Die Stasi ist tot, es lebe die Stasi

■ taz-Diskussion mit Journalisten aus der DDR über die dort umstrittene Veröffentlichung der Stasi-Liste

Berlin (taz) - Kürzlich habe ihn ein Mitglied des Bürgerkomitees (zur Auflösung der Stasi) aufgesucht. Der Besucher sei tief deprimiert gewesen, berichtet Hannes Bahrmann, freier Journalist in der DDR. Die Diskussionsrunde, zu der die taz am Mittwoch abend Kollegen aus DDR-Medien geladen hatte, nickt bestätigend. Wie auch immer Ost- und Westler zur Veröffentlichung der Listen über 9.251 ehemalige Stasi-Objekte stehen mögen, die „Topographie des Unterdrückungsapparats“ an sich (Christian Semler von der West-taz) ist bedrückend. Das Komiteemitglied war tief deprimiert, fährt der Kollege aus Ost-Berlin fort, denn das „aufbereitete Material fällt jetzt in die Hände von Leuten, die dieselben Interessen haben wie die Stasi“. Deprimiert auch, weil die Arbeit der Komitees und damit sein Job jetzt eingestellt werde.

Die taz hatte eingeladen, nachdem die DDR-Zeitungen 'Junge Welt‘, 'Der Morgen‘, 'Berliner Zeitung‘ und das 'Neue Deutschland‘ wie auch die taz-ler aus der Ostberliner Oberwasserstraße einhellig die Veröffentlichung der Stasi -Liste als den falschen Weg einer Bewältigung der DDR -Geschichte kritisiert hatten. Die Kommentarschreiber haben stellvertretend ihre Kollegen geschickt, die Argumente sind die gleichen geblieben: Die Westler haben bitte schön nicht zu bestimmen, wie die DDR-Bürger ihre Vergangenheit bewältigen sollen, die Verfassung der Bevölkerung sei noch nicht so weit, und daß es (noch) nicht zu Übergriffen gekommen sei, bedeute gar nichts. Der Kollegin der einzigen DDR-Frauenzeitschrift 'Für Dich‘ war die Liste zu konkret, dem 'Morgen‘ ist sie zu global. Bei der Faktenfülle sei es doch wie bei Naturkatastrophen. Wenn es zu viele Tote gebe, werde es wieder uninteressant. Die Frage nach dem besseren oder gar richtigen Weg einer Vergangenheitsbewältigung, wenn die Veröffentlichung der Stasi-Objekte der falsche sei, blieb im Raum hängen.

Im übrigen warteten sie alle auf die längst fällige Veröffentlichung einer entsprechenden BND- oder Verfassungsschutzliste in der taz. Überhaupt, so die Ost -Kollegen wie aus einem Mund, gleichen sich eh die Geheimdienste. Was jetzt anstehe, sei die Auseinandersetzung mit den westdeutschen Diensten, hier stehe gleiches Übel ins Haus. Mit den Stasi-Listen führten die Linken in der BRD ja nur „einen Stellvertreterkampf in der DDR“. Entgeisterte Blicke der West-tazler. Erstmals in der Geschichte der Zeitung sahen sie sich durch die mehr als naive Gleichsetzung „Stasi gleich Verfassungschutz“ in die Rolle gedrängt, den ungeliebten Dienst zu verteidigen. Die Geheimen werden es bereits zur Kenntnis genommen haben, denn nach dem Verständnis der Stasi-erfahrenen Ost-Kollegen waren die ja mitten unter uns.

Barbara Geier