Ein Kontinent schlägt zurück

■ Zum ersten Mal in der Geschichte präsentiert sich ein schwarzafrikanisches Land in den Reihen der mächtigsten Acht - bei der Fußball-WM in Italien

Die Welt schaut auf Kamerun. Oder vielmehr: auf Neapel, den Austragungsort der Fußballbegegnung im WM-Viertelfinale zwischen den talentierten Balljongleuren vom Äquator und den Nachkommen ihrer ehemaligen Mandatsherren aus England. Am Sonntag und möglicherweise darüber hinaus - wenn die „unbezähmbaren Löwen“ um den 38jährigen „Oldie“ Albert Roger Miller die „Schlacht am Vesuv“ für sich entscheiden und ins Halbfinale einziehen - werden uns die öffentlich-rechtlichen Kürtens, Faßbenders, Ploogs und Reifs wieder mit ihrem Lobgesang auf die Fähigkeiten der „Naturburschen“ aus der ehemaligen deutschen Kolonie (1884-1916), einem „Fußballentwicklungsland“ traktieren. In Yaounde, der Hauptstadt Kameruns, die jedesmal Kopf steht, wenn die wackeren Mannen um den Kneipenkicker Miller das Leder ins gegnerische Tor befördern, gibt man sich selbstbewußt: Die Zukunft des Fußballs ist schwarz. Die Weltmeisterschaft in Italien jedoch dauert nur noch gut eine Woche. Zumindest für diese Zeit sind die politischen und wirtschaftlichen Sorgen der Bevölkerung, von der nur wenige am relativen Reichtum Kameruns teilhaben, vergessen. Danach hat der Alltag die ca. 11 Millionen in der „politisch stabilen“ Republik, deren Präsident Paul Biya keinerlei Oppositionsparteien neben der Einheitspartei RDPC duldet, wieder.

Als die „unzähmbaren Löwen“ zum Auftakt der Weltmeisterschaft die Argentinier mit 1:0 in die Kabine schickten, klatschte Kameruns sonst eher gehemmter Staatspräsident Paul Biya frenetischen Beifall. Er war nach Italien gereist, um „seiner“ Nationalmannschaft den Rücken zu stärken - „die politisch intelligenteste Initiative, seit er vor acht Jahren an die Macht kam“, glaubt Paddy Mbawa, Chefredakteur der 'Cameroon Post‘. Ende Mai hat Mbawa eine Woche in Haft gesessen, weil er ein Pressekommunique der Oppositionspartei „Sozialdemokratische Front“ (SDF) in der Tasche hatte. Inzwischen hat der Erfolg der kamerunischen Kicker den Kampf für ein Mehrparteiensystem vorübergehend auf die lange Reservebank geschoben - „erst die Weltmeisterschaft, dann die Demokratie“, scherzt Paddy Mbawa.

Anfang nächster Woche steht beides auf dem Programm: In Kamerun tagt der Kongreß der Einheitspartei RDPC (Rassemblement Democratique du Peuple Camerounais), in Italien steht das Halbfinale an. „Wenn wir eine Runde weiterkommen, gewinnt Paul Biya eine oder zwei Wochen Gnadenfrist“, meint ein Rechtsanwalt. „Wenn nicht, dann sollte die Einheitspartei lieber von selbst ihr Machtmonopol aufgeben.“ In den vergangenen Wochen hat das Regime Paul Biyas alles unternommen, um demokratischen Pluralismus zu verhindern: die SDF bleibt weiterhin verboten, zehn Gründungsmitglieder sind wegen „Subversion“ und „Beleidigung des Staatschefs“ zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt und mindestens sieben Parteigänger der SDF erschossen worden.

Am 26. Mai sollte in Bamenda, einer Provinzstadt im englischsprachigen Nordwesten Kameruns, die erste Sympathiekundgebung für die SDF stattfinden. Die Versammlung war öffentlich angekündigt worden und verstand sich als Protest gegen die Weigerung der Regierung, die Oppositionspartei anzuerkennen. Obwohl die kamerunische Verfassung den Parteienpluralismus ausdrücklich anerkennt, herrscht die Staatspartei seit der Unabhänigkeit des Landes vor 30 Jahren ohne Konkurrenz. Lediglich der Name der Einheitspartei wurde geändert, nachdem Paul Biya den „Vater der Unabhängigkeit“, Ahmed Ahidjo im Präsidentenamt abgelöst hatte.

Als an besagtem 26. Mai mehrere tausend Menschen ins Zentrum von Bamenda strömten, riegelten die Sicherheitskräfte die Innenstadt ab. Es kam zu einer mehrstündigen Straßenschlacht. „Sieben Demonstranten sind zu Tode getrampelt worden“, berichtete am selben Abend der Staatsfunk. Augenzeugen behaupteten dagegen, daß „mindestens ein Dutzend Demonstranten“ von der Sicherheitspolizei erschossen wurde. Die Eskalation der politischen Auseinandersetzung scheint unausweichlich.

Die SDF ist bereits im Feburar auf Initiative eines Buchhändlers in Bamenda, Ni John Fru Ndi, gegründet worden. Es ist kein Zufall, daß der Versuch, eine legale Oppositionspartei aufzubauen, im englischsprachigen Kamerun unternommen wurde. Während das französischsprachige Zweidrittel des Landes die koloniale Erbschaft einer lähmenden Fixierung auf den Obrigkeitsstaat noch immer nicht überwunden hat, gibt es im Nordwesten eine - relativ freie, private Presse. Dabei spielt sicher das Beispiel des nachbarlichen „Riesen“ Nigeria eine Rolle. Trotz des Militärregimes behauptet sich in Nigeria eine „offene“ Gesellschaft gegenüber dem Staatsapparat. Und der Machtübernahme der Militärs folgt stets das Versprechen „erneuerter Demokratie“. Die Rückkehr zum Parteiensystem ist im nachbarlichen Nigeria für nächstes Jahr vorgesehen.

Die Regierung in Yaounde hat es sich freilich zu leicht gemacht, indem sie das oppositionelle Aufbegehren als „regionales Spaltertum der nationalen Einheit“ abzutun versuchte. Zum einen, weil niemand in der Opposition ernsthaft daran denkt, die nationale Einheit in Frage zu stellen. Zum anderen, weil die Initiative, die von Bamenda ausging, sehr rasch auch im französischsprachigen Landesteil von Demokraten aufgegriffen und unterstützt wurde. So hat sich zum Beispiel der Präsident der kamerunischen Anwaltskammer, Bernard Muna, öffentlich zur SDF bekannt. Lehrer, Journalisten und Geschäftsleute sind seinem Beispiel gefolgt. Viele von ihnen sind aus dem Staatsdienst entlassen worden. Sieben von ihnen waren bereits am 5. April wegen „Subversion“ zusammen mit einem englischsprachigen Schriftsteller, Albert Mukong, und dem ehemaligen Präsidenten der Anwaltskammer, Yondo Black, von einem Militärgericht zu Haftstrafen bis zu fünf Jahren verurteilt worden.

Dem Schauprozeß in Yaounde ist die öffentliche Kundgebung in Bamenda gefolgt. Und selbst nach der blutigen Auseinandersetzung mit den Sicherheitskräften - und zahllosen, willkürlichen Verhaftungen - bekennen sich führende Persönlichkeiten zum Parteienpluralismus. Paul Biyas Vizepräsident hat aus Protest gegen die „Verkapselung des Regimes“ sein Amt niedergelegt. Der Erzbischof von Yaounde hat in einem Hirtenbrief zu „wirklicher Demokratie“ und „Respekt Andersdenkender“ aufgerufen. Die „Funktionäre“ in den Staatsmedien, die sich lieber als Journalisten verstünden, betreiben mehr oder weniger offene „Sabotage“ mit der offiziellen Wahrheit. Dazu genügt es, mit passendem Ton die dümmlichen Plakate der allerorten organisierten Unterstützungsmärsche abzulesen: „Gegen die Verfremdung durch importierte Demokratie“, „Wir sind für Paul Biya, weil er der Beste ist“...

Acht Jahre lang haben die Kameruner auf die „Demokratie von oben“ gewartet. Nach zwei autokratischen Jahrzehnten unter der eisernen Fuchtel des „Landesvaters“ Ahidjo war Paul Biya als „demokratischer Erneuerer“ ins Amt gekommen. Aber er hat die in ihn gesetzten Erwartungen enttäuscht. „Nach dem mißglückten Militärputsch im April 1984 hat Biya alle Schotten dichtgemacht und das Land wieder in einen Überwachungsstaat verwandelt“, resümiert ein Sympathisant der SDF. Im Exil lebende Oppositionspolitiker haben inzwischen zwei weitere Parteien gegründet. In Kamerun neben der Elfenbeinküste, Kenya und dem Gabun eines der reichsten und entwickeltsten Länder Afrikas - wird nun „Demokratie von unten“ geprobt - nach der Weltmeisterschaft...

Knut Pedersen