„Westmark für die DDR, Visumzwang für uns“

■ Die Währungsreform ist für Aldis polnische Stammkunden kaum interessant / Wichtig ist nur eine Frage: Wann kommt die Visumpflicht? / Noch haben die Alliierten ihre BKO aus dem Jahr '67 nicht zurückgezogen / In Bonn wird verhandelt

West-Berlin. Das mit der Währungsreform interessiert Zbigniew aus Posnan eigentlich nicht, obwohl er die ehemals sozialistischen Brüder und Schwestern aus der DDR schon beneidet. Ein paar Zloty eins zu eins tauschen - in D-Mark natürlich - „das wäre nicht schlecht“. Dann könnte man sich die Touren nach West-Berlin sparen und die elendige Warterei, so wie heute vor Aldi in der Stresemannstraße.

Saft und Bier will er nach Hause mitbringen, in der Reisetasche stecken, noch verpackt, Walkman und Radiorecorder. Für wen? „Das wird man bei uns schon los“, sagt er. Klar würde er auch bei Aldi in Frankfurt an der Oder einkaufen, vorausgesetzt, es gäbe dort endlich eine Filiale mit der entsprechenden Infrastruktur. „Videorecorder müßte man da schon auch kriegen.“ Ansonsten beherrscht zunehmend ein Thema die Debatten in der Warteschlange: Kommt er nun, der Visumzwang für West-Berlin?

Er kommt. Noch allerdings wartet der Senat, vehementer Verfechter der Einreisebeschränkung, auf den entscheidenden Schritt der drei West-Alliierten: Diese müssen eine Anordnung aus dem Jahre 1967 zurückziehen, wonach Staatsangehörige aus ehemaligen Ostblockländern eben ohne Visum nach West-Berlin einreisen und sich hier bis zu 31 Tage aufhalten dürfen. Die Suspendierung dieser BKO hätte sich der Senat dringendst bis zum 1. Juli gewünscht, wenn nicht nur die D-Mark eingeführt, sondern die innerdeutschen Grenz- und Zollkontrollen abgebaut werden. Noch verweist man bei den Alliierten allerdings nach Bonn, wo in dieser Sache zwischen Vertretern der Bundesregierung sowie Frankreichs, der USA und Großbritanniens noch verhandelt werde. „Nichts Neues“, hieß es gestern in Bonn bei der französischen Botschaft. Man warte auf die Anweisung des französischen Außenministeriums.

Einerseits absolute Reisefreiheit für Bürger Ungarns und der CSFR, andererseits neue Barrieren für die Polen - dieser Gegensatz sorgt für reichlich Unmut an der Stresemannstraße. „Die DDRler kriegen D-Mark“, sagt Zbigniew, „und wir die Visumpflicht.“ Dann heißt es nicht mehr schlangestehen vor Aldi, sondern vor der deutschen Botschaft in Warschau. Sowohl der Polnische Sozialrat als auch die deutsch -polnische Gesellschaft (DPGB) haben gegen den drohenden Visumzwang für Polen protestiert.

Im Senat gibt man sich verständnisvoll, weist aber mit dem Finger auf andere: auf die Vertragsstaaten des Schengener Abkommens. Dies wurde am 19. Juni endgültig von den Beneluxländern, Frankreich und der BRD, stellvertretend für Gesamtdeutschland, unterzeichnet. Die Binnengrenzen werden demnach aufgehoben, die Grenzen für Staatsangehörige außerhalb des „Schengener Territoriums“ aber um so dichter. „Im Falle Polens sind die anderen Mitgliedsstaaten gegenwärtig nicht bereit, der Visafreiheit zuzustimmen“, erklärte kürzlich der Chef der Senatskanzlei Schröder in einem Schreiben an den Polnischen Sozialrat.

Was bleibt, ist die Hoffnung auf die DDR-Regierung. Die könne möglicherweise gar kein Interesse an allzu scharfen Reisebeschränkungen für die polnischen Nachbarn haben, spekuliert Witold Kaminski vom Polnischen Sozialrat. Schon gar nicht nach der Währungsreform, wenn nicht nur das Westgeld, sondern auch die Westwaren Einzug halten. „Wer, wenn nicht die Polen, soll dann die DDR-Produkte kaufen?“

Andrea Böhm