Der Tod des Dichters Paolo Jaschwili

■ Wie die Schriftstellergewerkschaft Georgiens 1937 ihre eigene Säuberung betrieb

Donald Rayfield

Als die erste bolschewistische Regierung Georgiens 1923 wegen „exzessiven Nationalismus“ gestürzt wurde, wurden unter Ordsonikidse und Makaradse alle ihre Anhänger und männlichen Verwandten ermordet. Die Zahl der Opfer wird vielleicht nie mehr festgestellt werden können. Intellektuelle und ehemalige Landadelige wurden brutal umgebracht, keine Geständnisse, keine Protokolle, keine Lobreden auf die Mörder wurden von ihnen verlangt.

Die Säuberung unter den Schriftstellern Georgiens 1937 jedoch war etwas anderes. Die Schriftstellergewerkschaft selbst suchte die Opfer aus, setzte den Prozeß der Beschuldigungen in Gang und präparierte sie für die schließliche Liquidation durch den NKWD (Vorgänger des KGB).

Die Gewerkschaft handelte auf Geheiß von Lawrentij Berija, und Berija war ein weniger spontaner Mörder als die Generation georgischer Bolschewisten vor ihm. Vom Leiter der GPU stieg er 1931 zum Ersten Sekretär der transkaukasischen KP auf; mit der regionalen Partei verbanden ihn weder Herkunft noch Freundschaft. Er war ein loyaler Stalinist vom Kaliber eines Jeschow, dessen Apparat, Personal und Methoden er im Kaukasus gründlich in Anwendung brachte, bis er schließlich 1938 selbst nach Moskau ging; dort stürzte er Jeschow und war 15 Jahre lang Stalins ergebener Diener.

Der alte Parteiapparat Georgiens folgte in den frühen dreißiger Jahren einer rigiden marxistischen Linie: Männer wie Malakia Toroschelidse argumentierten, die georgischen Klassiker seien Stützen des feudalistischen oder bourgeoisen Nationalismus gewesen - und verboten ihre Werke. Proletarischen Schriftstellern gab man freie Hand, die etablierten Dichter und Schriftsteller der zwanziger Jahre zu unterdrücken und Dichter wie Paolo Jaschwili gaben vor lauter Verzweiflung ihre ursprüngliche Arbeit auf und übernahmen Übersetzungs- und Propagandaarbeiten.

Als Berija die Macht übernahm, waren nicht wenige Schriftsteller geneigt, sich von ihm einen günstigen Einfluß zu erhoffen; viele waren hocherfreut über ihre Wiederaufnahme in die Gemeinschaft der Schriftsteller, die sich 1934 per „Reform“ zur monopolistischen Schriftstellergewerkschaft Georgiens umstrukturiert hatte. Aber der Preis, den Berija forderte, war hoch: die erste Zahlung war in Form eines Sammelbandes von Stalin-Gedichten zu entrichten, zu dem jeder einzelne Schriftsteller beizusteuern hatte. Mitte 1936 war die Zeitschrift der Schriftsteller, 'Literary Georgia‘, zur wöchentlichen Einmannveranstaltung Berijas geworden. Zwar wurden die Klassiker rehabilitiert und für 1937 Jubiläen geplant - für Rustavelis Der Mann im Pantherfell und die Werke des 19. Jahrhundert-Dichters Ilja Tschawtschawadse -, aber die Russifizierung der gesamten georgischen Verwaltung und die Unterdrückung der Minderheitensprachen (Mingrelisch, Abchasisch und Ossetisch) zerstörte das liberale Image wieder, das Berija ursprünglich für einige hatte.

Berija pflegte keine Freundschaften; selbst seine vielen Geliebten erregten in ihm vor allem anderen den Wunsch, ihren Ehemännern oder früheren Liebhabern zu schaden. Vor allem war es Berijas persönlicher Sinn für Rache und Sadistisches, der seinen Aktivitäten zugrunde lag und ihn von der simplen Brutalität eines Orschonikidse unterschied dabei aber aufs engste mit Stalin verband. Es amüsierte ihn, einige, die sich geweigert hatten, Loblieder auf ihn zu singen, zu verschonen, andere dagegen, die sich auf seine Seite gestellt hatten, wie Paolo Jaschwili, in den Tod zu treiben.

Paolo Jaschwili und Tizian Tabidse sind wichtige Personen in Pasternaks Korrespondenz und biographischen Aufzeichnungen. Als Dichter der Gruppe „Blauhorn“ Symbolisten nach Art von Konstantin Balmont und Andreij Belji, die jedoch beide Vorrevolutionäre sind - hatten sie viel „gutzumachen“. Jaschwili begrüßte den bolschewistischen Einmarsch nach Georgien mit spektakulärer Geste auf einem weißen Pferd reitend und war einer der ersten, die ein Gedicht auf Stalin schrieben (1926); später wurde er einer der wichtigsten Übersetzer russischer Lyrik, wandte sich jedoch nach dem Schock von Majakowskis Tod und dem Triumph der Russischen (und Georgischen) Assoziation Proletarischer Schriftsteller (RAPP) 1930 publizistischen und anderen Arbeiten im Dienste der Industrialisierung und stalinistischen Politik zu. Tizian Tabidses Entwicklung war langsamer; seinen lyrischen Gedichten von vor 1921 folgten Arbeiten mehr im Stile Jessenins und Pasternaks, bevor er in Pasternaks Fußstapfen - eine mehr proletarische und unterstützende Funktion übernahm. Bei einer Ausschlußaktion aus dem Bund georgischer Schriftsteller am 9. Mai 1931 war Tabidse eines von fünf Präsidiumsmitgliedern, das seinen Kollegen wie Konstantine Gamsachurdia von der Schriftstellerei ausschloß und insgesamt die Mitgliederzahl des Bundes von 110 auf 72 reduzieren half. Auch Jaschwili hatte als Sekretär der Gewerkschaft agiert, und zwar 1936, als die proletarischen Schriftsteller, als Trotzkisten gebrandmarkt, ausgeschlossen wurden.

Berijas Machtübernahme besiegelte ihr Schicksal. Jaschwili war einer der ersten mit einer Medaille ausgezeichneten sowjetischen Dichter gewesen, Mitglied des Zentralkomitees der transkaukasischen KP, und hatte lauter als alle anderen die Todesstrafe für die Opfer der Säuberung von 1936 gefordert: jetzt war er an der Reihe.

Berija begann seinen Angriff am 15. Mai 1937 auf dem 10. Parteitag der georgischen Partei. Er erwartete von Jaschwili, Gamsachurdia, Jawakischwili, Mitsischwili und anderen Intellektuellen, sie sollten „ernsthaft über ihre Handlungen nachdenken„; er forderte sie zu „gardakmna“ (Perestroika) durch Selbstkritik auf und warf den „Blauhörnern“ ihre Beziehungen zu Feinden des Volkes vor. Die Vorliebe der gestürzten Parteiführer (die gerade wegen phantastischer Abweichungen und Verschwörungen vor Gericht standen und kurz darauf erschossen wurden) für die Gesellschaft der Künstler machte nahezu jeden lebenden Schriftsteller verwundbar. Berija suchte sich Paolo Jaschwili heraus als Beispiel „der Liebedienerei vor den Mächtigen“.

Jaschwilis Schicksal kann als Beispiel gelten für das Schicksal Hunderter von georgischen Schriftstellern, bei dem keinerlei Logik mehr aufscheint hinter dem selbst für einen totalitären Staat pathologischen und sinnlosen Massaker. Öffentliche Selbstkritik

Am 27. Mai 1937 hielt das Präsidium der georgischen Schriftstellergewerkschaft von abends um acht bis nachts um eins seine erste geschlossene Sitzung, um Berijas Forderung nach einem Prozeß - der es nur dem Namen nach war nachzukommen. Der mittelmäßige Kritiker und frühere Freund von Tabidse, Davit Demetradse, fungierte als Ankläger.

Jaschwili wurde vorgehalten, er verhalte sich nicht wie ein sowjetischer Schriftsteller: „Du solltest deine Beziehungen mit Feinden des georgischen Volkes reflektieren“ - gemeint war der gestürzte Parteiführer Agniaschwili, der Dichter Lominadse, der Hydroelektrik-Ingenieur Jikia und der Bakteriologe Gogi Eliava. Jikia war der Erbauer des Wasserkraftwerks Rioni im Westen Georgiens und hatte sich von Ruhm, Reichtum und dem Größenwahn seines nächsten Projektes blenden lassen. Eliava, der - wie die meisten sowjetischen Biologen von internationalem Ruf zu dieser Zeit - wegen Spionage und Sabotage unter Anklage stand, war ein Freund Jaschwilis und als Schürzenjäger ein Objekt der Eifersucht von Berija geworden. Sein Institut wurde beschuldigt, 50 Menschen willentlich mit Typhusbazillen infiziert zu haben: bis auf seinen Sekretär und seinen Stellvertreter überlebte niemand die Anklage. Eliava also und Jikia sollten sich als Jaschwilis fatalste Freundschaften erweisen.

Jaschwili begann seine Verteidigung mit ritueller Lobhudelei auf Berija. „Ich habe meine Vergangenheit widerrufen.“ Er fuhr fort mit der Denunziation seiner Freunde: „Eliava war ein typischer Spötter, einer, der einem immer schmeichelte, ein Playboy, im Prinzip doppelgesichtig, der es liebte, andere neidisch zu machen..., einer, der jede Selbstdisziplin ablehnte. Ständig versuchte er, ins Ausland zu reisen. Ich habe nie wirkliche Freundschaft zu ihm empfunden. Ich kann viele Zeugen anbringen, die bestätigen können, daß Eliava mich hinter meinem Rücken immer verflucht hat; er hat zu mir nur Kontakt gesucht, um mich von meinen wirklichen Freunden zu isolieren. Seine ausländischen Freunde in Moskau habe ich nie kennengelernt und hatte auch kein Interesse daran. Dennoch konnte ich mich nicht vollständig von ihm lösen. Das hätte ich tun sollen. Ich wußte aber nichts von seinen Geheimplänen.“

Dann erwähnte Jaschwili einen weiteren Vorfall, der für Berija persönlich von Bedeutung war. „Ich traf Jikia auf dem Bahnhof von Kutaisi in seinem Sonderabteil und kam nicht mehr rechtzeitig heraus, daher mußte ich bis Gori mit ihm mitfahren. Agniaschwili war dabei..., wir sprachen über das Rustaveli-Theater und Akhmetelis Weigerung, sich zu fügen und die folgenden Komplikationen.“ (Sergo Akhmeteli, der mutige Direktor des Rustaveli-Theaters, mußte mit seinem Leben dafür bezahlen, daß er Berija einmal aus einer Probe hinausgeworfen hatte.) „Agniaschwili fing an, gräßlich zu schimpfen und nannte Akhmeteli einen Unruhestifter und Faschisten. Ich versuchte dagegenzuhalten. Dann gingen wir schlafen. Agniaschwili kam zu mir und sagte mit einem Lächeln: 'Ich mag Akhmeteli sehr gern, ich helfe ihm, wo ich kann, aber wenn Genosse Amiralow dabei ist, darf ich nicht anders reden.‘ - Mich erstaunte ein so parteiunwürdiges Verhalten sehr.

Lominadse wohnte bei uns im Haus, ich hatte ihn, damals Bolschewist, unter den Menschewiken versteckt. Er hat mich viel gelehrt über Bürgerkrieg und Revolution. Die Nacht der Sowjetisierung (25. Februar 1921) verbrachte ich in Tbilissi im Kampf gegen den menschewistischen Terror und kam Lominadse und Gogoberidse (ebenfalls ein Dichter) näher, obgleich sie ständig auf die Fehler unserer Dichtergruppe hinwiesen. Sie hatten keinen großen Einfluß auf mich und konnten mich nicht dazu bewegen, meinen Rückfall in den Lebensstil des Bohemien aufzugeben. Ich hätte damals alle Verbindungen zu ihnen abbrechen sollen, das wäre das korrekte Verhalten eines aufrichtigen und aufmerksamen Sowjetbürgers gewesen, ...aber ich schaffte es nicht. Lominadse und Gogoberidse hat man viele Chancen gegeben, aber sie waren nicht mit dem Herzen dabei und taten nur so als ob. In Gogoberidses Moskauer Wohnung haben sich oft Dissidenten getroffen... Es wurde viel Wein getrunken und Karten gespielt. Außer den Liedern, die wir sangen, wurde alles Georgische nur mit Spott und Hohn überschüttet. Ich brach die Beziehung zu Lominadse nicht ab. Ich erzählte ihm oft von all dem Großartigen, was in Georgien nach der Veränderung in der Führung der Partei stattfand. Ich kann genug Zeugen anbringen, die aussagen können, daß Lominadse nie versucht hat, mich in seine doppelgesichtigen Untergrundpläne einzuweihen oder in seine düsteren Aktivitäten zu verwickeln.

Jikia war mein engster Freund an der Schule in Tbilissi 1922, an der er Militärkommissar war. Selbst am Gymnasium hielten wir Jikia für eine Art „Ritter in glänzender Rüstung“. Er war unerschütterlich immer auf seiten der Jungens, die Lehrer fürchteten und mieden ihn. Er verhielt sich in Leningrad wie ein Held. Ich traf ihn 1930 in Tskwaltubo wieder, aber wir erneuerten unsere Jugendfreundschaft nicht. Er war Leiter des Rioni -Staudammes. Ohne nachzudenken erzählte ich ihm, daß ich aus dem Tschiatura-Bezirk käme, wo es viele Bergarbeiter gab, und daß ich ihm für das Rioni-Projekt welche besorgen könnte. (Ich habe Demetradse daran erinnert, daß Jikias Sabotage erst beim Khrami-Projekt anfing.) Er redete mit mir über die bedauernswerten Zustände in Rioni in so anrührendem Ton, daß ich noch am gleichen Tag losfuhr. Genossen, an diesem Tag begannen meine Qualen. Zwei Jahre arbeitete ich am Rioni-Projekt, viel Schlimmes passierte mir, und mein Leben geriet völlig durcheinander. Ich konnte nicht schreiben und wurde dabei fast verrückt. Den ganzen Winter hetzte ich hinter den Arbeitern her.

Zwei Jahre lang war ich isoliert von der Familie der Schreibenden und wurde zum Funktionär. Ich vertraute Jikia. In der Gewerkschaft gab es viel Geflüster und Gerüchte, aber keiner sagte mir etwas offen ins Gesicht. Zweimal hat Genosse Berija mir einen Wink gegeben, was diese Verbindung betraf, aber ich konnte sie nicht anprangern und sah nicht den wahren Wert von Berijas Warnungen. Erst jetzt, da die Feinde des Volkes - Kommunisten mit Verbindungen zu Intellektuellen außerhalb der Partei - von Berija aufgedeckt wurden, ist es mir wie Schuppen von den Augen gefallen. Sechs Monate vor seiner Entlarvung habe ich mit Jikia gebrochen. Mir war Jikia nahe, aber, Genossen, ich wußte nicht, daß er sich mit Verrätern des Volkes verbunden hatte. Als ich erfuhr, daß er ins Gefängnis gekommen war, war ich erschüttert: Er war mir nie als doppelgesichtiger Mensch erschienen.

Genosse Berija fordert von mir, daß ich mein altes Verhalten ablege und mich ändere. Das ist es, was ich tun will, und ich akzeptiere Berijas Hinweise und Warnungen. In weniger als einem Jahr wird mein Leben und meine Arbeit auf dem Weg der wahren Erkenntnis sein... Ich werde zu jedem Versprechen, das ich gegeben habe, stehen, und ihr sollt die Zeugen dafür sein, daß ich das neue Jahr begrüße im Zustand vollständiger Reinigung von meinen Fehlern in Leben und Werk.“ Leeres Geheule

Jaschwili setzte sich. Dann ergriff Karlo Meladse das Wort und attackierte Schriftsteller mit „persönlichen und politischen Verbindungen zu Verrätern“ im allgemeinen und Jaschwilis Unaufrichtigkeit im besonderen. „Ihr leeres Geheule ist sinnlos... Ich erinnere mich gut an Paolos unterwürfige Haltung gegenüber Jikia, als es in unseren Diskussionen um den Formalismus ging. Er hatte engsten Kontakt zu Lominadse... Zeilen zu wiederrufen reicht nicht. Es geht darum, daß du dich veränderst, damit du nicht einmal mehr davon träumst, so etwas jemals wieder zu schreiben... Du hast Agniaschwili neurotisch genannt und Gogi Eliava einen Betrüger, ob wir etwa glauben würden, daß er dich in seine politischen Machenschaften eingeweiht hätte, hast du gefragt. Aber er hat obszöne Gedichte über unsere Führer und Herrscher erzählt, er hat sie dir erzählt. Das sagt doch alles... Obwohl - ich will damit nicht sagen, daß Paolo Gogi Eliava bei der Präparierung seiner Bazillen geholfen hat.“

Zu diesem Zeitpunkt schien das noch witzig. Von den Bänken der Zuschauer ist Gelächter verzeichnet. Meladse griff weitere „Blauhörner“ an für ihre Freundschaft mit gestürzten Politikern. Nikolo Mitschischwili dementierte, an einem bestimmten Bankett teilgenommen zu haben, Tizian Tabidse rief dazwischen: „Du liebe Zeit, wie soll ich noch wissen, ob ich dabei war?“ Wieder wird gelacht; das Gelächter verstummt jedoch, als Meladse sich mit Bezug auf Berija auf einen heftigen Schlagabtausch mit dem unbeugsamen Romancier Konstantine Gamsachurdia einläßt.

Als Demetradse schließlich bekanntgibt, daß die nächste Sitzung am nächsten Abend um acht beginnt, ist es ein Uhr morgens. Überführte Alkoholiker

Der nächste Abend beginnt mit Sandro Schanschiaschwili (der bis 1979 überlebte) und seinem Ritt auf dem Tiger; er wagt es, für Paolo und sich um Gnade zu bitten: „Wenn ihr es gut meint, dann hättet ihr sagen müssen: 'Sandro, du hast einen Fehler gemacht, bügele es wieder aus.‘ Genossen, helft einem Mann wieder auf, der gestolpert ist, und zieht ihn vom Abgrund fort.“ Diese Rede war um so mutiger, als Schanschiaschwili zusammen mit Paolo beschuldigt wurde, von dem gestürzten Parteiführer Agniaschwili protegiert worden zu sein.

Berija hatte die Gewerkschaft beauftragt, den hundertsten Geburtstag von Ilja Tschawtschawadse zu begehen. Die Schriftsteller jedoch waren zu verwirrt über die plötzliche Wiederauferstehung von Tschawtschawadse und zu sehr mit dem ungewissen Schicksal beschäftigt, das ihnen selbst bevorstand. So wurde das Fiasko des Jahrestages zu einem Vorwand für Säuberungen. Mehrere Sprecher wurden beschuldigt, ihre Pflicht gegenüber den Klassikern versäumt zu haben. Einer der vernommenen Dichter, Benaschwili, protestierte: „Ilja Tschawtschawadse quält mein Gewissen weniger als das Gewissen anderer Leute... Man kann wohl schlecht entscheiden, wer Tschawtschawadse am meisten liebt.“ Unter kräftigem Applaus korrigierte ihn eine Stimme von den Zuschauerbänken: „Das steht schon fest: Die Arbeiterklasse liebt ihn am meisten.“

Mit Konstantine Lortkipanidse tritt giftigste Gehässigkeit auf den Plan. Er greift seinen Konkurrenten auf dem Feld des historischen Romans, Gamsachurdia, an und bezeichnete ihn als einen bereits überführten und rückfälligen Junker. Gamsachurdia: „Du bist betrunken und hast gesagt, du würdest nicht reden.“ - „Ich war am zweiten Tag betrunken, und du hast gestern schon gesprochen. Tut mir leid, Genosse Konstantine Gamsachurdia, aber du solltest nicht über Trunkenheit reden, sonst werde ich dir nämlich etwas über eine Art von Trunkenheit erzählen, die ...“ Zwischenruf: „Drohe ihm gefälligst nicht.“ Dieser Streit sprengte den Verlauf; der Stenograph notierte nur Bruchstücke von Lortkipanidses Tirade; jeden einzelnen georgischen Schriftsteller griff er an, selbst den melancholischen Mystiker Galaktion Tabidse, der zwar ein bolschewistischer Opportunist war, die Zeit der Säuberungen jedoch sinnvollerweise wandernd und saufend auf dem Land verbrachte (ah! Der wahre Mystiker! d.S.): Seine Gedichte hätten „weder Reim noch Sinn“.

Schließlich griff Demetradse ein und forderte ihn auf, präziser zu werden. Er kam dem nach: „Tizian, Paolo, Leonidse, Mitsischwili, Schanschiaschwili, Baasov - einige mehr, andere weniger.“ Paolo protestierte: „Woher hast du das, aus welchem Werk?“ Schanschiaschwili verlangte ebenfalls Genaueres. Lortkipanidse jedoch weigerte sich und sagte, es gäbe Millionen von Anlässen, die einen Schriftsteller korrumpieren...

An diesem Punkt fiel das Licht aus und die Mitschrift bricht ab. Als sie wieder aufgenommen wird, ist Paolo Jaschwili Angriffen ausgesetzt für seine mangelnde politische Klugheit und die Aussage, Jikia habe gewirkt wie ein „Ritter in glänzender Rüstung“. Vergeblich verwies Paolo darauf, daß dies unter den Menschewiken gewesen sei. Lortkipanidse zitierte Berija, und schließlich kapitulierte Paolo: „Es stimmt, ich gestehe es.“ Lortkipanidse fuhr fort: „Jikia sagte ekelhafte Sachen über das georgische Zentralkomitee (Zuruf: 'Wo - auf Banketts oder privat?‘), und Paolo meldete es nicht. Jikia hat gesagt, Jaschwilis Bemerkungen beschränkten sich auf das Theater. Es gab mehr, als Paolo erzählt hat. „Dies alles ist notwendig, damit wir die Feinde des Volkes vor dem Volk, vor unseren aktiven Kollektiven, entblößen können. Uns interessiert ihre Abhängigkeit von Feinden und Verrätern, und darüber hat Paolo nicht geredet. Diese Feinde haben jahrelang ihre verabscheuungswürdigen Handlungen verübt.“ Von den Zuschauerbänken kamen Stimmen: „Sag Namen, Genaueres, sonst haben deine Worte keinen Wert.“ Lortkipanidse blieb vage. „Du sagst nicht alle Namen.“ Daraufhin er: „Das werde ich“, und fügte seiner Liste einen weiteren „Blauhorn„-Dichter, Beso Schgenit (der überlebte), hinzu. (Schgenit war nicht da, um zu antworten, eilte jedoch, sobald er davon hörte, nach Tbilissi.) Morgens um halb zwei wird die Sitzung abgebrochen und eine dritte, letzte Sitzung für den 30. Mai 1937 angesetzt.

Verrat der „Verräter“

Diese Sitzung wird mit den ominösen Bekanntmachungen eröffnet, ein Mitglied der Gewerkschaft, Akaki Tschkonia sei durch „die Hand heimtückischer faschistischer Agenten“ ermordet worden, und die Gewerkschaft habe sich angesichts des Tschawtschadse-Jubiläums wahrhaftig blamiert. Dann kam der erste Akt von Selbstzerfleischung durch einen „Blauhorn“ -Dichter: Tsulikidse erklärte, daß er als Mitglied der Gruppe ein Speichellecker gewesen sei, daß Neid, Gehässigkeit und Streit Merkmale der „Blauhörner“ gewesen seien, daß Paolo Jaschwili allerdings am schlimmsten gewesen sei, und zwar durch seine Bekanntschaft mit Gogi Eliava. Paolo fragte: „Was soll ich denn davon gehabt haben, daß ich mich mit Eliava oder Akhmeteli traf?“ - „Das können wir noch nicht in Gänze beurteilen.“ - „Ein Beispiel vielleicht?“ „Zum Beispiel hast du für Jikia gearbeitet, also hast du auch für Eliava gearbeitet.“ - „Lüge! Ich werde das beweisen!“ Paolo gab zu Protokoll, Berija habe ihm verboten, sich von den Samgori-Problemen allzusehr mitreißen zu lassen. Diese Erklärung aber wurde nicht akzeptiert. „Weder Genosse Berija noch irgendein anderer Führer der Partei verbietet uns so etwas. Du hast dich nicht einfach mitreißen lassen, sondern Jikia hat dich bezahlt.“

Dann plötzlich wendet sich das Blatt. Der hochgeachtete Bolschewist Raschden Gwetadse griff Lortkipanidse an; er solle nicht die Maske der Unschuld aufsetzen, schließlich sei er die „böse Seele“ von RAPP gewesen. „Es ist eine Schande, daß Lortkipanidse selbst heute wieder sein Gift auf diesem Tribunal verspritzen kann.“ (Trotz dieses Angriffs überlebte Gwetadse bis 1952.) Nach diesem mutigen Versuch von Gwetadse, einen der gefährlichsten Ankläger zu neutralisieren, nahm Paolo Jaschwili sich Tsulukidse vor und fragte ihn, warum er ihn in der Presse seit fünf Monaten ständig angegriffen habe. „Warum nicht? Müssen wir uns etwa über ein Erbe einigen?“ Paolo reagierte mit schrecklicher Naivität: „Dies ist es, was mich dem Abgrund zugetrieben hat, von dem Berija mich retten will. Wenn du der Präsident der Schriftstellergewerkschaft gewesen wärest, hättest du auch nur einen Moment lang daran gedacht, mir zu helfen, meine Fehler wiedergutzumachen?“ Die Antwort kam prompt: „Nur durch Denunziation kann man helfen, Fehler zu korrigieren.“

Paolo las eine vorbereitete Rede vor. Er nahm darin alles zurück, was er jemals Positives über gestürzte Parteiführer gesagt hatte; Trotzki, Radek und Bucharin seien vermutlich von Anfang an Verräter gewesen und es sei auch nicht richtig von ihm gewesen, zu sagen, Lominadse habe ihn mit dem Geist des wahren Bolschewismus inspiriert. „Wie schändlich steht meine Fahrlässigkeit jetzt da, heute, da unser Land so sehr zu kämpfen hat.“ In seiner Verzweiflung, seine Inquisitoren zufriedenzustellen und sich dabei selbst nicht noch mehr zu belasten, erzählte er weitere Einzelheiten über seine Treffen mit georgischen Parteiführern in Moskau. „Ich habe davon vorher nicht gesprochen, weil ich nicht den Eindruck erwecken wollte, mir durch Schmeichelei unserer Führung Vorteil zu verschaffen; was Berijas Führung betrifft, bin ich nicht doppelgesichtig. Ich hätte aber der Gewerkschaftsführung erzählen sollen, was ich wußte. Das wäre anständig gewesen. Jeder anständige Bürger sollte der Partei helfen, die Feinde zu entlarven. Ich will mich nicht rechtfertigen, aber glaubt nicht, daß mein Verhalten etwas mit unverantwortlicher Frivolität zu tun hat. Ich hatte nur nicht den Mut. Ich hatte Angst vor ihrer Rache....Die meisten Mitglieder der 'Blauhorn'-Gruppe hatten die unannehmbare und unerträgliche Gewohnheit, jeden sowjetischen Schriftsteller, der zu Besuch war, aufzunehmen und zu versuchen, bei ihm Eindruck zu schinden. Anständige Gäste sollten geachtet werden, aber ein Dichter sollte nicht versuchen, aus ihnen Kapital zu schlagen.“ Er versprach weiter, sein Leben und seine Arbeit auf eine neue Grundlage zu stellen und allen Forderungen Berijas nachzukommen.

Arsenaschwili jedoch meinte, Jaschwilis Rede habe nicht zufriedenstellen können. „Er hätte alles sagen müssen... Wenn er nicht wirklich gesteht, wird er seine Last auch nicht los.“ Aus dem Zuschauerraum kam ein Zwischenruf: „Aber nein, er ist heute doch sehr aufrichtig gewesen. Was hätte er mehr tun können?“ Arsenaschwili fing an, sich mit Paolo zu streiten, da er ihn mitbeschuldigt habe. „Du hattest Verbindungen zu Lominadse und Gogoberidse, materiell, literarisch und politisch. Ich war nur ein entfernter Bekannter. Ich ahnte nicht, daß sie Verräter waren.“ „Ach,“ sagte Paolo, „und ich ahnte es oder wußte, daß sie Verräter sind?“

Arsenaschwili zog sich etwas zurück, bestand aber weiter darauf, daß Paolo sich zu allem mehr bekennen sollte.

Schließlich war Konstantine Gamsachurdia an der Reihe. Sein Roman Den Mond stehlen hatte Berija zu manchem Kommentar veranlaßt, und bisher hatte der Schriftsteller es vermieden, die 180-Grad-Wendung zu machen, die er damals versprochen hatte. Was er sagte, war eine brillante Mischung aus Bekenntnis und Angriff, die den Schaden für sich und andere klein hielt.

Gleichzeitig kam mit Gamsachurdia ein Ton mutiger Offenheit auf, der bisher in der Schriftstellergewerkschaft nicht üblich gewesen war. „Ich habe mich jeder Sünde unter der Sonne schuldig gemacht, - nie aber zusammen mit Aufrührern, Dieben und Feinden des Volkes.“ Viele lachten im Zuschauerraum. Wollte Gamsachurdia etwa damit sagen, dieses Verfahren sei dem ähnlich, was im Frühling schon in der Schriftstellergewerkschaft in Moskau passiert war? Er zitierte Eristawis Anekdote: „Ein gebildeter Prinz kam zurück nach Georgien und fing an, die Walnußbäume so zu beschneiden, wie er es in Rußland bei den Fichten gesehen hatte“? Man lachte jetzt noch mehr. Als Gamsachurdia seine Gruppe als „Selbstverteidigung gegen RAPP“ bezeichneten, intervenierte Jaschwili mit einer Verteidigung Gamsachurdias. Der aber wollte davon nichts wissen: „Was brauche ich eine Verteidigung?“ Das Gelächter artete in Tumulte aus.

Gamsachurdia beendete seine Rede mit einem Angriff auf Lortkipanidse und warf ihm vor, seine Beschuldigungen seien doppelgesichtig und unsachlich.

(...)

Schließlich verkündete Demetradse (gegen vier Uhr morgens) die Entscheidung des Präsidiums: Da Paolo Jaschwili in seinen zwei Reden nicht über seine Vergangenheit und seine Beziehungen zu Feinden des Volkes offen gesprochen habe, weiterhin Fehler machte und Dinge verheimliche, werde er aufgefordert, eine Antwort für das Sekretariat zur nächsten Präsidiumssitzung vorzubereiten. „Falls Genossen weiterhin schweigen, wird es nötig sein, Maßnahmen zu ergreifen.“

Am Ende der Sitzung versuchte Karlo Meladse die Drohung noch abzuschwächen: „Ich möchte klarstellen, daß schließlich keiner für das Eingeständnis seiner Fehler gehenkt wird.“ (Karlo Meladse wurde Ende 1937 erschossen.) Verführte Unschuld

Am 8. Juni tagte die Sondersitzung des Präsidiums zum Ausschluß von Mitgliedern. Ein Dichter der „Blauhorn„ -Gruppe, Nikolo Mitsischwili, war schon vorher verhaftet worden, und Demetradse eröffnet die Sitzung mit dem Antrag für seinen Ausschluß; der Antrag wird einstimmig angenommen. Nach einem kurzen Kreuzverhör durch Demetradse ist Paolo Jaschwili an der Reihe. Er liest eine vorbereitete, höchst unterwürfige Rede vor. Engere Freundschaft mit Gogi Eliava wies er zurück, gab jedoch zu, daß er seinen Kontakt nicht abgebrochen habe und sich dank seines „Bohemien-Daseins“, oder, wie man auch sage, seiner „reinen Künstlerexistenz“ und aus Mangel an „staatsbürgerlicher Gesinnung“ habe benutzen lassen. Er gab zu, in einem Hotel eine Frau „unabsichtlich“ mit Eliava bekanntgemacht zu haben. Weiterhin sagte er, daß es nach Eliavas Verhaftung „Gerüchte“ gegeben habe, daß er, Paolo, „der Grund seiner Verhaftung“ gewesen sei. „In der Tür des Instituts, unmittelbar vor seiner Verhaftung, hat er zu mir gesagt: 'Ich weiß alles, was du über mich gesagt hast‘.“ Paolo erklärte, er werde alles tun, um zu beweisen, daß er sich in dieser Affäre korrekt verhalten habe. „Ich werde jede Strafe hinnehmen, falls sich herausstellen sollte, daß ich irgendetwas mit Eliavas verräterischen und heimtückischen Handlungen zu tun hatte oder daß ich etwas davon gewußt habe und dennoch weiterhin mit ihm zu tun hatte.“

Er entschuldigte sich dafür, daß er spöttische Bemerkungen über die Parteiführer in Gogoberidses Moskauer Wohnung nicht gemeldet habe und gestand dann eine weitere Einzelheit in Bezug auf Jikia. „Ich bin mehrere Male für Jikia geschäftlich nach Moskau gefahren, ohne dafür besonders qualifiziert zu sein. Er zahlte mir ein Gehalt von 500 Rubeln pro Monat plus Reisekosten.“ Danach versprach Paolo, er werde seinen schriftstellerischen Arbeiten nachkommen, für die er bereits im voraus bezahlt worden sei und endete seine Rede mit einem verzweifelten Apell: „Wenn man mir die Gelegenheit gibt, auf die ernsten Mahnungen von Genosse Lawrentij Berija zu antworten, werde ich mein Leben und meine Arbeit auf eine neue Grundlage stellen, damit ich den großen Ehrentitel eines sowjetischen Schriftstellers wieder verdiene.“ Keiner wollte reden

Demetradse eröffnet als Leiter die Sitzung am folgenden Nachmittag. Gamsachurdia berichtet, wie er von dem früheren Kulturchef (Toroschelidse) fast in den Selbstmord getrieben und aus dem Bund georgischer Schriftsteller ausgeschlossen worden sei. Als nächstes suchte er sich aus Verstrickungen zu befreien, die man auch seinem Kollegen Mikhail Jawakischwili zur Last gelegt hatte, nämlich von einem Dissidentenkreis um die trotzkistische Femme fatale Lida Gaswiani rekrutiert worden zu sein. Nachdem er sich gesetzt hatte, fragte Demetradse: „Möchte jemand reden?“ Alle schwiegen. „Ist Leonidse nicht gekommen?“ - „Nein.“ - „Wer möchte seine Meinung sagen?“ Wieder Stille. Auch die Zuschauer waren jetzt eingeschüchtert.

Keiner wollte reden. Schließlich stand Lortkipanidse auf und beklagte die Unaufrichtigkeit dessen, was er gehört hatte. Er denunzierte Leute, ohne sie beim Namen zu nennen, wurde dann aber gedrängt zuzugeben, daß auch er Lida Gaswiani einmal besucht habe und ließ die Anschuldigung, es habe eine „Gruppe“ um sie gegeben, schließlich fallen. Als man ihn drängte, Namen zu nennen, reagierte er ausweichend. Demetradse fing an, ihn sich genauer vorzunehmen - ein Schritt, der fatale Folgen haben sollte. Lortkipanidse zog sich wieder auf seine Angriffe aus Jaschwili zurück.

Bis zum Schluß der Sitzung um sieben Uhr abends verlief dann alles in völligem Chaos. Im Zentrum stand Lortkipanidse, der ununterbrochen Gamsachurdia, Schgentin, Tizian Tabidse und Paolo Jaschwili verhörte, anschrie und beleidigte. Seine Zielscheibe jedoch war Paolo.

(...)

Schließlich übernahm Demetradse die Anklage (gegen Jaschwili) und stellte eine Verbindung her zwischen ihm und zweifelhaften Kontakten von Jawakischwili, namentlich Andre Gide (dessen Retour de l'USSR viele russische Schriftsteller, die ihn beherbergt hatten, ins Verderben gestürzt hatte) und Lida Gaswiani. Selbst die Vorliebe der beiden Schriftsteller fürs Kartenspiel wurde kritisiert. Paolo appellierte an ihn: „Datiko, einmal in zwei Monaten Karten zu spielen, das ist doch gar nichts.“ Als Demetradse mehr und mehr auf konterrevolutionäre Aktivitäten zu zielen begann, rief Jawakischwili - nur allzu prophetisch dazwischen: „Ich werde an anderem Orte meine Ehrlichkeit beweisen... Es sind viele Menschen hier, deshalb fordere ich dich auf, genau zu sagen, wer was weiß. Wenn dies hier aber eine Suche nach Sündenböcken und Opferlämmern sein soll, dann ist das etwas anderes.“ Demetradse reagierte prompt: „Nein, das ist keine Frage von Sündenböcken, es gibt hier keine Opferlämmer, hör‘ mit solchem Gerede auf. Ich konzentriere mich auf das, was Jaschwili gesagt hat. Jaschwili hat in jeder seiner Reden neue Fehler zugegeben, aber er hat immer noch nicht Berijas Ansprüche erfüllt. Mir scheint, daß wir Maßnahmen ergreifen müssen, damit Jaschwili diese Angelegenheit vollkommen aufklärt... Als Schanschiaschwili in seinem Haus ein Fest gab, auf dem Mitsischwili feindliche Reden führte, - wäre er da als Gastgeber nicht gezwungen gewesen, der Schriftstellergewerkschaft davon zu berichten?“ Schanschiaschwili antwortete: „Wie, ich war gezwungen? Erstens war der Mann schrecklich betrunken und sagte nachher zu mir, 'wenn du ein Mensch bist, bleibt das unter uns‘. Und ich bin doch ein Mensch, oder?“ An diesem Punkt griff Jjaschwili ein und unterstützte ihn. „Das war doch in der Gewerkschaft schließlich üblich. Wirklich wahr, wer würde denn soetwas weitererzählen, außer vielleicht Parteimitglieder.“ Demetradse bestand auf seiner Ansicht: „Jeder einzelne von euch wäre verpflichtet gewesen, so etwas weiterzugeben, wenn ähnliches in seinem Haus passiert wäre.“ Schanschiaschwili: „Man schließt die Tür erst, wenn das Pferd weg ist, und man sieht den Karren, wenn er vorbei ist. Mir kam diese Angelegenheit nur lächerlich vor.“

Dieser Wortwechsel ist das letzte schriftliche Zeugnis einer Intervention durch oder für Paolo Jaschwili.

Nach einem weiteren Angriff auf Tizian Tabidse verlaß Demetradse seine Resolution: „Unsere Aktivisten haben gesehen, daß wir die Frage der Reden unserer Genossen untersucht haben und sie haben eine Resolution verabschiedet... Die Führung der Schriftstellergewerkschaft muß ihre Untersuchung fortführen, und zwar mit besonderem Nachruck bezüglich der Aktivitäten der Genossen. Dies ist eine sehr ernste Warnung...“ usw. usf.

(...)

Am Schluß ließ er noch eine Bombe platzen. Demetradse erklärte, daß er dieser Versammlung den Vorschlag Eulis zur Entscheidung vorlege, Lortkipanidse aus dem Sekretariat der Gewerkschaft zu entlassen. Er bezweifle nicht seine Ehre als Schriftsteller, aber „seine Reden führen nur zu Chaos. Einmal sagt er dies und eine Sekunde später etwas anderes. Unsere Mitglieder und Schriftsteller verlieren ihre Autorität und keiner wird uns mehr Glauben schenken... Nach seiner gestrigen Rede halten wir es für unangemessen, daß er weiter im Sekretariat bleibt.“ Selbst Lortkipanidses Genger waren schockiert. Gamsachurdia: „Es täte mir sehr leid, wenn meine Auseinandersetzung mit ihm der Grund für diese Unstimmigkeit sein sollte. Ich hatte nicht vor, Konstantine (Lortkipanidse) in ein schlechtes Licht zu rücken.“

Aber die Resolution wurde angenommen. Selbstmord im

Haus der Schriftsteller

Am 22. Juli 1937 zog Paolo Jaschwili im Verlauf einer Präsidiumssitzung ein bis dahin verstecktes Gewehr und erschoß sich. Mikhail Jawakischwili lief entsetzt im Foyer auf und ab und sagte immer wieder: „Er war ein wirklicher Mensch, er war ein wirklicher Mensch.“ Ein anderes Mitglied soll gesagt haben: „Mit größtem Vergnügen würde ich das Blut aus seinem Schädel trinken.“ Vorsitzender dieser Gewerkschaftssitzung war Demetradse, als Sekretäre fungierten Kawscharadse und Kandid Tschakwiai (der nach Berijas Abgang nach Moskau Chef der Partei in Georgien wurde).

Das Plenum verabschiedete dann eine höchst ungewöhnliche Resolution: „Mikhail Jawakaschwili soll als Feind des Volkes, als Spion und Abweichler aus der Schriftstellergewerkschaft ausgeschlossen und physisch vernichtet werden. (Paolo) Jaschwili hat sich als sowjetischer Schriftsteller maskiert, um die Aufmerksamkeit von seinen verräterischen Spionageaktivitäten abzulenken. Mit der verbrecherischen Trotzki-Bucharin-Bande hat er sich gegen die Arbeiter Georgiens zusammengetan in seiner zerstörerischen und abweichlerischen Arbeit zugunsten der blutdürstigen Faschisten. Er hat versucht, dem Zorn des sowjetischen Volkes und der proletarischen Justiz zu entkommen. Sein Selbstmord im Hause der Schriftsteller während der Präsidiumssitzung der Schriftstellergewerkschaft ist eine Provokation, die Entrüstung und Empörung in jeder anständigen Versammlung sowjetischer Schriftsteller auslöst.“

Die meisten der der Kritik ausgesetzten Schriftsteller wurden jetzt verhaftet, ausgeschlossen und kurze Zeit später ermordet. Leonidse, der Barde von Stalins Leben, überlebte. Überraschend ist, daß auch Gamsachurdia überlebte, vielleicht gab es persönliche Kontakte zu Berija; jedenfalls schrieb er im November desselben Jahres in der Literaturzeitschrift 'Literaturuli sakartwelo‘: „Jetzt hat die Realität unsere Tagträume eingeholt“.

Die Akte über dieses letzte Plenum endet mit einem Dokument vom Oktober 1937, gezeichnet von Sandro Euli: „Lang lebe Lawrentij Berija ... Davit Demetradse, als Feind des Volkes entlarvt, wird aus der Gemeinschaft der Schriftstellergewerkschaft ausgeschlossen.“ Demetradse wurde wenig später ermordet; Lortkipanidse hatte gesiegt; er sollte hochbetagt erst 1986 sterben und wurde mit allen Ehren im Dideba-Pantheon beigesetzt.

Aber bevor er selbst an die Reihe kam, sorgte Demetradse noch für das Ende von Tizian Tabidse. Am 8. Oktober lud er ihn zu weiteren Geständnissen über begangene Verbrechen zu einer Sitzung und sorgte für seinen Ausschluß aus der Gewerkschaft - der Auftakt für Verhaftung, Folter und Mord, die unmittelbar darauf folgten. Die Verdammten wurden in den Zeitungen sofort zu Unpersonen.

Bevor Berija Jeschows Aufgaben im Dezember 1937 in Moskau übernahm, verkündete er, wie zufrieden er sei: die Agenten der faschistischen Dienste - und hier listete er alle seine Opfer auf - waren vernichtet worden. Paolo Jaschwili und Tizian Tabidse wurden als Komplizen Elivias bezeichnet, dessen Bande mehr als 50 Menschen mit bakteriologischen Kampfstoffen getötet hätte. Mikhail Jawakaschwili, so erklärte Berija, war getötet worden als „Oberspion“, dessen Aufgabe es war, die autonome Republik Achara von Georgien abzuspalten. Das Protokoll verzeichnet „langanhaltenden Applaus“ der anwesenden Intellektuellen.

Vielleicht waren sie aufrichtig dankbar dafür, selbst noch am Leben zu sein? Die Sterblichkeitsrate der Tiblissi -Zweigstelle der Schriftstellergewerkschaft war wenigstens bei 25 Prozent - aber sie war bei 75 Prozent aller Delegierten, die Berija auf diesem Parteitag applaudierten. Auch in den kutaisischen, abchasischen, suchumischen und armenischen Schriftstellersektionen scheint die Anzahl der Toten höher gewesen zu sein. Rehabilitierungen

Die meisten der Verhafteten wurden erschossen; von den nach Sibirien geschickten haben, soweit ich eruieren konnte, nur vier bis in die Mitte der vierziger Jahre überlebt. Als sie dann rehablitiert wurden, erhielten sie als Entschädigung die berühmte Zahlung von zwei Monatsgehältern. Nach Berijas Verhaftung (1953) wurde der Befehl gegeben, sämtliche fotografische Konterfeis von ihm in Zeitschriften, die in öffentlichen Bibliotheken Georgiens archiviert waren, zu übermalen. Abonnenten der zweiten Auflage der Großen Sowjet -Enzyklopädie wies man an, mit einer Rasierklinge den Eintrag über Berija herauszutrennen und sein Bild zu übermalen. Zehntausende Georgier haben dann pflichtgemäß und sicher nicht ohne ein Lächeln den erweiterten Eintrag über die Beringstraße eingeklebt. 1955 wurde Paolo Jaschwili zusammen mit vielen anderen Opfern rehabilitiert und sein nachrevolutionäres Werk publiziert. Bis 1988 jedoch konnte man über die letzten Wochen seines Lebens nichts erfahren, und tatsächlich ist dieser Artikel der erste detaillierte Bericht über das groteske Verfahren, mit dem man ihn schließlich in den Selbstmord getrieben hat.

Welche Logik lag dieser massenhaften Tragödie zugrunde? Offenbar nur die Psychologie des ergebenen Dieners Berija, die sich noch mehr der Beschreibung entzieht als die seines Herren, Stalin. Einige ganz wenige Züge scheinen klar. Keine der neun Frauen der Schriftstellergewerkschaft wurde verhaftet: Berija war ritterlich - wie ein Vergewaltiger ritterlich sein kann. Nur drei der 1931 von Tizian Tabidse und seinen proletarischen Kollegen Ausgeschlossenen kamen um. Griechische, abchasische und ossetische Nachnamen scheinen für Schriftsteller besonders gefährlich gewesen zu sein. Und allgemein war es so, daß, je mehr ein Dichter die stalinistische Linie unterstützt hatte, desto verdächtiger und gefährdeter schien er zu sein; tatsächlich hatten die georgischen Schriftsteller hierin mehr Eifer gezeigt - oder waren unter größerem Druck gewesen - als ihre Kollegen in Moskau.

„Nur durch den Tod kann es gesühnt werden“, hatte Gamsachurdia aus Anlaß der Exekution von Radek und Kamenjew geschrieben. „Tod den verräterischen Feinden“, forderte Jawakischwili im Januar 1937. „Nie hat die Geschichte größere Verkommenheit gesehen“, hatte Tizian gesagt und den Tod der Rechten wie der Linken gleichermaßen gefordert. Paolo Jaschwili aber hatte 1936 in Moskau alle anderen übertroffen und viele schockiert - einschließlich Pasternak

-mit seinem Ruf nach Wachsamkeit und Ausmerzung des Feindes.

Vielleicht hatte er sich gerade damit Berijas Sinn für Ironie zum Opfer angeboten, eine Vorliebe, die Berija mit Stalin teilte. Vielleicht war, in letzter Konsequenz, Paolo Jaschwili physisch und moralisch für seinen eigenen Tod verantwortlich.

Dr. Donal Rayfield ist Dozent für Russisch und Georgisch am Queen-Mary-College an der Universität von London.