Paris ohne Louvre und Schrottbeulen ohne TÜV

■ Harte D-Mark macht kapitalismusungeübte DDR-Bürger leicht zu Opfern von dubiosen Reiseveranstaltern, Versicherungen und Kredithaien

Berlin. Das DDR-Konto macht's möglich. Aus den stressigen 14 -Stunden-Trips der DDR-Bürger in Westeuropas Metropolen werden nun mehrtägige Kurzurlaube. Die westlichen Reiseveranstalter, die wegen der neuen Kundschaft bisher vor allem im Kurztourismus zulegen konnten, rechnen ab nächster Woche mit einem neuen Boom. Dann wären, so schätzt eine Angestellte, auch die längeren Trips gefragt: acht Tage Gardasee (269,-), 10 Tage Costa Brava (299,-) oder fünf Tage lang die „Weltstadt London im beliebten Regent-Palast“ für schlappe 399 Mark.

Bislang gab's die Metropolen fast nur stundenweise: Zu Tausenden werden sie täglich vor den Louvre in Paris gekarrt, vor dem Wiener Opernhaus ausgesetzt oder zum Markusplatz in Venedig gegondelt. Der Fahrtpreis, selten mehr als 79 Mark, ist knallhart kalkuliert, der Aufenthalt beträgt nur 14 Stunden. Ob Kitzbühel in Österreich oder der Heidepark in Soltau: Kurztrips in den wilden Westen stehen bei Ostlern hoch im Kurs. Rund die Hälfte der Bustouristen, die in den letzten Wochen zum Hamburger Fischmarkt oder zum Eiffelturm aufbrachen, stammen aus der DDR und Ost-Berlin, schätzt eine Mitarbeiterin eines großen Berliner Reiseunternehmens. „Die haben überhaupt kein Geld zum Ausgeben!“ berichtet ein Mitarbeiter der Deutschen Botschaft in Paris mitleidsvoll der taz, - tatsächlich kamen die Brüder und Schwestern bisher in erster Linie nur zum Gucken. Für das Überleben im ausländischen Metropolendschungel sorgten Stullen und Club-Cola, auf Freßtermine bei McDonald's wurde weitgehend verzichtet.

Doch die Fahrt in die weite Welt des Westens kann auch zu bösen Überraschungen führen. So entschloß sich beispielsweise ein Busfahrer auf dem Weg nach Paris vor kurzem dazu, „mal 'ne neue Route auszuprobieren“. Resultat: Die Fahrgäste des kreativen Kfz-Fahrers kamen 5 Stunden später als geplant in der französischen Hauptstadt an. Dort warteten die ohnehin genervten Besucher aus der DDR dann stundenlang im Nieselregen auf ihren Reiseführer: Als der endlich kam, mußte der Bus schon zurück nach Berlin. Auch die negativen Erfahrungen kauffreudiger DDR-Bürger mit westlichen Unternehmen, Banken und Versicherungen haben sich in den letzten Wochen gehäuft. Weil viele Ost-Autofahrer jedes West-Modell für fahrtauglicher als jeden Trabi hielten, hatten Gebrauchtwagenhändler seit dem 9. November beispielsweise leichtes Spiel. Selbst für die letzte Rostbeule werden noch vierstellige Summen kassiert und als „Gelegenheit“ angeboten - meist Wagen, die in Westdeutschland direkt zum Schrottplatz oder bestenfalls „an Bastler“ abgegeben werden würden. Besonders gefragt sind in den Tagen vor der Währungsunion auch die „Kaufe-jetzt-zahle -später„-Angebote, mit denen vor allem Rundfunkfachgeschäfte ihren Absatz steigern. Videorecorder gehen zur Zeit weg wie warme Semmeln - zum einen wegen der Fußballweltmeisterschaft, zum anderen wegen des privaten Pornokinos, daß man damit einrichten kann. Die Zinsrate für die Geräte ist meist horrend, und wer im Herbst wegen Arbeitslosigkeit nicht zahlen kann, dem wird gnadenlos der Pfänder geschickt. „Für DDR-Bürger gilt: Abwarten, sich nicht vorschnell verschulden!“ rät Gabriele Francke, Juristin bei der Verbraucherzentrale.

Mit der „dringenden Warnung“ vor dem unbedachten Abschluß von Ratenkauf- und Versicherungsverträgen wandte sich jetzt auch das Diakonische Werk (DW) in West-Berlin an die Bürger der DDR. Sie stünden den Risiken und Fallen der bundesdeutschen Praktiken „absolut unvorbereitet gegenüber“, warnte jetzt der Leiter der Beratungsstelle für Überschuldete des DW, Erich Klein. In der DDR habe man bisher nur Bankkredite im Zusammenhang mit einem Hauskauf und dann auch nur in Höhe von sechs bis sieben Prozent Zinsen gekannt. Wenn jemand in Zahlungsverzug geriet, habe man ihm Zeit gelassen, Raten generös verkleinert.

Im Westen sieht die Sache anders aus. Die aus der DDR stammende Klientel bei den Westberliner Schuldnerberatungsstellen ist in den letzten Monaten rapide angestiegen. Viele kämen aber erst dann, „wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist“, meint Gabriele Francke. Erich Klein warnt vor Kreditformen, die selbst für den Fachmann nicht mehr überschaubar seien und auf die sich der „Normalverbraucher“ niemals einlassen dürfe. Die Kredithaie schreiten bei Zahlungsunfähigkeit gnadenlos zur Pfändung und leben oft nur von den Verzugszinsen. Ebenfalls gefährlich: Versicherungsanbieter. Vor allem viele Übersiedler haben sich im Frühjahr aus Angst vor der neuen Lebenssituation in Versicherungen geflüchtet - wegen der jetzt eintrudelnden Rechnungen steht ihnen nun das Wasser bis zum Hals. Kleins Rat: Außer der obligatorischen Autoversicherung höchstens eine Haftpflichtversicherung abschließen. Eine Lebensversicherung könne ruhig noch ein paar Jahre warten, da eine mögliche Arbeitslosigkeit einkalkuliert werden müsse.

Auch in Ost-Berlin eröffnet das Diakonische Werk jetzt eine Beratungsstelle für Überschuldete. Damit will es Ostberliner und DDR-Bürger auf drohende Fallen hinweisen. Sprechstunden sind an jedem ersten un dritten Donnerstag im Monat von 16 bis 20 Uhr und an den anderen Donnerstagen von 9 bis 13 Uhr im „Ort der diakonischen Begegnung“ in der Elias-Kirche, Göhrener Str. 11.

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