch etwas warten müssen, bis er die entscheidende Rolle im Geschehen erhält, denn erst frühestens im Juli 1993 will Peter Tamm nach 45 jähriger Tätigkeit bei Springer seinen Sessel freimachen. In der Zwischenzeit wird neuer Serienstoff vom Berliner Kabelrat und der Landesmedienanstalt in NRW geliefert. Die Kontrollgremien, die über die Lizenzvergabe an private Rundfunkanbieter wachen, verlangen nun, daß die Münchner Kirch-Gruppe ihre Mehrheitsbeteiligung am Privatsender aufgibt. Der Kabelrat fordert, daß Kirch innerhalb eines Jahres einen Teil seiner Anteile am Kommerzsender an Dritte abgibt. Allerdings werden Verkäufe an den Axel- Springer-Verlag oder andere mit ihm verbundene Unternehmen von vornherein ausgeschlossen, um eine umgekehrte Machtkonzentration zu verhindern.

Überraschend verkündete die Kirch-Gruppe diese Woche nun, daß man sich von Anteilen an der AV-Euromedia trennen werde, um die SAT 1-Beteiligung auf „nicht mehr als 50 Prozent zu reduzieren“. Damit käme die Kirch-Gruppe ihrer Verpflichtung gegenüber der Landesanstalt für Rundfunk in NRW als weiterhin größter Einzelgesellschafter für SAT 1 nach. Daß dieser Schritt aus wirklicher Einsicht in die Gefahren zunehmender Medienkonzentration geschah, dürfte bei Kirchs Machtbesessenheit wohl auszuschließen sein. Eher schon taktisches Kalkül spielt hier wie in den vergangenen Folgen eine Rolle. So sind denn auch die jüngsten Äußerungen der Kirch-Gruppe aus dem Munde von Frau von Burgsdorf nur mit Vorsicht zu genießen. Die rivalisierenden SAT 1 -Gesellschafter Springer und Kirch seien sich „so nah, wie nie zuvor“. Ist also doch noch ein Happy End im SAT 1 Medienkrimi in Sicht? Dies wird wohl in den kommenden Folgen vor Gericht entschieden.

Renate Klein