Am Schwarzmarkt am Zoo regiert nun das Komma

■ Der Schwarzmarktkurs nähert sich dem Tief- und Endpunkt von 2 zu 1: Mittlerweile profitieren nicht mehr die Bargeld-, sondern die Kontenhändler / Die Geldkäufer sind Westberliner, die Geldverkäufer Osteuropäer / Die Endkurse liegen bei 1:2,1 bis 1:2

Charlottenburg. Remmidemmi am Bahnhof Zoo. Die 50 Quadratmeter zwischen Wechselstelle und U-Bahneingang sind schwarz vor Menschen. Polnische, rumänische, ungarische und russische Brocken tönen durcheinander - ein Gemisch und Gewimmel wie auf einem Basar. Hunderte von Geldwechslern versuchen, noch den letzten Reibach vor dem 1. Juli zu machen, und sie haben Erfolg. Die Ost-Scheine werden ihnen buchstäblich aus der Hand gerissen, obwohl der Kurs so schlecht wie nie ist. Noch Anfang der Woche kosteten 100 Ostmark 35 Westmark, am Donnerstag aber schon 48,50 und gestern gar 50 Mark. Jetzt geht's ums Komma: 1:2,1 bis 1:2,3. Tiefer kann er nicht fallen. Und trotzdem, der schwarze Geldmarkt unter freiem Himmel und unter den Augen der Polizei floriert wie seit Wochen nicht mehr. Er vermischt sich aber zunehmend mit einem „Marlboro-zwei-Mark -Markt“.

Die Ostgeldkäufer sind fast alle Westberliner, die noch im letzten Moment die Chance ergreifen, die Bankkonten von echten oder schrägen Freunden aufzufüllen. Da gibt es den biederen Ehrenmann im Anzug, der im Alltagsleben die Ruhe und-Ordnung-Mentalität repräsentiert - und der handelt wie auf dem Jahrmarkt, versucht den Ostmark verkaufenden Russen übers Ohr zu hauen. Vier nagelneue 500-Mark-Scheine hält er in der Hand, will unbedingt nicht 4.000 Ost, sondern einen Sonderpreis von 4.300 für sein Geld. Fast hätte das Geschäft geklappt, wenn nicht die Konkurrenz dazwischen gefunkt hätte. Ein Taxifahrer, das Auto mit laufendem Motor am Straßenrand, hat keine Zeit und keinen Nerv zum Handeln. Er zahlt 2.000 Westmark für 4.000 Ostmark und zieht mit dem Bündel Scheinen, offensichtlich zufrieden, ab. Kleingeld für das Schnäppchen im Osten, Beträge um 100 Mark, früher Schwarzmarktalltag, werden von den Händlern erst gar nicht mehr angenommen. Die Arbeitszeit des Tauschens ist viel zu kostbar geworden, am Zoo wechseln nur noch große Beträge die Besitzer.

Das hat einen handfesten Grund, denn in Ost-Berlin werden Konten regelrecht gehandelt. Wenn Jimmy aus dem Westen im Osten einen Jonny findet, der über Schleichwege ein Konto mit weniger als 4.000 Ostmark findet, dann profitieren viele davon. Der oder die Kontobesitzer für die Verleihung des Namens, der Jonny für die Vermittlung und der Jimmy für den Vorschuß. Die wirklich großen Geschäfte, von denen in erster Linie DDR-Bürger profitierten, sind schon längst gelaufen. Damals, als der Kurs noch 10:1 oder mindestens 5:1 war. Alle Kontobeträge die pro erwachsene Person mehr als 4.000 Mark betragen, werden verrechnet und 2:1 abgewertet.

Seit November sind viele neureich geworden, die Underground -Marktwirtschaft faszinierte all die, die immer schon meinten, in der DDR zu kurz gekommen zu sein. Das Händlerbewußtsein, in der alten DDR als „Spekulantentum“ offiziell verfemt, konnte am Zoo oder Bahnhof Friedrichstraße fast legal ausgelebt werden. Zumindest bis zu dem Zeitpunkt, als die Osteuropäer den Markt übernahmen. In diesen letzten hektischen Stunden haben die DDR-Bürger anderes zu tun - Schlangestehen vor den Banken im Osten.

Anita Kugler