Genozid an Roma-Frauen in der Slowakei?

■ Untersuchung über die mißbräuchliche Sterilisation von Roma-Frauen in der Ostslowakei / Die Frauen wurden nicht oder nur ungenügend informiert / Mit finanziellen Anreizen „überredet“ / Viele der betroffenen Frauen klagen über körperliche oder psychische Beschwerden

Berlin (taz) - Natürlich gab es warnende Stimmen. Die Bürgerrechtsorganisation Charta 77 hatte bereits vor Jahren auf die Zwangssterilisation von Roma-Frauen in der Tschechoslowakei aufmerksam gemacht. Als die Regierung dann 1986 ein Prämiensystem für Sterilisationen einführte, lag die Gefahr nahe, daß die Frauen der diskriminierten Roma Opfer von Mißbrauch werden könnten. Eine Untersuchung aus der Ostslowakei mit 123 Roma-Frauen bestätigt jetzt diese Befürchtungen: Die Betroffenen wurden zum Teil nicht oder nur ungenügend über den Eingriff informiert. Die finanziellen Beihilfen dienten nicht der Linderung sozialer Härten, sondern wurden eingesetzt, um Frauen zu dem schwerwiegenden Eingriff zu überreden. Das Prinzip der Freiwilligkeit wurde eklatant verletzt, nur knapp 18 Prozent der befragten Frauen wollte die Sterilisation.

Die Autoren der Studie, Pellar und Andres, gingen daraufhin an die Öffentlichkeit und verlangten eine weitere, großangelegte Untersuchung. Parlament und der Generalstaatsanwalt wurden eingeschaltet. Sollten sich die Ergebnisse bestätigen, gehen die beiden Wissenschaftler davon aus, daß der Tatbestand des Genozids gegeben ist.

1986 novellierte der Staat die Gesetzgebung zur Sterilisation. Die Altersgrenze wurde von 35 auf 18 Jahre gesenkt; bestehen blieb die Vorschrift, daß eine Frau drei Kinder haben muß, um eine Sterilisation zu erhalten. Um mehr Selbstbestimmung für Frauen ging es bei dieser Reform kaum. Die neu eingeführten finanziellen Anreize mit einer Höchstsumme von 25.000 Kronen ließen vermuten, daß bestimmte Frauen davon abgehalten werden sollten, Kinder zu bekommen. Die Rechnung schien aufzugehen: in der Ostslowakei wurden seit 1986 26 Millionen Kronen an Sterilisationsprämien ausgezahlt. In Böhmen aber nur 2 Millionen.

Die Studie von Pellar und Andres bestätigt diese Tendenz. Über die Hälfte der befragten Frauen hatten den Eingriff tatsächlich nach 1986 machen lassen. Rund 74 Prozent der Frauen war zwischen 18 und 35 Jahre alt - hätten also vor der Gesetzesreform den Eingriff gar nicht vornehmen lassen können. Auch die Absicht einer negativen Bevölkerungspolitik gegenüber den Roma ließ sich nachweisen: die Prämien fielen umso höher aus, je jünger die Frauen waren und je weniger Kinder sie hatten. Zudem gaben neun Frauen an, erst nach der Sterilisation informiert worden zu sein, was mit ihnen im Krankenhaus passiert war. In diesen Fällen wurden die Gesetze offensichtlich übertreten. Denn die freiwillige Zustimmung der Frau und ihre Information sind Voraussetzung des legalen Eingriffs. Weitere 13 Frauen erklärten, „genötigt“ worden zu sein und 74 Frauen fühlten sich „überredet“, durch Hinweise auf gesundheitliche Risiken. Ein weiteres Indiz für den Zwangscharakter der Maßnahem sind die massiven Klagen der Frauen über körperliche und psychische Beschwerden nach der Sterilisation.

Als besonders gravierend wurden jüngt in der Presse die Zustände in dem Städtchen Jarovnice im Distrik Persov dargestellt: von den 3.147 Einwohner sind 2.024 Roma. 123 Frauen sind dort sterilisiert. Keine hat mehr als zwei Kinder, alle erhielten die Höchstprämie von 25.000 Kronen. Der Vorsitzende des regionalen Nationalkomitees von 1971 bis 1989, Zboray, ist als Sterilisations-Verfechter bekannt; aber auch nach der Demokratisierung blieb vieles beim Alten. Der heutige Vorsitzende plädiert ebenso für die Sterilisation von Roma-Frauen nach dem zweiten Kind; das gesamte Komitee empfiehlt, „geistig zurückgebliebene“ Roma -Mädchen gynäkologischen Zwangsuntersuchungen zu unterwerfen und im Fall eine Schwangerschaft Eltern und Tochter rechtlich zu belangen.

Helga Lukoschat